Du hast es ja gewollt

Wettbewerbsbeitrag von Joules, 18 Jahre

„Für mich war es die Nacht, die mein Leben veränderte, Simon, für dich ein gewöhnlicher Samstagabend. Für mich war es Thymian-Tee mit den Karamellkeksen deiner Großmutter zu Anfang und einem Schluck Wasser ohne alles am Ende, für dich ein Abend „unter Freunden“. Für mich war es roter Wein in den teuren Gläsern, die deine Eltern einmal von der Algarveküste in Portugal mitgebracht haben, für dich war Rot eine unwichtige Farbe, vor allem an meinen Beinen. Für mich waren es lange Gespräche über Gott und die Welt und ob es ihn denn gibt, diesen Gott und ob unsere Zeit nur geliehen ist, was wir mit unserem Planeten anstellen und Barack Obama sein Nutellabrot wohl mit oder ohne Butter isst. Für dich war es eine Unterhaltung wie jede andere. Für mich war es die Nacht, die mein Leben veränderte, Simon, für dich ein gewöhnlicher Samstagabend.

Vielleicht habe ich deshalb nicht innegehalten, als du mich gefragt hast, ob ich die Nacht bleibe. Denn das habe ich gemacht. Vielleicht habe ich deshalb nicht innegehalten, als du vorgeschlagen hast, wir könnten von der ausgesessenen Couch in eurer WG-Küche in das kleinste Zimmer umziehen, das, was deines ist. Denn das haben wir gemacht. Vielleicht habe ich deshalb nicht innegehalten, als wir zusammen auf dem Bett saßen und Peaky Blinders geschaut haben und deine Hand sich auf meinen Schenkel zu bewegt hat, als Thomas Shelby und die blonde Frau an der Theke, die eigentlich eine Agentin ist, in ihrem schmalen Bett leise geseufzt und andere Dinge getan haben. Denn das haben wir nicht gemacht.

Für mich war es die Nacht, die mein Leben veränderte, Simon, für dich ein gewöhnlicher Samstagabend. Ein Samstagabend, an dem deine Finger mein Knie berührt haben und hinauf zu dem Saum meines kurzen Kleides gewandert sind. Etwas zu kurz, wie du mit einem Grinsen angemerkt hast. Hat mir das gefallen? In diesem Augenblick? Ich weiß es nicht. Vielleicht. Vielleicht habe ich deshalb nicht innegehalten.

Deine Hand ist unter mein Kleid gefahren und in meinen Slip. Ich habe eine Gänsehaut bekommen, hat dir das gefallen? Wie hast du das interpretiert? Mir ist kalt geworden, fast ein bisschen wie Eis und ich bin erstarrt und du gesagt, ich solle mich doch etwas entspannen, es ist schließlich Samstagabend. Das macht man so, am Samstagabend. Dann bist du mit dem Zeigefinger in mich eingedrungen. Und mir ist kalt geworden, fast ein bisschen wie Eis. Ich habe geschrien, glaub ich. Ich habe geweint, glaub ich. Aber auf meinen Lippen war kein Ton und auf meinen Wangen keine Tränen. Für mich war es die Nacht, die mein Leben veränderte, für dich ein gewöhnlicher Samstagabend. Für mich war es Thymian-Tee mit den Karamellkeksen deiner Großmutter zu Anfang und einem Schluck Wasser ohne alles am Ende, für dich ein Abend „unter Freunden“ – Was auch immer das bedeutet. Als du in mir warst, habe ich nichts gesagt, auch nicht, als du gefragt hast, ob es mir gefällt. Ich habe nicht nein gesagt. Ist das ein Problem? Ist das mein Problem?

Für mich war es die Nacht, die mein Leben veränderte, Simon, für dich ein gewöhnlicher Samstagabend.“

„Das ist Nonsens und du weißt das. Du hast es ja gewollt“

Der Richter unterbricht ihn: „Die Aussagezeit von Frau Weiß ist noch nicht vorbei. Fahren Sie bitte fort.“

Aber ich habe nichts mehr zu sagen. Mein Leben und die Nacht, die es verändert hat, liegen nackt vor mir auf dem Boden der Tatsachen, dem hellen Linoleum des Gerichtssaales.

„Nein“, sage ich nur noch. Ist das zu spät?

„Nein, ich hab es nicht gewollt.“

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Verwandelbar - Die Lesung

Am 27. November 2022 fand die Lesung zum Schreibwettbewerb VERWANDELBAR statt, bei der fünf der Gewinner:innen ihre wunderbaren Texte präsentierten. Moderiert wurde die Lesung durch den Autor Manfred Theisen, der auch Mitglied der Jury war.

Autorin / Autor: Joules, 18 Jahre