Zwischen Ostalgie und Geschichtsunterricht

Studie untersucht das DDR-Bild von thüringischen SchülerInnen

Quelle: RUBIN – Wissenschaftsmagazin der RUB

Vor einigen Jahren noch, genauer im Jahr 2008 erregte eine Studie großes Aufsehen mit der These: ostdeutsche SchülerInnen verklären die DDR und haben ein nostalgisches Gefühl gegenüber ihrem einstigen Heimatstaat. Fünf Jahre später untersuchte die Geschichtswissenschaftlerin Kathrin Klausmeier, inwieweit das heute noch zutrifft und kommt dabei zu einem ganz anderen Ergebnis. Wie die Forscherin der Bochumer Ruhr-Universität herausfand, haben ostdeutsche SchülerInnen inzwischen durchaus ein Bewusstsein dafür, dass in der DDR nicht alles in Ordnung war. RUBIN, das Wissenschaftsmagazin der Ruhr-Universität, berichtet über ihre Studie, in der Klausmeier 750 thüringische SchülerInnen zu ihrem DDR-Bild befragt hat.

In einem 13-seitigem Fragebogen mussten die SchülerInnen nicht gerade einfach zu beantwortende Fragen (sogenannte Dilemmafragen) bearbeiten. So mussten sie zum Beispiel die Kinderbetreuung in der DDR im Vergleich zu der heutigen beurteilen: Dabei stimmten die meisten von ihnen für die DDR, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Kinderbetreuung in der DDR bedeutete nämlich gleichzeitig eine ideologische Erziehung hin zum sozialistischen Staatsbürger. In einer weiteren Frage wurde nachgehakt, ob die SchülerInnen diese ideologische Erziehung für eine garantierte Kinderbetreuung akzeptieren würden. Das lehnten die Jugendlichen dann allerdings mehrheitlich ab. Ihr Antwort lautete: „Das will ich dann doch nicht!“ – obwohl es um dieselbe Sache ging. „Das strukturgeschichtliche Denken fällt den Schülern schwer“, folgert Kathrin Klausmeier. Die SchülerInnen seien nicht „ostalgisch“, sondern hätten zum Teil Schwierigkeiten, zwei Seiten – sozusagen Vor- und Nachteile – eines bestimmten Aspekts in ihrem Urteil zu berücksichtigen, so die Analyse von Klausmeier.

Ein weiteres Ergebnis ihrer Studie ist, dass sich das DDR-Bild von west- und ostdeutschen SchülerInnen gar nicht so stark unterscheidet, wie oft angenommen wird. Der Unterschied liegt im biografischen Zugang der ostdeutschen SchülerInnen, deren Eltern meist Zeitzeugen der DDR sind. Berichten Vater und Mutter aus ihrem damaligen Alltag, beziehen sie sich auf Kindheitserfahrungen oder Freundschaften – Dinge, die auch in einer Diktatur positiv empfunden werden könnten. Die SchülerInnen begegneten der DDR in Familiengesprächen also als dem Heimatland ihrer Eltern und somit auf einer emotionalen und familiär-loyalen Ebene, so die Studie. Das stehe dann im Gegensatz zu dem, was in der Schule vermittelt werde, wo die DDR als Diktatur und Stasi-Staat dargestellt wird. „Für Schüler ist es schwierig, diese konträren Deutungsangebote miteinander zu verknüpfen und einzuordnen“, so Klausmeier.

In Einzelinterviews stellte Klausmeier zudem fest, dass bestimmte Begriffe nicht richtig verstanden werden. Rund jede/r Fünfte der thüringischen SchülerInnen beantwortete beispielsweise die Frage, ob die DDR eine Diktatur war, mit Nein. Bei der Frage, ob es in der DDR freie Wahlen gab, verneinte über die Hälfte dieses Fünftels. Wie passen diese widersprüchlichen Zahlen zusammen? „In den Einzelinterviews habe ich bei den Schülern nachgefragt, was eigentlich Diktatur bedeutet“, erklärt Klausmeier. „Dabei zeigte sich, dass sie den Begriff Diktatur in erster Linie mit der NS-Zeit verbinden. Daran wird gemessen, ob andere Staaten Diktaturen sind.“ Hier mangelt es also an Begriffskompetenz, was aber kein typisch ostdeutsches Problem ist.

Voraussichtlich im Herbst 2014 wird Kathrin Klausmeier die Ergebnisse ihrer Studie als Promotionsschrift veröffentlichen. Und damit deutlich machen, dass sich ostdeutsche SchülerInnen keineswegs die DDR zurückwünschen. Vielmehr ist der Geschichtsunterricht gefragt, um sie dabei zu unterstützen, Begriffe richtig zu verstehen, verschiedene Deutungsangebote sinnvoll zu verknüpfen und Geschichte kritisch zu hinterfragen.

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Autorin / Autor: Redaktion/ RUBIN – Wissenschaftsmagazin der RUB