Grün oder grün gewaschen?

Wo kann ich mich über Textilsiegel und ihren Hintergrund informieren?

Viele Mode-Hersteller preisen ihre Mode als besonders nachhaltig an. Wenn man sich die Schildchen an den Klamotten so anschaut, könnte man fast den Eindruck gewinnen, die Modebranche bestünde nur aus Öko-Heiligen: wir staunen über Produkte mit der Kennzeichnung 100% Vegan (in Polyamid ist halt nichts Tierisches), über „Designed in Germany“ (aber produziert in Bangladesh) und Hochglanz-Turnschuhe aus Ocean Plastic. Kaum ein Kleidungsstück kommt noch ohne ein Siegel oder Qualitätsprädikate aus, die uns Konsument_innen den Eindruck vermitteln, nicht nur ein nachhaltiges Produkt zu erwerben, sondern mit dem Kauf auch aktiven Umweltschutz zu betreiben. Einige Umweltsiegel immerhin versuchen zumindest zu halten, was sie versprechen, andere sagen nicht mehr aus als: „Der Rest der Kollektion ist noch viel schlimmer“ oder „Klingt gut, oder?“

Vermutlich geht es dir wie den meisten Käufer_innen: so richtig durchschaut man den Siegel-Dschungel nicht. Ist FairWear auch ökologisch? Ist bluesign® besser als der blaue Engel? Und was ist eigentlich Cradle to Cradle?

Durchblick im Siegel-Dschungel: Siegelklarheit.de

Anworten hierauf gibt die Seite Siegelklarheit.de, eine Initiative der deutschen Bundesregierung, die dabei helfen will, die vorhandenen Siegel besser einordnen zu können. Ihr könnt dort eine Produktgruppe (z.B. Textilien, Leder, Holz usw.) wählen, und euch werden alle gängigen Siegel aufgelistet und erläutert. Unter Textilien allein findet ihr über 30 Siegel.

Siegelklarheit verspricht eine ausgefeilte Methodik namens Sustainability Standards Comparison Tool (kurz SSCT), mit der die Siegel analysiert und verglichen werden. Eine 3-Sterne-Skala in den Bereichen Glaubwürdigkeit, Umwelt und Soziales führt schließlich – je nach Anzahl der erreichten Sterne in der jeweiligen Kategorie - zu dem Gesamturteil „Sehr gute Wahl“, „Gute Wahl“ oder „Nicht bewertet“.

Nicht bewertet wird, wenn Siegel keine Bewertung wünschen, den Mindestanforderungen nicht genügen oder nicht einer eindeutigen Produktgruppe zugeordnet werden können. Rund 300 Anforderungen werden für die Bewertung innerhalb einer Produktgruppe herangezogen, dazu gehören u.a. das Verbot von Kinderarbeit, der Energieverbrauch und das Umweltmanagement.

Zur sehr guten Wahl (Stand 3/22) gehören bei Siegelklarheit *Blauer Engel, EU Ecolabel, Fair Wear, Fairtrade Cotton, Fairtrade Textile Production, GOTS (Global Organic Textile Standard), Naturland, Naturtextil IVN Best, SA8000, OEKO-TEX Made in Green und bluesign.*

Textilsiegel im Greenpeace Check

Strenger geht es im Greenpeace-Check Textil-Siegel von 2018 zu. Dort schneiden einige Siegel, die bei Siegelklarheit als sehr gute Wahl bezeichnet werden, etwas schlechter ab. Da der Siegel Check aus dem Jahr 2018 stammt, könnte sich in der Zwischenzeit aber etwas geändert haben. Am besten schneiden hier *GOTS, OEKO-TEX Made in Green und Naturtextil IVN Zertifiziert BEST* ab. Naturtextil IVN Zertifiziert BEST gilt als das Siegel mit den strengsten Richtlinien für eine nachhaltige und soziale Textilproduktion in Europa.

Siegel vom Hersteller

Fantasiesiegel oder Siegel, die der Hersteller an sich selbst vergibt und die sich mit gut klingenden Nachhaltigkeitsversprechen schmücken (sowas wie „Conscious Collection“, „I am sustainable" oder „aus Recycling") helfen nicht weiter. Denn die Versprechen sind für uns als Käufer_innen nicht überprüfbar und beziehen sich oft nur auf einzelne Produktionsschritte wie z.B. die Faserherstellung, sollen aber ein gutes Gewissen beim Kauf machen.

Doch selbst Siegel, die unabhängig vergeben werden und Anforderungen an Transparenz und Überprüfbarkeit erfüllen, offenbaren teilweise aber Probleme mit bestimmten Stoffgruppen und umweltschädlichen Aspekten der Modeproduktion. So ist es durchaus möglich, dass das Shirt einer massenhaft überproduzierenden Fast Fashion Marke aus 100% Polyester, das biologisch nicht abbaubar und für die Verschmutzung mit Microplastik verantwortlich ist, ein Siegel erhält, das ihm Nachhaltigkeit oder soziale Verantwortung attestiert.

Lizenz zum Greenwashing?

Als eine Lizenz zum Greenwashing kritisieren das die Autor_innen einer aktuellen Studie der niederländischen Stiftung „Changing Markets“ mit dem gleichnamigen Titel „Licence to Greenwash: How certification schemes and voluntary initiatives are fuelling fossil fashion". Sie zeigen auf, dass Fasern auf Basis von Erdöl, Wasserverschmutzung durch das Auswaschen von Microfasern und auch die Begrenzung von Fast Fashion und Überproduktion bei einigen gängigen Siegeln wie z.B. OEKO-TEX oder bluesign nicht ausreichend berücksichtigt werden.
In ihrem Bericht machen sie deutlich, dass auf Freiwilligkeit basierende Siegel nur bedingt zu mehr Umweltschutz beitragen und in manchen Fällen sogar genau das Gegenteil bewirken, weil sie zum Kauf anstiften. Hier helfen nur Gesetze, die Firmen derart umweltschädliche Produktionen unmöglich machen.

Ein 100% nachhaltiger Kleiderschrank ist schwierig

Es ist kaum möglich, als Verbraucher_in den eigenen Kleiderschrank zu 100% nachhaltig zu gestalten. Auch wenn es Siegel gibt, die tatsächlich zuverlässig für umweltverträgliche Mode und soziale Arbeitsbedingungen stehen, hängen Kleidungsstücke mit solchen Auszeichnungen nur selten bei H&M, Zara oder JD. Grüne Versprechen, die ihr in Läden mit niedrigstem Preisniveau findet, haben mit konsequenter Nachhaltigkeit oft ziemlich wenig zu tun. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Kleidungsstücke, die nachhaltig produziert wurden und keine Siegel tragen - etwa, weil die Hersteller_in die aufwändigen Zertifizierungsverfahren nicht stemmen können.

Ob mit oder ohne Siegel: Weniger kaufen, länger nutzen

Das alles macht es für Verbraucher_innen schwer durchschaubar. Es wird darum mit oder ohne Siegel passieren, dass ihr Kleidungsstücke am Körper tragt, bei denen Kinderarbeit, giftige Färbe- und Veredlungsmethoden, klimaschädliche Herstellungsprozesse und für Umwelt und Gesundheit problematische Materialien im Spiel sind. Umso wichtiger, dass ihr diesen hohen Preis erkennt und die Klamotten tragt, bis sie euch vom Leib fallen, dass ihr sie repariert, verleiht und weitergebt und nicht ständig durch weitere kurzlebige Produkte ersetzt. Denn das allernachhaltigste Kleidungsstück, das es gibt, ist das, dass ihr nicht (neu) kauft.

Quellen:

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Autorin / Autor: Redaktion - Stand: 2. April 2022