Wassergrab - Teil 7

von Lina Rixgens

Bild "Boat II" von biloba; Quelle: photocase.de

Am Morgen des nächsten Tages wird Lauren aus dem Krankenhaus entlassen. Sie ist immer noch angeschlagen, die Kommissarin möchte aber mit ihr nach Aix-les-Bains fahren.

Lauren und Marie Eustmundt gehen entlang des Lac du Bourget bis ungefähr zu der Stelle, an der sich während der Regatta Start und Ziel befanden. „Du hast also an dem Motorboot angelegt…“ Das war die Stimme der Kommissarin. Sie klingt so, als wäre sie weit entfernt. Lauren sieht auf dem Wasser ein ankerndes Schiff. Es sieht beinahe genau so aus, wie das Boot, an dem sie vor einigen Tagen angelegt hat. Plötzlich blitzen Bilder vor ihrem inneren Auge auf. Bekannte Bilder. Lauren versucht sie zu ordnen. Langsam fügen sie sich zusammen und ergeben einen Ablauf an Geschehnissen. Sie ist wieder auf dem Boot…mit dem Mann – „Lauren? Hörst du mich?“ Wieder die Kommissarin. Erst allmählich findet Lauren zurück in die Wirklichkeit und ihr wird bewusst, was sie soeben gesehen hat. Es füllt die Lücke zwischen dem Moment, in dem sie das schmutzige Tuch auf ihrem Mund spürt und dem Aufwachen im Krankenhaus.

„Ich…weiß, was passiert ist“, bringt sie leise hervor. „Ich bin irgendwann wieder aufgewacht. Ich konnte mich kaum bewegen, lag eingequetscht in enger Dunkelheit. Es rumpelte. Jeder Stoß tat weh. Als ich, immer noch halb benebelt, endlich herausfand, dass ich mich im Kofferraum eines Autos befinden musste, hielt der Wagen gerade an. Das Auto stand neben einem kleinen Steg. Dort hinunter trug mich der Mann. Dass dort ein Schiff lag, konnte ich erst sehen, als wir uns schon darauf befanden. Ich tat so, als wäre ich immer noch bewusstlos, aber nach einiger Zeit muss der Mann doch bemerkt haben, dass ich bereits aufgewacht bin. Das habe ich aber nicht mitbekommen. Ich schmeckte nur auf einmal etwas Bitteres auf der Zunge und habe mich an der Flüssigkeit beinahe verschluckt. Als ich zeitgleich die Augen aufriss, hockte der Mann direkt vor mir. Ich wollte die Flasche, die er an meine Lippen hielt, wegstoßen, doch ich spürte, wie mich meine Kraft verließ. Er muss mir irgendetwas eingeflößt haben.“

Lauren hatte ohne Pause geredet. „Kannst du beschreiben, wie der Mann aussah?“. „Jetzt, wo meine Erinnerung daran zurückgekommen ist, werde ich dieses Gesicht wohl nicht mehr vergessen. Er hatte blonde, kürzere Haare. Seine wasserblauen Augen haben mich die ganze Zeit angestarrt. Er war ordentlich rasiert und hatte ein kantiges Gesicht.“ „Und das Auto, hast du es gesehen?“. „Nein, er hat mich so gepackt, dass ich auf das Wasser geguckt habe. Aber nicht auf dieses. Es war ein anderer See. Ich kannte ihn nicht.“ „Was ist danach passiert?“. „Ich habe gespürt, wie ich immer müder wurde, bis ich irgendwann eingeschlafen sein muss. Ich habe seinen Blick währenddessen gespürt.“ „Kennst du diesen Mann?“. „Nein.“ „Du hast ihn vorher noch nie gesehen?“. Ein Kopfschütteln. Die Kommissarin wartet darauf, dass Lauren weiter erzählt. „Ich wachte wieder auf. Es war schon wieder dunkel, ich befand mich aber immer noch in dem selben Raum, wie vorher. Der Motor des Schiffes war zu hören. Ich hatte Angst, Panik, ich musste unbedingt runter von diesem Boot. Ich wusste nicht, was der Mann von mir wollte. Aus der Richtung, wo ich die Tür vermutete, drang ein bisschen Licht herein. Ich stand auf, aber meine Beine waren noch schwach, sodass ich mich an der Wand abgestützt habe. Meine Hände waren erstaunlicherweise nicht gefesselt. Vom Boot runter konnte ich schließlich auch nicht. Als ich die Tür einen Spalt breit öffnete, erkannte ich rechts das Steuerrad, hinter dem der Mann stand. Ich versuchte keine Geräusche zu verursachen und schlich mich an dem Aufbau des Schiffes gestützt, genau in die entgegen gesetzte Richtung. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass Vollmond war oder daran, dass kein Windhauch sich regte, aber der Mann hatte mich bemerkt.

Er kam über das Deck gelaufen und versuchte, mich zu packen. Ich konnte ihm ausweichen und sah meine einzige Möglichkeit zu fliehen darin, ins Wasser zu springen. Der Mond strahlte das Ufer an. Es war ungefähr 300 Meter entfernt. Keine allzu weite Strecke, aber er konnte hinterher fahren. Ich dachte diesen Gedanken nicht zu Ende, sondern sprang ins Wasser. Die Kälte ließ meinen Herzschlag für eine Sekunde aussetzen, dann war er umso heftiger. Ich tauchte so weit, bis mir die Luft ausging. An der Wasseroberfläche angekommen, drehte ich mich auf den Rücken um. Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz im Bauch. Er lähmte mich für einen Moment. Als meine Hand zu der schmerzenden Stelle hin wanderte, spürte ich etwas Hartes. Instinktiv zog ich es heraus. Es war ein Messer.“

Lauren versagt die Stimme. Sie rappelt sich auf. „Ich ließ das Messer fallen. Auf einmal wurde der Motor lauter, bevor sich das Schiff entfernte. Ich schwamm, versuchte zu schwimmen. Ich schluckte Wasser und sah das Ufer weit vor mir. Ich nahm nichts mehr richtig wahr, zwang mich, meine Augen offen zu halten und näherte mich nur ganz langsam dem Land. Meine Kräfte ließen mich im Stich. Irgendwann fielen meine Augen doch zu und ich sah nur noch schwarz um mich herum, ich spürte keine Kälte mehr und keine Schmerzen. Meine Fingerspitzen berührten etwas Hartes, Lehmiges. Dann spürte ich gar nichts mehr.“

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Autorin / Autor: Lina Rixgens - Stand: 25. Februar 2009