2035

Von Laura Katharina Eimer, 22 Jahre

Ein Piepen, ein helles Licht und da ist die Stimme, die mich aus meinen Träumen reißt:

„Guten Morgen Hanna. Es ist 6:20 Uhr, Zeit für dein Frühstück. Wie ich sehe hast du Lust auf Rührei mit Speck. Zieh dich an, dein Essen wird nun zubereitet.“

Manchmal wünsche ich mir die Zeit meiner Jugend zurück. Geweckt wurde ich von einem stinknormalen Wecker von Ikea, der einfach nur mit jedem Piepen lauter wurde und bei dem man nochmal auf die Schlummertaste drücken konnte.
In den Ferien war das etwas anders. Entweder wurde man durch die Sonnenstrahlen, das Vogelgezwitscher oder die Eltern geweckt, die meinten, man könne in den Ferien nicht den ganzen Tag verschlafen.

Aber meine Schulzeit ist nun auch schon lange vorbei. Mein Abitur habe ich 2019 gemacht.
Wow, 2019 das war vor 16 Jahren.
In diesem Jahr nahm die Zahl der Umweltverbesserer enorm zu, an der Spitze die großartige Greta Thunberg. Was die jetzt wohl macht?

Ich war selbst im großen Kampf gegen den Klimawandel aktiv, habe an Demonstrationen teilgenommen und angefangen, meinen Müll korrekt zu trennen. Meine Freunde und Ich waren voller Hoffnung, die Welt retten zu können. Und jetzt?
Nun ja, in fast zwei Jahrzehnten hat sich viel verändert und keiner hätte sich damals eine solche Zukunft ausgemalt.

Natürlich war die Umwelt ein wichtiges Thema, doch Technik eben auch. Ich weiß noch genau, wie fasziniert ich war, als einem Siri und Alexa das Leben erleichterten. Immer mehr technische Neuerungen kamen dazu, Staubsauger- und Rasenmähroboter, Gesichtserkennung für Mobiltelefone und so weiter.
Trotz allem hatten wir noch ein freies, selbstbestimmtes Leben, wenn wir uns doch manchmal ein wenig kontrolliert fühlten.

„Hanna! Dein Essen! In 5 Minuten ist Abfahrt und in 20 Minuten beginnt deine Schicht!“

Ein freies Leben, ja das wäre jetzt schön. Aber wenn ich diese Stimme höre, fühle ich mich wie ein kleines Kind und nicht wie 34.

Ich stehe auf, ziehe mich an und gehe zum Frühstückstisch. Und tatsächlich: Rührei und Speck ist genau das, was ich jetzt brauche. Nur ist es eben nicht dasselbe wie noch vor 16 Jahren. Die Kombination aus Klimawandel und Technisierung zaubern mir nun eine Art Astronautenessen auf den Teller. Ja es ist warm, ja es sieht aus wie Haferschleim, aber immerhin schmeckt es wie Ei und fettiges Fleisch, wenn ich meine Augen schließe. An die Konsistenz gewöhnt man sich mit der Zeit.

Während ich mein Essen herunterschlinge und meinen Kaffee hinterher kippe, kommt meine Assistentin Luna mit ihren kalten, mit Kabeln und Batterien durchzogenen Armen und räumt mein Geschirr ab.
Sicherlich wäre so etwas früher mein Traum gewesen, doch heute fühle ich mich einfach nur als winziges Teil dieser Maschine Welt. Ich bin mir sicher, mein Fehlen würde nicht einmal auffallen. Luna könnte die wenigen Aufgaben, die ich habe, sicherlich übernehmen.

Ich stehe auf, gehe ins Badezimmer und lasse mich von meinem Multitasking-Spiegel zurechtmachen. Ach was wäre das schön gewesen, als ich Teenager war. Kein stundenlanges Schminken bevor es auf die Party ging, keine Brandblasen an den Fingern von meinem Glätteisen und auch kein schiefer Lidstrich (Ich konnte nie gut mit Schminke umgehen).
Augen zu, Mund auf: Wimpern werden getuscht, Zähne geputzt und die Haare gekämmt. Von oben kommt eine Hand und bindet mir einen perfekten Pferdeschwanz.

Und ab nach draußen, der Autopilot meines Elektroautos wartet nicht lange. Ich steige ein und los geht die Fahrt. Unterwegs checke ich die Nachrichten.

„Smartphones ab 2 Jahren? Forscher kommen zu neuen Ergebnissen.“

„Bundespräsident in Gefahr: Sicherheitssystem im Haus gehackt.“

„Neue Studie über Leben auf dem Mars.“

„Eventuell Neuzüchtungen von Schweinen möglich“.

Okay, genug Informationen so früh am Morgen.
Ich schaue aus dem Fenster und sehe die großen, blassgrünen Stäbe an mir vorbeiziehen. Früher standen dort Bäume und man saß auf der Parkbank und fütterte die Enten. Heute sitzt dort niemand mehr. Die Sonne brennt auf den Asphalt und eigentlich sieht es aus, als würde hier keine Menschenseele leben.
Und die Bäume? Die sind verschwunden. Durch die modernen „Treesticks“ bekommen wir aber dennoch Sauerstoff, der durch besondere technische Vorgänge erzeugt wird.
Was würde ich jetzt dafür geben wieder Abiturientin zu sein, auf der Straße zu demonstrieren und den Klimawandel zu stoppen.
Wir können eigentlich froh sein, dass uns wenigstens die Technik geblieben ist, während die Natur zerstört wurde. Ohne sie wären wir alle schon lange nichtmehr hier…

Naja, viel zu tun gibt es hier nicht, es ist ein monotones Leben geworden. Ich werde von Luna geweckt, werde zur Arbeit gefahren, fahre nach Hause, werde bekocht und gehe schlafen.
Durch die fehlende Natur sieht es überall auf der Erde relativ gleich aus, dadurch lohnt es sich eigentlich auch nicht zu verreisen.
Mit den Freunden muss man sich auch nichtmehr persönlich treffen. Wenn ich reden will, dann kann ich auch Hologramme versenden.

„Hanna wir sind da. Einen schönen Arbeitstag!“

Haha, dass ich nicht lache. Was soll schön daran sein, acht Stunden lang die Augen für unsere Roboter zu bemalen? Aber das ist noch ein angenehmer Job und ich bin froh, dass ich überhaupt etwas zu tun habe. Es gibt sehr wenige Arbeitsplätze, da eigentlich so ziemlich alles automatisiert abläuft. Deshalb lieber nicht darüber beschweren, dass ich einen Master in Umweltrecht habe, mit dem ich heute nichts mehr anfangen kann. Das Blöde ist, ich war noch nie sehr kreativ und ich hasse es, zu malen. Tag für Tag male ich den kleinen Kugeln jetzt aber Pupillen und die Iris auf.
Wie dem auch sei, der Tag geht schon irgendwie vorbei.

Als ich endlich die Glocke zum Feierabend höre, bin ich einfach nur bereit, mich zuhause ins Bett zu legen und einen Film zu schauen.
Früher war ich nach der Arbeit immer noch mit Kollegen am Flussufer joggen und auf dem Heimweg habe ich die Enten gefüttert.
Was würde ich geben für sauberes Flusswasser und endlich mal wieder ein lebendiges Tier zu sehen?

Die Lust, mich an der freien Luft zu bewegen, ist mir vergangen. Es gibt nichts Schönes zu beobachten. Alle Häuser sind im gleichen monotonen Stil gebaut. Weiße, kalte Fassaden, elektronische Rollos, Solarpanele auf allen Dächern, unterirdische Garagen für die Autos, Parkplätze für Drohnen und Elektroroller vor der Haustür. Wenn man Glück hat, erhascht man manchmal einen Blick auf einen kleinen Vorgarten mit Kunstrasen und einem Treestick oder einem kleinen Windrad. Manchmal fällt es mir sogar schwer, mich daran zu erinnern, wie so ein Garten früher aussah, mit Rosenbüschen und frischem Gras.

Ich setze mich ins Auto, werde vom Autopiloten begrüßt und bemerke gar nicht, wie wir zuhause ankommen, weil ich so müde bin, dass Luna mich ins Bett bringt. Ich sage ja, ich fühle mich wie ein kleines Kind und nicht wie eine erwachsene Frau.

Dann werde ich doch noch einmal wach, gehe ins Bad, wechsele meine Kleider und schlurfe zurück ins Bett.
Mist, jetzt bin ich hellwach. Also Fernseher an und zum Einschlafen einen guten alten Disney Film. Als Kind habe ich diese Filme so sehr geliebt, weil man in diese wundervollen Welten eintauchen konnte und vielleicht liebe ich sie gerade deswegen heute noch mehr. Einfach dieser neuen Welt entfliehen.
Die bunten Farben und vielen Tiere zaubern mir ein Lächeln auf mein Gesicht und langsam sinke ich in einen tiefen Schlaf…

Ich laufe durch den kühlen, dunkelgrünen Wald und sehe die Sonnenstrahlen durch die Baumkronen scheinen. Ein Rotkehlchen fliegt an mir vorbei auf einen Baumstumpf und pickt hinein. Was es da wohl macht? Und da ist er! Es hat sich einen Wurm geholt und fliegt weiter. Ich höre das Rascheln der Blätter unter meinen Füßen und atme die frische Luft ein. Ja, die letzten Jahre haben sich gelohnt, durch die Technik konnten wir den Klimawandel wenigstens ein bisschen aufhalten. Die Wälder werden durch Drohnen bewässert, aber Hauptsache wir haben immer noch Bäume und Tiere auf dieser Welt. Die Arten sind zwar nicht mehr so zahlreich wie in den Filmen, aber immerhin leben wir alle noch.

„Hanna! Du musst aufstehen! Es ist 6:20, du hast Lust auf Müsli wie ich sehe. Dein Essen wird nun zubereitet.“

Ich öffne die Augen, gehe zum Fenster und schaue hinaus. Ich sehe die Treesticks und die weißen Häuser. Kein einziger Vogel fliegt vorbei, und niemand geht mit einem Hund spazieren. Es war also doch nur ein Traum.

Ich setze mich an den Tisch und da vibriert mein Handy. Was ist das? Eigentlich ist es immer auf Stumm geschaltet und vibriert nur in Notfällen. Und da auf meinem Bildschirm steht in Großbuchstaben und in roter Farbe:

ACHTUNG! DIE LETZTE TÄTIGKEIT, DIE BISHER NUR VON MENSCHEN AUSGEFÜHRT WURDE, IST JETZT AUCH DURCH ROBOTER MÖGLICH: FORTPFLANZUNG.

Und was passiert jetzt mit uns Menschen? Wir sind nicht mal mehr ein kleiner Teil dieser Welt und unser Fehlen fällt niemandem auf… Luna kann meine Aufgaben sicherlich übernehmen.

Autorin / Autor: Laura Katharina Eimer