Endlos am Leben

Einsendung zum Schreibwettbewerb Dr. Futura im Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung

Sie spritzt die Flüssigkeit in meinen Arm und ich spüre die Erleichterung in mir aufsteigen. Es fühlt sich an, als würden all meine Sorgen schwinden. Eine wohlige Wärme breitet sich in meinem zuvor leblosen Körper aus. Ich spüre wie mein Herz langsam wieder anfängt zu schlagen und mein Blut in seine gewohnten Bahnen zurückkehrt. Zögernd probiere ich meine Finger zu bewegen, es ist ungewohnt, doch es klappt. Ich bin ins Leben zurückgekehrt. Langsam richte ich mich auf und verlasse das kalte  Zimmer, in dem ich 67 Jahre gelegen hatte. Ich müsste nun 108 sein, doch ich sehe aus als wäre ich 20. Das Letzte, an das ich mich vor meinem Tod erinnere, ist ein kalter, nebliger Raum. Drei Männer trugen mich hinein. Dann merkte ich, wie Eis mich umschloss und mein Herz aufhörte zu schlagen. Aus-Ende-Vorbei. Doch nun bin ich wieder zurück auf dem Weg in die Freiheit, auf dem Weg ins echte Leben.
Ein Sonnenstrahl trifft mich, als ich den ersten Schritt in mein neues Leben mache. Ein weiterer Schritt und ich spüre, wie die Wärme meinen Körper komplett erobert. Es ist, als würde man in einen warmen Whirlpool steigen. Die Sonne erleuchtet die ganze Stadt in einem hellen gleißenden Licht. Es ist wie in einer anderen Welt, einer schöneren Welt. In meinem alten Leben - in der Vergangenheit -  hatte es oft geregnet. Ich saß dann immer in meinem Zimmer und horchte wie die Tropfen gegen mein Fenster klopften. Doch durch die Flüssigkeit sehe ich die ganze Welt nun anders, schöner: die Menschen, die Häuser, die Parks. Lachend laufe ich durch die Gassen und suche mein altes Zuhause. Eine Zeit lang irre ich durch die Gassen, erkenne nichts wieder. Ich laufe nur im Kreis, will schon aufgeben. Doch schließlich sehe ich mein Haus. Es steht neben dem alten Spielplatz, auf dem ich als Kind spielte. Doch der Spielplatz ist leer, ein kalter Wind fegt über ihn. Kein Kind schaukelt, rutscht oder lacht. Er scheint der einzig verlassene Ort in dieser Stadt zu sein. Er ist grau und strahlt nicht. Es ist, als würde jeden Moment ein Sturm über ihn hereinbrechen, um ihn endgültig zu zerstören und in die Tiefe zu reißen. Ich schaue mich um  und merke, dass auch in der restlichen Stadt keine Spur von einem Kind zu sehen ist. Sie sind wie vom Erdboden verschluckt. Wo sind sie?
Ich laufe zurück in das von Kälte erfüllte Haus in dem ich so viele Jahre gelegen hatte und lasse mich auf das Bett fallen. “ Wo sind die Kinder aus dieser Stadt?“ , frage ich eine Frau, die gerade mein Zimmer betritt. Sie lacht: „ Kinder? Wieso sollte es Kinder geben? Die Welt ist voll genug, seit man nach dem Tod wiederbelebt wird.“ Ich konnte mir eine Welt ohne Kinder nicht vorstellen. Ich hatte selbst zwei Kinder gehabt. Was war mit ihnen geschehen? Ohne sie würde immer ein Platz in meinem Herzen frei bleiben. Auch wenn die Welt draußen noch so schön, lebendig und anders war, ohne Kinder würde etwas fehlen. War es wirklich besser ewig zu leben und dafür nie mehr ein Kind zu sehen? Ich stellte mir diese Frage während meines restlichen Lebens immer wieder und  immer schwebte ein Schatten der Trauer und des Zweifels über mir. Ich wurde drei Mal wiederbelebt. Die Medizin wurde fortschrittlicher und der Mensch musste gar nicht mehr sterben. Jedes Mal, wenn ich jemanden lachen hörte, guckte ich, ob es ein Kind sei. Doch ich bekam nie mehr eins zusehen.

Autorin / Autor: Edda, 12 Jahre