Salz auf der Haut

Wettbewerbsbeitrag von Tim Tensfeld, 23 Jahre

  Arvid saß auf dem Bett im Krankenhaus und Johnny, dem er gerade eine verpasst hatte, saß daneben mit blutigem Taschentuch an der Nase. Beim Schlag klang sie wie alte Kekse, aus der Tasche von Oma Petunia, die sie immer, oft Jahre lang wie einen Taschenhund mit sich trug. Doch keine Kekse waren da, jetzt, auch keine Oma Petunia. Nur Avid und Johnny. Arvid stöhnte und kaute die Haut von seinen Fingern, wie schon oft. Johnny hielt seine Nase zusammen, wie schon oft. Freunde waren sie seit sie gemeinsam in die Windeln geschissen hatten und ihre Eltern im bescheuerten Glauben, aus ihnen würde einmal was werden, an ihnen rumdokterten, als seien sie Experimente. Arvid wollte etwas sagen, nicht entschuldigen, das war nicht seine Art. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, mit dem linken Arm und häutete weiterhin seine Finger. Johnny wollte nichts sagen, nicht weinen, nicht mehr. Das hatte Arvids Faust beendet.

  Die Brandung war gut, schaumig war das Wasser an der Zunge des Strandes und das Salz auf der Haut war hart und krustig, wie glasiert. Arvid mit zerbissenen Fingern, an beiden Händen und Johnny mit kaputter Nase zum zwölften Mal. Zum zwölften Mal hatte er seine Klappe nicht gehalten, einen scheiß Witz herausgebracht und sich eine Faust verdient. Diesmal aber nicht von Arvid. Nein, dieses blutverschmierte Werk, war die Art von Axels Faust Rache zu üben. Der Macker von Rachel, heiß, aber nicht klug, sofern Johnnys Expertise.

  Eine Krankenschwester trat ins Zimmer und sah die Nase von Johnny. „Warten Sie, ich hole den Arzt.“, meinte diese überbesorgt und stürmte aus dem Zimmer. „Scheißen Sie drauf. Bei dem ist das Normalzustand, kein Notfall. Wenn der keine blutende Stelle hat, dann sollten Sie einen Arzt holen!“, schrie Arvid kehlig hinterher, doch seine Stimme drang nicht mehr aus dem Zimmer. Johnny blieb an der Stelle sitzen, hörte, reagierte aber nicht. Er hielt nur weiter das Taschentuch, schnaubte Mal hinein und glotze sonst aus dem Fenster. Manchmal fragte sich Arvid, ob Johnny nicht ganz bei sich wäre, doch gefragt hatte er ihn nie. Damals nicht, wie heute. Damals in der „Pissbude“, ihrem Verschlag aus alten Dummheiten, Holzpaletten und halben Nägeln, vom Getränkemarkt, wo sie die meiste Zeit, wenn nicht am Strand, ihrer Sommerferien vergehen ließen.

  „Tja, hast wieder aufs Maul gekriegt, hm?“, stichelte Arvid dissend, wie sie es schon immer miteinander, als sei es ein Ritual, gemacht haben. Alles beim Alten. Johnny macht Witze, kriegt aufs Maul und Arvid amüsiert sich und macht ihn dumm an. Ein typischer Tag im Sommer.

  „Du bist ein Arsch“, gab Johnny plötzlich hinter dem blutigen Taschentuch zum Besten. „Dann bist du wohl ansteckend. Wusste gar nicht, dass scheiße sein eine Infektionskrankheit ist“, gab Arvid, mit einem Tritt in Johnnys Schulter zurück, als der Arzt wegen Johnnys Nase den Raum betrat.

  Johnny war es, der die Idee für den Namen des Verschlages, nahe dem Strand, hatte. Er und Arvid hatten Bier von Arvids Eltern mitgehen lassen und alle Dosen davon leergetrunken und verteilt um die Bude liegen gelassen. Als Johnny dann mit voller Blase einfach gegen eine der Paletten pinkelte, war der Name „Pissbude“ geboren und hielt sich einfach. Arvid fand den Namen ihres Treffpunktes damals echt scheiße. „Dann hätten wir es auch Scheißhaus nennen können.“ meinte er damals, untermalt vom feuchten Platschen des Möwenkots auf das mit Blech bedeckte Dach der „Pissbude“. Doch es blieb bei „Pissbude“.

  Kurz nachdem Johnnys Nase zum zwölften Mal aufgehört hatte zu bluten, lagen er und Arvid auf ihren Brettern im Takt der Wellen des Meeres und warteten auf die Gelegenheit, eine von ihnen zu surfen. Johnny dachte nur an die richtige Welle, Arvid hingegen nur an Johnny und dessen Nase. Nicht wegen Mitleid, vielmehr fragte er sich, wie viele von Johnnys schlechten Witzen sie noch ertragen würde, bis sie außen wie eine Trockenpflaume und innen wie die Kekse seiner Oma ist.

  „Die ist gebrochen. Wie ist das passiert?“, fragte der Arzt Johnny aus und blickte zu Arvid, während er die Nase behandelte. Johnny sah zu Arvid, mit Wut. „Nun, Sie haben wirklich einen sehr rutschigen Boden hier. Passen Sie bloß auf“, erklärte sich Johnny, während sein Blick weiterhin an Arvid hing. „Soso, der Boden, verstehe“, sagte der Arzt, mit einem Nicken und blickte erneut zu Arvid. Arvid wusste nicht, ob und wenn ja, was er hätte sagen sollen. Der Arzt hätte es sowieso nicht kapiert. Nachdem die Nase gesichert und der Arzt mit strafendem Blick und Krankenschwester verschwunden war, drehte sich Johnny wieder von  Arvid weg. „Danke, Alter“, murmelte es über Arvids trockene Lippen, doch Johnny reagierte nicht. Erst als er wieder von Arvid einen Tritt in die Schulter bekam.

  Lange machte sich Arvid keine Gedanken, um Johnnys Nase, denn die ersehnte Welle kam und wurde von beiden gesurft. Nach fast zehn Wellen war Johnny allein auf dem Wasser. Arvid war weg. Johnny weiß noch, was er fühlte, als er minutenlang kein Bild von Arvid vor Augen hatte. Er rief, schrie und schlug einen Fluch nach dem anderen über das Wasser, doch Arvid war und blieb weg. Auch wusste Johnny noch, wie wütend er auf Arvid gewesen und wie er ganz rot im Gesicht war, als er aus dem Wasser kam und sein Brett in den heißen Sand warf. So sehr, dass er die Menschenmenge, die gut hundert Meter dem Strand entlang war, nicht bemerkte.

  „Wir sind Freunde, auch wenn du dir nicht die Mühe machst, dich wie einer zu verhalten“, seufzte Johnny und betastete seine Nase, vorsichtig. Arvid wollte abermals mit einem Tritt an Johnnys Schulter, dieser stand aber auf und setzte sich auf die Fensterbank an das dreckige Glas. „Ich, ich soll mich wie ein Freund verhalten. Das kommt gerade von dir. Sitzt hier, tust ein auf wichtig und Freund, machst aber nur scheiß Witze. Dachtest du, Du wickelst das hier kurz ab, mit einem Behindertenwitz und ich gebe Beifall. Ich denke nicht. Wie denn auch. Idiot“, entgegnete Arvid.

  Johnny stand in der Menschenmenge und Arvid lag am Boden. Sein rechter Arm, weg. Blut im Sand. „Er ist gegen einen der Felsen getrieben. Hab ihn herausgeholt. Hubschrauber ist unterwegs.“, sagte einer der Anwesenden. Johnny saß mit im Hubschrauber, hielt den übrigen Arm von Arvid, fest, blieb auch in der Nacht im Flur, bei den Stühlen, wartete und hoffte.
„Ich war bei Dir, als das passiert ist. Denkst du, ich fand das geil und hab es gepostet oder was?“, fragte ihn Johnny und wies auf Arvids Stumpf. „Nein, nicht ohne einen dummen Witz. Das Surfen ist für den Arsch“, gab Arvid zurück. „Wieso?“ gab Johnny zurück. „Alter, ich bin ein scheiß Krüppel“, entgegnete Arvid und hielt Johnny seinen Stumpf hin. „Wir packen das, Freund, ohne Witz“, meinte Johnny und Arvid nickte.

Arvid surfte wieder, nach Jahren, mit Johnny. Sein Arm blieb weg, für immer, aber ihre Freundschaft, das Surfen und das Salz auf der Haut blieben auch und zwar stärker denn je.

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Autorin / Autor: Tim Tensfeld