Wassergrab - Teil 8

von Lina Rixgens

Bild "Boat II" von biloba; Quelle: photocase.de

Am Lac du Bourget hatte alles angefangen, dort wollte er es auch zu Ende bringen. Vor rund 25 Jahren musste er, damals neun Jahre alt, tatenlos mit ansehen, wie seine damals vierjährige Schwester in diesem See ertrank. Die Familie hatte Urlaub gemacht. Sie wohnten in Paris. Weder die Eltern, noch später die Polizeitaucher konnten sie finden, geschweige denn, ihr helfen. Der junge Marc stellte sich vor, dass seine Schwester alleine in ihrem Wassergrab sei. Er wollte ihr dorthin folgen, doch später reiste er noch zu den Orten, an denen sie gemeinsam Urlaub gemacht hatten: Texel, Cork, Aberdeen, Brest, Aix-les-Bains.

Um Eva die Langeweile zu vertreiben, wollte er ihr Spielgefährtinnen schicken, Mädchen in ihrem Alter und älter. Marc DuBois sucht sich seine Opfer immer sorgfältig aus. Er beobachtet sie wochenlang und legt sich einen perfekt ausgeklügelten Plan zurecht. Es darf nichts schief gehen. Es gibt kein Muster, nachdem er vorgeht, aber er sucht sich immer eine Stelle aus, ein Wassergrab, das sich mitten auf einem See oder dem Meer befindet. Das Wasser verbindet die Mädchen mit seiner Schwester. Nach spätestens zwei Opfern an einem Ort, wechselt er das Land. Nur in Aix-les-Bains sollten es drei werden. Dort war Eva gestorben. Er möchte ihr zeigen, dass er bald kommt.

Lauren Rotiera wollte er ursprünglich noch ein paar Tage lang beobachten. Doch dazu kam es nicht mehr. Sie hat ihn gesehen. Sie hat gesehen, wie er die Französin Claire zu seiner Schwester schickte. Danach hat er versucht zu angeln, sich dadurch zu tarnen, aber er wusste, dass er jetzt schnell handeln muss. Sein Plan ist noch nicht komplett durchdacht. Er kann ihn so nicht durchführen, muss sich etwas Neues ausdenken. Doch dazu bleibt keine Zeit. Er fährt näher an das Regattafeld heran, dorthin, wo sie ins Ziel kommen würde. Lauren liegt an erster Stelle. Er weiß, dass es klappen würde. Es muss klappen.

Nun, nachdem er realisiert hat, was geschehen ist, lädt er sie in sein Auto und fährt erst einmal ziellos herum. Er muss einen klaren Kopf bekommen, sich konzentrieren. An den Lac du Bourget nach Aix-les-Bains darf er auf keinen Fall zurück, sein Muster aber muss er beibehalten. Welcher See es ist, spielt kaum eine Rolle; also fährt er nach Genf, außen um die Stadt herum bis an den Lac Léman.

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Nach dem Gespräch mit Lauren nimmt der Fall immer mehr Konturen an. In allen westeuropäischen Ländern wird das mit Laurens Hilfe erstellte Phantombild veröffentlicht. Es gehen viele Hinweise bei der Polizei ein: Ein junger Mann erkennt in dem Bild seinen verschollenen Cousin und eine Obstverkäuferin aus Versailles den Dieb, der ihre Kasse leer geräumt hat. Es sind aber auch brauchbare Hinweise dabei. So melden sich zwei ältere Damen aus Brest und Villeurbanne, nahe Lyon. Laut der örtlichen Polizei waren beide Vermieterinnen des Täters, den sie als Marc DuBois identifizieren. Sie nennen ihn einen freundlichen, und zurück gezogen lebenden Mieter. Madame Blanchard aus Villeurbanne, wo er momentan wohnt, hat ihren Mieter schon seit einigen Tagen nicht mehr gesehen und verspricht den Polizisten, Bescheid zu sagen, sobald er sich bei ihr meldet. Der Lac du Bourget wird rund um die Uhr überwacht. Inzwischen wurde das Boot des Täters gefunden: Ohne Marc DuBois. An Bord wurden einige Gegenstände des Täters sichergestellt, der jedoch sehr genau darauf geachtet hat, jeden Hinweis auf seinen Aufenthaltsort verschwinden zu lassen.

Einen Tag, bevor Lauren als vermisst gemeldet wurde, verschwand ein anderes Mädchen, die zwölfjährige Claire Faubourg aus Chambéry. Auch wenn nichts dafür spricht, geht Marie Eustmundt immer mehr von einem Serientäter aus. Was ist, wenn Claire dem gleichen Täter zum Opfer gefallen ist, wie Lauren? Aber, warum tut jemand so etwas? Diese Frage lässt sie nicht mehr los.

Um 18:45 nimmt die Kommissarin einen Anruf entgegen. Ein weiteres junges Mädchen wurde soeben von ihren Eltern als vermisst gemeldet: Eva Rigère aus Paris, 5 Jahre alt.

Die Kommissarin ist sich sicher, dass es sich um den gleichen Täter handelt und dass er wieder am Lac du Bourget auftauchen wird. Lauren hat gesehen, wie der Mann etwas Schweres ins Wasser hinab ließ. Könnte es sich um einen Menschen gehandelt haben? Sollte Lauren sterben, weil sie zu viel gesehen hatte?

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Autorin / Autor: Lina Rixgens - Stand: 26. Februar 2009