Sommerfalle

Autorin: Debra Chapoton

Buchcover Sommerfalle

Rebeccas Leben ist schön. Sie ist beliebt, sie schreibt gute Noten, sie ist ausgeglichen, hat einen charmanten Freund und ist einfach nur glücklich. Was sie nicht weiß: „Spasti-Eddies“ Leben ist weniger schöner als ihres. Als kleiner Junge verlor er bei einem schrecklichen Unfall seinen Vater und zurück blieb nur seine Mutter, die herrisch, befehlshaberisch und einem Kind gegenüber komplett verschlossen bleibt. Ed selbst merkt es nicht, aber insgeheim sehnt er sich nicht nur nach der Liebe Beckys, wie er glaubt, sondern würde außerdem gerne ein Stückchen von der Geborgenheit abbekommen, die ihr zuteil wird. Dabei hat Edward im Grunde genommen schon ausgesorgt. Durch erfolgreiches Handeln auf dem Immobilienmarkt hat Edward seine finanzielle Unabhängigkeit gewonnen. Dennoch ist er der Überzeugung, Rebecca zu brauchen und so tut er das, was er aus Liebe zu ihr für ihr und sein Bestes hält: er entführt sie, um sich mit ihr ein neues und schönes Leben aufzubauen. Wird er rechtzeitig begreifen, dass man Gefühle nicht erzwingen kann?

*Ein raffiniertes Buch, das ganz anders ist, als es Titel und Cover zunächst vermitteln*
„Sommerfalle“ ist ein psychologisch tiefgründiger Roman, der in einer extrem gut durchdachten und clever strukturierten Geschichte viele Themen berührt, einiges aufklärt und dennoch manches im Dunkeln lässt.
Meine einzige Kritik richtet sich an den ivi-Verlag selbst, der leider aus der ernsten und messerscharf rasanten, ausgefeilten Geschichte – denn da sitzt wirklich jeder Satz perfekt – eine zum Inhalt so unpassende inadäquate Covergestaltung wählte. Dasselbe gilt für den Titel. Obgleich mir beides zusagte, könnte es vom Inhalt jedoch ein komplett falsches Bild vermitteln. Weder misst die Autorin Debra Chapoton dem Sommer eine außerordentliche Bedeutung zu, noch ist der Schmetterling ein wichtiges Objekt des Inhalts. Eine Katze wäre beispielsweise wesentlich stimmiger gewesen, allerdings hätte sie vermutlich weniger neugierig auf den Inhalt gemacht?- So aber erwartete ich eine „rosarotere“ Story, die mal nur „ganz nett“ der Unterhaltung dienen würde.

*Debra Chapoton bietet einen phänomenalen Spannungsbogen, weil jederzeit alles möglich ist*
Stattdessen bannte mich Debra Chapoton vom Anfang, bis zum Ende.  Ein heftiger und äußerst ansprechender Sog entsteht durch Perspektiven und -Zeitwechsel. Ich fühlte mich wie in einer Blase gefangen, denn jederzeit war alles möglich. Die Variablen schienen unendlich und gemeinsam mit den Figuren „switchte“ ich zwischen einer sehr weit zurückliegenden Vergangenheit, einer Gegenwart und einer jüngsten Vergangenheit hin und her. Teilweise klärte sich erst im Nachhinein oder im Verlauf des Kontextes, wo genau man sich nun befand oder wer man gerade war. Nie war ich dabei verwirrt oder überfordert. Denn kleine Hinweise, die die Leselust anstachelten und Aufklärung ermöglichten, rundeten jede noch so kurze Szene ab.

*Ein Lesemuss*
Geboten werden einem in „Sommerfalle“ unter anderem ausführliche Einblicke in die Gedankenwelten verschiedener Charaktere, die „aufeinander“ treffen. Einem „Katz-und-Maus“-Spiel gleich, führt Debra Chapoton sowohl ihre LeserInnen als auch ihre Figuren selbst an der Nase herum und was mir am Besten gefiel: sie hatte es nicht nötig alles aufzudecken oder gesondert explizit zu erwähnen. Vieles kann man sich selbst im Kopf zusammenreimen, manches wird Vermutung bleiben und insgesamt: das Gebilde, bzw. das Konstrukt, auf dem diese Geschichte aufgebaut ist, ist wahrlich nur genial und MUSS gelesen werden.

*Keine Klischees, keine „Schema F“ Geschichte!- Gut durchdacht, simpel und sehr wirkungsvoll*
Entgegen meiner Erwartungen wird man hier nicht mit einer  weiteren eingebildeten Schönheit konfrontiert, die das Zentrum ihres eigenen Universums bildet und nicht bemerkt, wie sie andere verprellt. Debra Chapoton löst sich von stereotypischen Mustern, schafft Neues, ergänzt das Eine mit dem Anderen, vertauscht die Rollen, schafft Sympathien und Antipathien in Einem und fügte ständig noch eine weitere Komponente hinzu, als ich schon glaubte, noch mehr kann sie gar nicht bieten. Noch nie habe ich mit einem Täter, der zeitgleich mit der Durchleuchtung seiner Vergangenheit zum größten Opfer von allen wird, so sehr gelitten wie hier und geriet selbst in einen Widerstreit meiner Gefühle, als ich versuchte verschiedene, moralische Stufen gegeneinander abzuwägen und dennoch auf kein passables Ergebnis kam.

*Mein endgültiges Urteil*
Präzise und auf den Punkt gebracht berauschte ich mich in „Sommerfalle“ (im Englischen „Edge of Escape“) an wahnsinnig tollen Charakteren, weil diese sowohl schöne als auch hässliche Wesenszüge besitzen und damit ein höchstmaß an Authentizität garantieren, einfach nur dadurch, dass es in der Realität ähnlich ist. Desweiteren berauschte ich mich an einem beinahe schon gruselig guten Inhalt, der durch Abwechslung, Spannung, Tempo (!) und vollkommener Offenbarung glänzt. Und zu guter letzt berauschte ich mich an Parallelen, tief verwurzelten Verstrickungen und einem Gesamtpaket, was wesentlich mehr zu bieten hat, als es die vom ivi-Verlag ersonnen Verpackung zunächst vermuten lässt.

Mein geheimster Tipp vom Geheimen und ein Buch, dem ich tausende von LeserInnen wünsche.

*Erschienen bei: ivi*

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Autorin / Autor: charlielou - Stand: 27. März 2012