Sprungbrett oder Krise?

Studie befragt Ex-Castingshow-Teilnehmer über das Danach

Ganz schön mutig? Oder einfach nur naiv? Wer sich einer Castingshow stellt, muss mit Kritik rechnen. Nicht nur von der Jury, sondern auch von den Zuschauern, die sich gemütlich auf dem Sofa vor dem Fernseher wälzen und unterhalten werden wollen. Aber was, wenn man gut ist und wirklich zu überzeugen weiß? Bietet die Castingshow dann vielleicht doch ein Sprungbrett, um es nach oben zu schaffen? Eine aktuelle Studie hat die Ex-Kandidatinnen selbst gefragt. Die Ergebnisse zeigen: Während die Teilnahme für einige ehemalige KandidatInnen eine herausragende Wachstumschance ist, führt es andere in jahrelange Häme durch das Umfeld und in eine schwer zu bewältigende Krise.

Musik-Castingshows wie Popstars oder Deutschland sucht den Superstar erzielen seit Jahren Höchstquoten, insbesondere bei den werberelevanten jungen Zielgruppen. Gerade für Kinder und Jugendliche sind diese Formate attraktiv, denn sie ermöglichen es den ZuschauerInnen, junge und unerfahrene Talente auf ihrem Weg zum Ruhm zu begleiten, oder auch mal so richtig abzulästern. Damit das Genre so gut funktioniert, braucht es „menschliches Material“, unerfahrene junge Talente, die sich entsprechend bereitwillig inszenieren lassen. Doch wie geht es eigentlich den TeilnehmerInnen währenddessen und im Nachhinein? Sehen sie dies rückblickend als große Chance an oder hat es sie in eine tiefe Krise gestürzt?

In einer Kooperationsstudie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) und der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) wurden erstmalig 59 ehemalige TeilnehmerInnen von Musik-Castingshows dazu befragt, wie sie das „Erlebnis Castingshow-Teilnahme“ empfanden und psychisch verarbeitet haben.

*Vom professionellen Sprungbrett bis hin zur tiefen Krise*
Rund die Hälfte der Befragten sieht das „Erlebnis Castingshow-Teilnahme“ im Nachhinein eher positiv, viele haben gemischte Gefühle und für einige war es eine ausgesprochen negative Erfahrung. Herausgearbeitet wurden sieben typische Erfahrungsmuster, die von herausragender Wachstumschance bis hin zur selbstgefährdenden Krise gehen.

Eine insgesamt sehr positive Erfahrung ist die Castingshow-Teilnahme zum einen für Profis, die die Show als Sprungbrett nutzen, wie The Voice of Germany-Teilnehmer Behnam Moghaddam, der mit seiner Band „Mokka Express“ vermehrt Anfragen für Auftritte bekam (Typ 1). Positiv war das „Erlebnis Castingshow-Teilnahme“ auch für die Neuentdeckungen (Typ 2), wie Jonathan Enns der bei DSDS als 20-Jähriger den 9. Platz erreicht hat. Die Herausforderung für ihn nach dem Medienrummel war es, zu begreifen, „dass du nach der Zeit immer noch der Jonathan bist, der du vorher auch warst“.

Deutlich ambivalenter schätzen im Nachhinein diejenigen die Teilnahme ein, die zunächst positiv und dann aber öffentlich von Sendung und Presse ausgesprochen negativ dargestellt wurden, wie Annemarie Eilfeld. Im Nachhinein sagt sie (Typ 3, abgewertete HoffnungsträgerInnen) über diese Zeit: „Ich war 18 Jahre alt und kannte diese Art einer TV-Produktion nicht. Ich vertraute immer allen und im Nachhinein war das naiv und hat mir und meiner Familie sehr viel Schmerz bereitet.“

Bei denjenigen, die innerhalb der Castingshow zu unfähigen „Freaks“ inszeniert wurden, zeigen sich drei Varianten: Es gibt einige, die als heimliche KomplizInnen des Mediensystems an ihrer übertriebenen Stilisierung mitgearbeitet haben (Typ 4). Ihnen haben die Dreharbeiten viel Spaß gemacht, mit dem großen öffentlichen Aufsehen nach der Ausstrahlung haben sie allerdings nicht gerechnet. Dann gibt es diejenigen, die sich der Abwertung nicht bewusst sind, die Beschämung umdeuten und die öffentliche Aufmerksamkeit rund um ihre Person genießen (Typ 5).

Problematisch wird das Leben nach der Ausstrahlung für die Bloßgestellten (Typ 6): Sie gingen naiv und mit großem Vertrauen auf ihre eigene Besonderheit als Mensch in den Prozess. Doch anders als die Rückmeldungen während der Aufnahmen es erahnen ließen, wurden sie in der Sendung als besonders unfähig zur Schau gestellt und müssen nun mit der Häme aus dem sozialen Umfeld leben – zum Teil noch Jahre nach dem „Erlebnis Castingshow-Teilnahme“. Eine ehemalige DSDS-Kandidatin, deren Bewerbung vielfach und über Jahre hinweg wiederholt wurde und zudem jeder Zeit über das Internet anzusehen ist, berichtet, wie jedes Mal wieder „der ganze Scheiß von vorne anfängt, dass man von jedem angesprochen wird“. Im Nachhinein stellt sie für sich fest: „Ich hätte mich niemals dort beworben, wenn ich gewusst hätte, was die mit den Leuten da alles machen, nur um sie blöd darzustellen, nur damit die Leute was zu lachen haben.“

In Selbstkrisen gerieten aber nicht nur die durch das Mediensystem offensichtlich Abgewerteten. Einige der KandidatInnen waren durch die Anforderungen während und nach der Produktion psychisch überfordert (Typ 7). Das „Erlebnis Castingshow-Teilnahme“ mit seinen diversen Krisenpotentialen führte sie dauerhaft in eine psychische Krise. Eine ehemalige DSDS-Kandidatin berichtet: „Ich war damals erst 16 Jahre alt und konnte damit nicht umgehen, bekam später Depressionen und bekomme bis heute mein Leben nicht in den Griff.“

Die Rückmeldung der ehemaligen KandidatInnen an Sender, Juroren und Produktionsteam fällt entsprechend unterschiedlich aus und geht von: „Du warst absolut perfekt als Coach. Ich habe durch dich für mein Leben so viel gelernt.“ (an Rea Garvey, The Voice of Germany-Juror) bis zu  „Es war ein Erlebnis, das ich nie wieder erleben möchte. Es war deprimierend, traurig. Ich bin 16 Jahre alt und bin noch nicht im Stande, solche Sachen auszuhalten. Ich fand es fies, wie du mich behandelt hast. Ich fand es link, was für Lügen du vor der Kamera an mich gerichtet hast und dass du mich zum Weinen gebracht hast.“ (an Detlef D! Soost, Popstars) 

Vor dem Hintergrund der Befragung wird die Sensibilisierung der Produktionsbeteiligten und des Jugendschutzes aber auch die dringende Notwendigkeit von Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen sowie eine Qualifizierung des öffentlichen Diskurses gefordert.

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Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 24. April 2013