Nachbarschaft gegen Intoleranz

ForscherInnen: Ethnische Vorurteile sind deutlich von der eigenen Wohnumgebung beeinflusst

Vermutlich sind Hass und Vorurteile der traurige Anlass dafür, dass sich die Zahl der rechtsextremen Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im letzten Jahr mehr als verdoppelt hat. Laut Statistiken des Bundeskriminalamtes gab es 2012 24 solcher Angriffe, im Jahr 2013 wurden 58 registriert. Rassismus ist aber nicht nur ein Phänomen von Glatzköpfen, sondern wurzelt tief in der Mitte der Gesellschaft - besonders bei jenen, die eigentlich kaum etwas mit anderen Ethnien zu tun haben. Wie kann man dieser menschenverachtenden Haltung begegnen?

WissenschaftlerInnen der FernUniversität in Hagen und der Universität Oxford suchen nun nach neuen Wegen und wollten wissen, welche Veränderungen sich ergeben, wenn die Mehrheitsgesellschaft mehr Kontakte mit Minderheiten hat und zum Beispiel in einer Nachbarschaft miteinander wohnt. Basierend auf Umfragedaten aus sieben Studien, die zwischen 2002 und 2011 in Deutschland, England, Europa, den USA und Südafrika durchgeführt wurden, untersuchte das Forscherteam die Einstellung von Personen gegenüber unterschiedlichen ethnischen Gruppen. Sie fanden heraus: Ethnische Vorurteile sind deutlich von der eigenen Wohnumgebung beeinflusst - je mehr Kontakt zwischen Ethnien besteht, desto weniger werden die Vorurteile. Interessant dabei ist, dass selbst Personen, die Kontakte mit ethnischen Minderheiten gezielt vermeiden, weniger Vorurteile aufweisen, wenn in ihrer Umgebung Kontakte zwischen unterschiedlichen Ethnien üblich sind.

*Toleranz steigt in gemischten Gruppen*
„Wir können zeigen, dass positive Kontakte zwischen Personen unterschiedlicher ethnischer Gruppen generell zu einer höheren Toleranz führen“, sagt Dr. Oliver Christ vom Psychologischen Institut der FernUniversität in Hagen. „Erstaunlicherweise sehen wir nicht nur eine Verminderung von Vorurteilen bei Menschen, die selbst positive direkte Kontakte mit ethnischen Minderheiten haben. Dieser Effekt ist auch bei jenen zu beobachten, die lediglich Freunde mit solchen Kontakten haben. Vorurteile reduzieren sich, wenn man in einer Umgebung lebt, in der die Menschen ganz generell positive Kontakte mit Angehörigen von Minderheiten haben.“

Dies erläutert Christ an einem Beispiel: „Wenn zwei weiße Personen mit identischen Einstellungen gegenüber Minderheiten ein Jahr lang in zwei unterschiedlichen Stadtteilen leben, würden sich ihre Einstellungen sehr wahrscheinlich ganz unterschiedlich verändern. Voraussetzung ist natürlich, dass sich ihre Umgebungen im Hinblick auf das Ausmaß an positiven Kontakten zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen unterscheiden“, sagt Dr. Oliver Christ, der Erstautor der Untersuchung. „Die Person, die in einer Nachbarschaft mit mehr Kontakten lebt, wird sehr wahrscheinlich toleranter werden, selbst dann, wenn sie selbst nie mit jemandem aus einer ethnischen Minderheit gesprochen hat.“

*Nachbarschaft heilt auch extreme Vorurteile*
Um auszuschließen, dass nur Personen mit hoher Toleranz solche ethnisch gemischten Nachbarschaften aufsuchen, wurden zwei der sieben Studien über mehrere Jahre hinweg durchgeführt: So konnten die Veränderungen der Einstellung über einen größeren Zeitraum beobachtet werden. Diese Längsschnitt-Befragungen zeigen, dass selbst Personen mit extremen Vorurteilen und ohne jeglichen Kontakt gegenüber Minderheiten toleranter werden, wenn ihre Nachbarn Berührungspunkte mit Minderheiten haben. „In den Stadtteilen mit dem höchsten Anteil ethnischer Minderheiten sanken eindeutig die Vorurteile am stärksten“, so Christ. „Wir sehen keinen Anlass daran zu zweifeln, dass die Ergebnisse der beiden Längsschnitt-Befragungen aus Deutschland auch für andere Länder gelten dürften. Die Querschnitt-Ergebnisse aus England, den USA und Südafrika unterstützen diese Annahme.“

Für die jüngste Befragung wurde eine Stichprobe von insgesamt 1.976 Deutschen aus 50 Stadtteilen in Deutschland, alle mit einem unterschiedlichen Anteil ethnischer Minderheiten, im Frühjahr 2010 befragt. Insgesamt 1.054 der Teilnehmer konnten ein Jahr später wiederbefragt werden. Die deutschen Teilnehmer wurden gefragt, wie häufig sie Kontakt zu ausländischen Nachbarn hatten und welche Qualität die Kontakte  hatten. Vorurteile wurden über die Zustimmung zu Aussagen erfasst, die unter anderem vorgaben, dass Ausländer eine Belastung für das soziale Netz sind und Deutschen Arbeitsplätze wegnehmen.

*Politik sollte Kontakte fördern*
Die WissenschaftlerInnen schließen aus ihren Untersuchungen, dass die Politik mehr unternehmen sollte, um Kontakte zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen zu fördern: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass diese Kontakte nicht nur die Vorurteile von einzelnen Personen reduzieren, sondern dass dieser Effekt in der gesamten Nachbarschaft zu beobachten ist. Eingriffe, die solche Intergruppenkontakte wahrscheinlicher machen, helfen auch dabei, tolerantere Normen in der Gesellschaft zu etablieren. Auf längere Sicht sollte dies zu verbesserten Intergruppenbeziehungen führen.“

Die Ergebnisse sind in den Proceedings of the National Academy of Sciences mit dem Titel „Contextual effect of positive intergroup contact on outgroup prejudice“ publiziert.

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 5. März 2014