Nicht gemacht für die Stadt?
Evolutionsbiologie: Der Mensch ist noch nicht ausreichend angepasst für das stressige Leben in der Stadt. Darum sind natürliche Umgebungen kein Luxus, sondern (über)lebenswichtig
Immer mehr Menschen fühlen sich dauergestresst und Forscher:innen fragen sich, woher das wohl kommt und wie man dem entgegenwirken kann. Denn chronischer Stress ist höchst ungesund. Forscher:innen der Loughborough University und der Universität Zürich haben die Hypothese aufgestellt, dass chronischer Stress auf das für den Menschen wenig geeignete Leben in Städten zurückzuführen ist. Die rasante Industrialisierung habe den Lebensraum des Menschen so dramatisch verändert, dass unsere Biologie da möglicherweise nicht mehr mithalten kann.
Die Studie hebt hervor, dass dicht besiedelte, verschmutzte und industrialisierte Umgebungen die sogenannte „evolutionäre Fitness” des Menschen angreifen. Unter evolutionärer Fitness versteht man grundlegende biologische Funktionen, die für das Überleben und die Fortpflanzung unerlässlich sind. Ihre Vermutung: Der Mensch ist eigentlich nicht für ein Leben in der Stadt gemacht, hatte aber auch noch nicht genug Zeit, sich entsprechend anzupassen. Denn Evolution dauert viel, viel länger als die rasante Entwicklung, die die Natur innerhalb kürzester Zeiträume in Mega-Städte verwandelt.
Dr. Danny Longman, Dozent für menschliche Evolutionsphysiologie an der Loughborough University, erklärte: „Während des größten Teils unserer Evolutionsgeschichte wurde unsere Biologie von natürlichen Umgebungen geprägt. Innerhalb weniger Generationen hat die Industrialisierung die Welt um uns herum rapide verändert – schneller, als die Evolution mithalten kann."
Die Hypothese legt nahe, dass genau die Umgebungen, die wir geschaffen haben, um das moderne Leben zu unterstützen, nun unsere Fähigkeit beeinträchtigen könnten, zu gedeihen und uns sogar fortzupflanzen.
Vorhersagen zufolge leben bis 2050 68 Prozent der Weltbevölkerung in Städten. Wenn die Annahme stimmt, dass Menschen in Städten durch ihre mangelnde Anpassung ihre evolutionäre Fitness verlieren, also weniger fruchtbar sind, häufiger an chronischen Krankheiten leiden, weniger Kraft, Energie und Denkvermögen entwickeln, dann sieht es wohl schlecht aus für die Menschheit.
Dr. Colin Shaw von der Universität Zürich fügte hinzu: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Kontakt mit natürlichen Umgebungen kein Luxus ist, sondern eine biologische Notwendigkeit. Je mehr wir uns von der Natur entfernen, desto mehr riskieren wir, die grundlegenden Systeme zu untergraben, die uns gesund, widerstandsfähig und langfristig überlebensfähig halten.“
Bleibt also zu hoffen, dass auch die Städte der Zukunft naturnahe Räume für Menschen erhalten, in denen sie Ruhe und Kraft tanken und sich vom städtischen Dauerstress erholen können.
Die Studie wurde im Fachmagazin Biological Reviews veröffentlicht.
Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 4. Dezember 2025