Gutes Upcycling, schlechtes Upcycling

Wenn Upcycling dazu führt, dass umweltschädliche Verpackungen salonfähig werden, läuft was schief. Wenn es unser Denken verändert, besteht Hoffnung.

Sinnvolles Upcycling alter Paletten in einem Freibad in Bonn

Wir produzieren zu viel Müll und wir vergeuden wertvolle Rohstoffe für minderwertige Produkte, derer wir schnell überdrüssig werden und die dann aufwändig recycelt oder entsorgt werden müssen. Heute begegnen einige dem Konsumwahn mit dem Konzept des Upcyclings, bei dem aus ausrangierten Gegenständen und vermeintlichem Müll neue wertige Gebrauchsgüter entstehen. Weil Upcycling auch viel mit selber machen, basteln und frickeln zu tun hat, wird es auch oft als erweitertes Do-it-yourself verstanden, als preisgünstiges Basteln mit gebrauchten Materialien. In diesem Sinne ist Upcycling ein kreatives Hobby, das den Blick schärft für ungewöhnliche Verwendungsmöglichkeiten von Dingen, die ansonsten im Müll landen.

Erst vermeiden, dann das Leben verlängern, dann upcyclen

Wen aber nicht der kreative Aspekt, sondern der nachhaltige Gedanke von Upcycling reizt, der sollte nicht Shampooflaschen aus dem Müll fischen oder aus Deoroller-Kugeln Lichterketten anfertigen. Denn nachhaltig ist, derartige Abfälle zu vermeiden, nicht sie aufzuwerten. Nachhaltig ist, wenn wir Gebrauchsgüter so lange wie möglich verwenden, reparieren und weiternutzen. Erst wenn sie dann wirklich reif für die Tonne sind, macht Upcycling Sinn.

Müll veredeln ist nicht immer eine gute Botschaft

Upcycling sollte also nicht etwas sein, dass eigentlich unsinnige Verpackungen und vermeidbare Abfälle nachträglich so veredelt, dass die Unternehmen auch noch das Gefühl haben, etwas Gutes zu tun und die Kreativität der Konsument_innen zu beflügeln. Schmuck aus Kaffeekapseln ist kreativ und manchmal wunderschön, er macht aus einer sehr umweltschädlichen Verpackung etwas Tolles. Das ist zwar im eigentlichen Sinne „Upcycling“, aber wir wollen ja nicht Müll veredeln, damit wir kein schlechtes Gewissen mehr haben müssen, ihn zu verursachen. Im Netz wimmelt es von Schmuck-Bauanleitungen für Nespresso-Kapseln auf Seiten mit Namen wie „die-magische-kapsel“. Eine bessere Werbung kann sich der Hersteller wohl kaum wünschen.

*Upcycling als Verkaufsschlager*
Auch der Bio-Müsli Hersteller MyMuesli hat auf seiner Seite einen Haufen tolle „Upcycling-Ideen“ für die aufwändigen Müsli-Dosen (innen alubeschichtet, oben Plastik, außen Pappe), in denen er sein Müsli verkauft. Und natürlich kann man für 5,90 Euro sogar eine Bastelrolle für Kinder mit entsprechenden Vorlagen erwerben. Der Anbieter von true fruits Smoothies bietet sogar in einem eigenen „Upcycling-Shop“ Edelstahl-Aufsätze an, damit die Glasflaschen, in denen die Smoothies verkauft werden, weiter genutzt werden können. Upcycling als Verkaufsschlager! Das ist gut gemeint, aber schlecht gedacht. Die Flaschen sind zwar hübsch und praktisch. Man kann darin auch eigene Kreationen aufbewahren und  transportieren. Wenn ich aber jeden Tag ein Smoothie trinken will, habe ich in vier Monaten schon über 100 energieintensiv hergestellte Glasflaschen. Die braucht kein Mensch, also landen sie ungenutzt im Altglas. Zudem sind sie nicht neutral, sondern so bedruckt, dass die meisten Menschen vermutlich keine Blumenvase oder eine schicke Olivenölflasche daraus gestalten wollen. Das ist nicht nachhaltig, sondern Blödsinn.
Dann doch besser auf Upcycling pfeifen und auf Pfandflaschen zurückgreifen. Oder auf Senf in Trinkgläsern, denn die sind wenigstens wirklich brauchbar und haben schon Generationen von Familien und WGs durch die glasbruchreiche Zeit gebracht (wären sie stapelbar, wären sie allerdings noch besser!).

*Upcycling aus Plastikmüll?*
Upcycling aus Stoffen, die schon im Vorfeld vorher besser vermieden worden wären, ist nur begrenzt sinnvoll. Wenn Eltern im Auftrag der Kindergärtnerin Pringels-Chipsdosen kaufen sollen, weil sich daraus so tolle „Musikinstrumente“ basteln lassen, hat das mit Nachhaltigkeit wenig zu tun. Auch Christbaumschmuck aus Coladosen, mit Sprühkleber und Glitzersteinen verschönert, macht aus einem ohnehin schon problematischen Müll einen noch problematischeren, weil er nun nicht mehr sortenrein sortierbar ist und nicht mal mehr fürs Recycling taugt. Altpapierkreationen fallen in die gleiche Kategorie, wenn das Papier mit Kleber, Lack, Draht zu einem unverwertbaren Mischmüll-Produkt verbastelt wird, das ebenfalls nur eine kurze Nutzungsdauer hat. Upcycling ist auch nicht, wenn Baumärkte nun nagelneue Europaletten verkaufen, weil sich daraus coole („Upcycling“-) Möbel bauen lassen.

*Umgestalten und wiederverwenden*
Für die Nachhaltigkeit ist entscheidend, die Lebensdauer von Gebrauchsgütern ohne große Neuinvestition von Energie und Ressourcen zu verlängern. Dies kann durch Upcycling geschehen, aber auch durch Weitergeben, Umwidmen und Neuinterpretation.
Ein erster Schritt ist, die Dinge, die ich bereits habe, neu zu betrachten und ihren Wert wahr zu nehmen. Ein Sweatshirt mag mir modisch nicht mehr gefallen, aber ich könnte anerkennen, dass der Großteil des Stoffes noch stabil und fest ist. Vielleicht würde dieses Teil meiner Freundin gefallen? Oder ich könnte daraus einen Turnbeutel nähen? Oder auch etwas ganz anderes? Aber nicht irgendwas, sondern etwas, das ich oder jemand anderes gebrauchen kann.

*Was habe ich, was brauche ich?*
Ein Geheimnis nachhaltigen Upcyclings ist nämlich vor allem die Frage: „was brauche ich eigentlich (wirklich)?“ und „Was ist schon da und wird nicht mehr genutzt?“.
Aus der Kombination dieser beiden Fragen entstehen Ideen für Upcycling-Produkte, die sinnvoll sind. Eine Schule braucht eine Sitzecke und kann sich bei einer benachbarten Spedition nicht mehr benötigte Europaletten abholen, aus denen sie in gemeinschaftlicher Arbeit eine solche baut? Super!
Gesucht wird eine originelle Theaterkulisse, im Fundus der Schule finden sich alte Vorhänge, Lehrtafeln, Landkarten, die eigentlich entsorgt werden sollten? Wunderbar.
Ich brauche für mein Zimmer einen Garderobenständer? Da kommt mir der alte Eishockeyschläger aus der Rumpelkammer in den Sinn. Kombiniert mit XY ergibt er möglicherweise genau das, was ich mir vorstelle. Hingegen ist ein Sitzsack, den ich überhaupt nicht brauche oder will, auch dann nicht sinnvoll oder nachhaltig, wenn er aus alten Jeans gemacht ist.

*Neuinterpretieren oder den Kontext upcyclen*
Es muss nicht immer der Gegenstand selbst ein Upcycling erfahren, auch der Kontext kann geupcycled werden. Allein ein veränderter Blickwinkel macht ohne wirkliche Umgestaltung aus einem Gegenstand einen anderen, der für die aktuelle Lebenssituation wertiger ist. So wird aus der nicht mehr genutzten Kinderzimmer-Hochbettleiter ein stylishes Regal, der Duschvorhang wird zum Regenschutz beim Camping oder für das Fahrrad, die kratzige Wolldecke macht sich als Tischdecke oder Raumteiler ganz hervorragend.

*Upcycling ist mehr als DIY und Basteln*
Upcycling sollte in erster Linie eine Denkweise darstellen, in der die Wertschätzung von Ressourcen und deren Endlichkeit so verinnerlicht wurde, dass nichts ohne eingehende Prüfung einfach weggeworfen, sondern immer auf Wieder- und Weiterverwertbarkeit überprüft wird. Dies sollte nicht auf kaputte T-Shirts, alte Zahnbürsten und in die Jahre gekommenen Möbel beschränkt bleiben, sondern auf alle möglichen Bereiche übertragen werden. Jeder Stoff ist wert, genau betrachtet zu werden, ehe man ihn energie- und ressourcenaufwendig recycelt oder entsorgt.
Chinesische Wissenschaftler_innen haben etwa herausgefunden, wie sich ausgemusterte, verrostete Edelstahlgewebe aus Sieben und Filtern wunderbar für die Herstellung modernster Batterien nutzen lassen. Dabei erfüllt ausgerechnet das Abnutzungsmerkmal Rost eine chemische Funktion, die die Gewebe für neue Batterien erst tauglich machen.
Es ist also manchmal genau der vermeintliche Makel, der aus einem ausgemusterten Produkt mithilfe unseres Hirnschmalzes etwas Neues, Besseres entstehen lässt.

Autorin / Autor: Sabine Melchior - Stand: 16. Juni 2017