Stumpfen Ego-Shooter doch ab?

Wissenschaftler der Uni Bonn untersuchten Gehirnaktivität von ausgiebigen Nutzern

Nach Gewaltexzessen stehen Ballerspiele regelmäßig in der Kritik. In Norwegen verschwanden nach den Attentaten einige der „Ego-Shooter-Video-Spiele“ sogar vorübergehend aus dem Handel. Auch nach den Amokläufen von Erfurt, Emsdetten und Winnenden flammte immer wieder die Debatte darüber auf, ob Gewaltspiele die Hemmschwelle senken und zu aggressivem Verhalten führen. Kaum ist die Kritik geäußert, kommt auch schon ein Gegengutachten, das die Spiele wieder "freispricht".

Psychologen, Epileptologen und Neurologen der Universität Bonn haben nun mal einen Blick in die Gehirne geworfen und die Wirkung von Ballerspielbildern und anderen emotional aufgeladenen Fotos auf die Gehirnaktivität von ausgiebigen Nutzern untersucht. Ihr Ergebnis: Bei intensiven Nutzern sind abweichende Gehirnaktivitätsmuster im Unterschied zu Nichtspielern zu sehen. „Sie zeigen im Vergleich zu Ego-Shooter-Abstinenten deutliche Unterschiede in der Emotionsregulation“, berichtet Erstautor Dr. Christian Montag vom Institut für Psychologie der Universität Bonn.

*So war der Versuchsaufbau*
Die 21 ProbandInnen im Alter von 20 bis 30 Jahren spielten im Schnitt etwa 15 Stunden Ego-Shooter pro Woche. Während der Untersuchung bekamen sie über eine Videobrille einen standardisierten Katalog von Fotos zu sehen, die zuverlässig Emotionen im menschlichen Gehirn auslösen. Die Wissenschaftler registrierten dabei in einem der Hirnscanner die Aktivitäten im Gehirn. Unter den Bildern waren Fotos, wie sie auch in den Gewalt-Spielen vorkommen, aber auch Aufnahmen von Unfall- und Katastrophenopfern. „Mit dieser Mischung von Bildern hatten wir die Möglichkeit, die Testpersonen zum einen in die ihnen bekannte fiktive Ego-Shooter-Welt zu versetzen und zum anderen Emotionen durch reales Bildmaterial auszulösen“, sagt Dr. Montag. Diesen Fotokatalog bekamen auch die 19 Kontrollpersonen zu sehen, die keine Erfahrung mit Gewalt-Videospielen hatten.

Betrachteten die Versuchspersonen die realen, negativen Bilder, zeigte sich eine stark erhöhte Aktivität der Mandelkerne - auch Amygdala genannt. Diese Hirnregion ist sehr ausgeprägt an der Verarbeitung negativer Emotionen beteiligt. „Überraschenderweise war die Amygdala bei den Probanden und der Kontrollgruppe ähnlich erregt“, berichtet der Psychologe. „Das zeigt, dass beide Gruppen emotional ähnlich stark auf die Fotos reagierten.“ Der linke mediale Frontallappen war bei den Gewaltspielnutzern jedoch deutlich geringer aktiviert als bei den Kontrollpersonen. Mit dieser Gehirnstruktur hält der Mensch etwa Angst oder Aggression in Schach.

„Ego-Shooter reagieren nicht so stark auf das reale, negative Bildmaterial, weil sie durch ihre täglichen Computeraktivitäten daran gewöhnt sind“, schließt Montag daraus. „Man könnte auch sagen, dass sie abgestumpfter sind als die Kontrollgruppe.“ Auf der anderen Seite zeigten die Ego-Shooter-Videospieler im Unterschied zu Kontrollpersonen während der Verarbeitung der Computerspielbilder eine erhöhte Aktivität in Hirnarealen, die mit Gedächtnisabruf und Arbeitsspeicher assoziiert sind. „Dies deutet darauf hin, dass die Spieler sich durch die Computerspielbilder in das Videospiel hineinversetzten und eine mögliche Löungsstrategie für den gezeigten Spielstand suchten“, sagt Dr. Montag.

*Gewaltspiele als Ursache für Veränderungen in der Gehirnaktivität?*
Wie sind aber die Ergebnisse zu interpretieren? Zeigen die NutzerInnen durch die Spiele eine veränderte Hirnaktivität, oder waren sie schon vorher toleranter gegenüber Gewalt und griffen deshalb bevorzugt zu Ego-Shootern? Für die Forscher war die Antwort klar: da sie verschiedene Persönlichkeitsmerkmale wie Ängstlichkeit, Aggressivität, Gefühlskälte oder emotionale Stabilität mitberücksichtigt hatten und sie diesbezüglich zwischen den Probanden und der Kontrollgruppe keine Unterschiede feststellten, war das für sie ein Hinweis darauf, dass die Gewaltspiele die unterschiedliche Informationsverarbeitung im Gehirn verursachen.

Dr. Montag schließt aus den Ergebnissen, dass es nicht nur während des Computerspielens zur Abstumpfung in den Emotionen kommt. „Die geringere Emotionsregulierung bei Ego-Shootern stellten wir schließlich auch beim realen Bildmaterial fest“, sagt er. Deshalb seien die Reaktionen nicht auf die virtuellen Welten beschränkt. Es gebe bislang viele Studien zu Videospielen und aggressivem Verhalten – aber erstaunlich wenige zu den Effekten auf das Gehirn. „Unsere Ergebnisse liefern Anhaltspunkte, dass die extensive Nutzung von Ego-Shootern nicht unproblematisch ist“, sagt Dr. Montag. „Wir brauchen aber weitere Studien, um den Zusammenhang zwischen Gewaltspielen, Hirnaktivität und tatsächlichem Verhalten noch stärker zu beleuchten.“

Die Ergebnisse der Studie erschienen nun im Fachjournal „Biological Psychology“.

Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 13. Oktober 2011