Auf der anderen Seite der Tür

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Der Türknauf in meiner Hand fühlt sich kühl an. Noch ist die Tür angelehnt, noch kann ich deinen Geruch, noch kann ich dich erahnen, noch bin ich da, wo ich sein will, bei dir. Ich zögere, ich will nicht gehen, und schon fällt die Tür ins Schloss. Der Impuls war zu stark. Nun stehe ich draußen auf der oberen der beiden Stufen, die zu dir führen. Auf der anderen Seite der Tür.
Wir sind getrennt.
Neben mir ein Blumenkübel voll wahnsinnig schöner Blumen. Aber ich will den süßen Duft, den sie verströmen, nicht wahrnehmen, er vertreibt deinen Duft, der noch immer an mir klebt. Tränen rennen über meine Wangen, als ich mich endlich zwinge, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Wann hat laufen das letzte Mal solch eine Mühe gemacht, wann war es das letzte Mal so unendlich schwer? Die Riemen meiner Sandalen scheuern. Aber es ist mir egal. Die Tränen, sie spielen ein Spiel, welche zuerst meine Lippen berührt. So wie du sie nie berührt hast. Sie übertreffen einander.
Ich bin auf der falschen Seite der Tür. Ich wage es kaum, mich umzudrehen und hoffe doch so sehr, dass dann du da in der offenen Tür stehst und mich anschaust mit diesen wahnsinnigen Augen. Mit diesem unglaublichen Blick, der Blick, der mehr als Tausend Worte sagte. Inzwischen laufe ich durch Menschenhorden, ich spüre die Blicke, aber ich mag die schwarzen Schlieren auf meiner fast weißen Haut. Ich kann kleine, zarte Schweißperlen auf meiner Oberlippe spüren. Sie vermischen sich mit den Tränen.
Warum ist Liebe so unglaublich schwer? Wo sind unsere Gefühle hin? Bitte sag, dass sie nur auf großer Amerikareise sind. Bitte sag, dass sie bald heimkehren; bitte mach, dass sie bald heimkehren – zu uns. Wo war das unsichtbare Band heute, das Band, das uns zusammengehalten hat, das uns verbunden hat? Ich habe pausenlos an dich gedacht. Sag, ist es zerrissen, als wir uns zu weit aus dem Fenster lehnten, heut Nacht? Lehnten wir uns zu weit aus dem Fenster?
Ob man es flicken kann? Ich glaube kaum. Ich fühle mich wahnsinnig allein. Es hätte das Paradies sein können, wir träumten doch beide davon, nicht wahr? Es kann doch nicht sein, sag nicht, dass ich mich so lange in dir getäuscht habe.
Meine Gefühle zu dir waren so intensiv, sie waren etwas ganz Besonderes. Sie sind es noch immer. Plötzlich zählte es nichts mehr, dass deine Nase nicht schön, deine Zähne schief sind.
Alles was zählt, bist du.
Ich kann nicht glauben, dass es wirklich geschehen ist. Ich kann nicht glauben, dass ich auf der falschen Seite der Tür bin, auf der, die uns beide trennt. Du warst der Richtige, du bist der Richtige. Oder nicht?
Ich möchte jede Sekunde meines Lebens mit dir verbringen, auch jetzt noch. Doch die Tür ist zu, weil ich es wollte. Denn es hat sich alles so falsch angefühlt, heute Nacht. Es hat sich auf einmal nicht mehr richtig angefühlt, dich zu wollen, und dich zu haben. Du willst nicht wissen, wie oft ich davon geträumt habe. Zu oft. Ich war zu verliebt in dich, als dass ich noch einen klaren Gedanken hätte fassen können. Mein Kopf schwirrt, doch in ihm tanzen keine Schmetterlinge mehr den schönsten Tanz, unseren Tanz.
Ahnst du, wie es sich anfühlt, hier, wo ich bin? Ahnst du, wie es hier ist, auf der anderen, auf der falschen Seite der Tür?
Ich vermisse die Nähe zu dir, dabei war ich es, die ging. Dabei war ich es, die sich so fehl am Platz fühlte. Es tut mir Leid, hörst du, ich wollte die Tür nicht zuziehen, ich wollte sie für immer angelehnt lassen. Ich hätte zurückkehren können, zu dir, in unser Paradies.
Erinnerst du noch die Zeiten, als die Spannung zwischen uns so groß war, dass wir glaubten, zu explodieren? Erinnerst du die Tage, an denen ich zu laut lachte, zu laut redete, viel zu auffällig war und doch versuchte, Normalität einkehren zu lassen? Was sie nicht tat – natürlich nicht.
Ich bin wieder allein. Mir ist kalt und ich bin so unendlich müde. Stell dir vor, mein dünnes Kleid klebt an meinem Rücken und doch friere ich. Komm her, nimm mich in deine Arme.
Ich kann nicht vergessen, wie ich heute Nacht mit meinen zehn Fingernägeln über deinen Rücken gefahren bin, auf den ich so oft starrte. Zehn irre Monate, wo du vor mir standest, und ich gedacht habe, wie breit deine Schultern doch sind.
Ich weiß noch, wie alles, was um mich herum passierte, mir egal war. Wie nur noch du Platz in meinem Universum hattest. Weißt du es auch noch?
Ich weiß noch, wie unsere Körper gezittert haben, all die Monate, in denen wir stumm waren. In denen Blicke alles waren, was wir hatten. Wir hatten es verstanden, all unsere Gefühle in diese, in unsere Blicke zu legen. Manchmal haben sie mir den Atem genommen und den Verstand geraubt. Weißt du es auch noch? Bitte enttäusche mich nicht, bitte sag, dass du es auch noch weißt.
Warum nur habe ich die Tür zugezogen? Ich will wieder auf deiner Seite der Tür sein. Ich will in deinen Armen sein, ganz nah bei dir, meinen Körper an deinen schmiegen, deinen männlichen Rücken mit meinen Fingerspitzen berühren.
Ich hatte Angst, du denn etwa nicht? In unseren Blicken lag so viel Liebe, sie müssen doch etwas mitgekriegt haben, die anderen?!
Wir zerfleischten uns und tun es noch immer. Irgendwann stand ich vor deiner Tür. Auf einer der beiden Stufen, die zu dir führten. Und du, du hast die Tür geöffnet. Kaum zu glauben, dass das erst gestern gewesen sein soll.
Unser Verlangen war so groß.
Ist das jetzt hier Liebe zwischen uns? Es gab Momente, da lohnte sich diese Frage nicht mehr, weißt du noch? Da hatte sie sich von ganz allein beantwortet. Aber jetzt, jetzt ist alles anders. Denn zwischen uns ist eine Tür. Und du wirst sie nicht mehr öffnen. Für mich nie mehr.
Aber ich will dich nicht verlieren, du hast mir alles bedeutet, du tust es noch immer.
Warum hast du mich gehen lassen? Hast auch du den Fehler gespürt? Aber wie kann Liebe ein Fehler sein?
Liebster, ich werde dich so unglaublich vermissen, ich tue es jetzt schon.
Auch wenn ich es war, die die angelehnte Tür nicht wollte, auch wenn ich es war, die sie zuzog.

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Autorin / Autor: Judith, 18 Jahre - Stand: 14. Mai 2010