Einzigartig schön und doch so schrecklich

Einsendung zum Schreibwettbewerb Dr. Futura im Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung

2145.
Die Welt hat sich verändert.
Ich bin Sammy, 12 und habe Krebs. Allerdings habe ich keine Angst, dass ich sterben werde. Ich weiß, dass die meisten Menschen vor 100 Jahren daran gestorben sind und dass es eine schwere Krankheit ist. Das weiß ich allerdings nur, weil ich vor kurzem ein sehr altes Tagebuch von meiner Ururgroßmutter auf unserem Dachboden gefunden und gelesen habe. Darin stand viel über das Jahr 2016, als auch meine Ururgroßmutter an Krebs erkrankte. Sie hatte Leukämie, genau wie ich. Aber ihr erging es so viel schlimmer als mir. In ihrem Tagebuch stand, dass sie zu Hunderten von Untersuchungen musste. Sie bekam eine „Chemotherapie“, ich weiß nicht genau was das ist, aber es kann nicht gut gewesen sein, denn sie verlor all ihre Haare und musste sich jedes Mal danach übergeben.

Sie hatte Schmerzen und wurde von Tag zu Tag schwächer. Das Tagebuch endete mit einem Eintrag am 12.6.2016 mit den Worten: „Es dauert nicht mehr lange. Bald werde ich erlöst sein. Ich kann mich nicht mehr bewegen, es fällt mir schon schwer, den Stift zu halten, um dies hier zu schreiben. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass dieses Leid ein Ende hat. Ich habe Angst zu gehen, aber hier halte ich es nicht mehr aus.“
Fürchterliche Worte von einer Sechzehnjährigen. Ja meine Ururgroßmutter war 16 als sie starb, sie hatte nicht viel von ihrem Leben. Hätte sie zu meiner Zeit gelebt, wäre sie natürlich nicht gestorben.  Heutzutage ist Krebs etwas, dass man mit Tabletten behandeln kann.

Es gibt auch andere Heilmethoden, die überhaupt nicht unangenehm sind. Beispielsweise das Wellmewasser (riecht nach einer Mischung aus Erdbeere, Pfirsich und Natur, schmeckt süßlich, schimmert in allen Regenbogenfarben und heilt Menschen mit leichten Hauterkrankungen, Verbrennungen, Allergien aller Art, Muskelverletzungen, Schnittwunden und Pocken).

Wenn man Asthma, Bronchitis, Kopfschmerzen, Fieber, Halsschmerzen, Grippe, Heuschnupfen oder Brustschmerzen hat, hilft der Nellfra-Nebel, den man 5 mal eine halbe Stunde in einem Raum in der Arztpraxis inhalieren muss.
Bei Darmpolypen, Magenproblemen und Nierenversagen werden Sesoonfit – Säfte empfohlen, die man eine Woche täglich zum Frühstück trinken muss.

Eine wunderbare Erfindung ist außerdem die R-Box. Das „R“ steht für „Remember“. Die R-Box heilt Patienten mit Alzheimer. Ich weiß nicht genau, wie es in der R-Box aussieht, ich hatte schließlich noch kein Alzheimer. Aber ich habe gehört, dass man nichts mitbekommt und bequem auf weichen Matratzen liegt. Man kann an der R-Box mittlerweile auch andere Funktionen einstellen, so kann sie Haarausfall und Altersbeschwerden beseitigen.
Grüne Schlangengurken (die vorher behandelt wurden) helfen gegen Augenkrankheiten und Erblinden, wenn man sie sich auf die Augen legt.

Tumore entfernt man in Sekundenschnelle mit bestimmten Lasern, die nicht schädlich sind, und für Krebs gibt es auch unzählige Heilmethoden. Vor einer Woche wurde der Krebs bei mir festgestellt. Seitdem nehme ich Tabletten, und die Ärzte sagen, noch eine Woche Tabletten und ich bin geheilt.

Ich bin froh, dass ich in einer Welt lebe, in der niemand durch Krankheit fortgehen muss. Wenn ich daran denke, wie die Leute früher gelebt haben...es ist wirklich traurig, dass so viele Menschen früh sterben müssen, weil sie irgendwelche Krankheiten haben. Und was hat die Welt jetzt für ein Glück, so kluge Wissenschaftler zu haben, die so moderne und schmerzfreie Heilmethoden schaffen!



2145.
Die Welt hat sich verändert.
Ich bin Rosa und ich bin 98 Jahre alt.
Ich habe Rückenschmerzen, sehe und höre sehr schlecht. Aber ich gehe nicht zum Arzt. Die Medizin von heute macht mir Angst: Alles wird geheilt, für alles gibt es eine Lösung, keiner erleidet Schmerzen, jeder wird gesund, obwohl er raucht, trinkt und zu viel Ungesundes ist.
Was für ein Widerspruch!

Die Medizin ist perfekt. Zu perfekt. Irgendwann wird es ein Erwachen geben. Irgendwann werden sich Bakterien bilden, die gegen alles resistent sind. Es werden immer neuere Heilmethoden erschaffen. Irgendwann wird alles zu viel, zu groß und zu stark sein. Irgendwann werden die Menschen an ihrer eigenen Medizin sterben.
Sie sind schon jetzt gegen nichts mehr immun, sie werden schnell krank, doch es macht ihnen nichts aus, der Arzt heilt sie ja, egal was sie haben.

Zellen werden verändert, damit die Babys perfekt zur Welt kommen, keinerlei Krankheiten und Behinderungen haben und auch nicht bekommen werden. Wo soll das hinführen? Wird es später nur noch Menschen mit blauen Augen  geben? Menschen, die alle gleich groß und gleich dick bzw. dünn sind? Werden wir alle gleich aussehen? Man muss damit leben, wie die Welt und die Menschen geschaffen wurden. Wenn man ein Individuum sein will, dann muss man eben auch mit einer individuellen Krankheit leben!

Natürlich könnte es mir besser gehen, wenn ich zum Arzt gehen würde. Aber dann würde ich mich gegen die Natur stellen. Die Natur hat vorgesehen, dass ich bald sterben werde. Ich bin schon alt und habe ein langes, erfülltes Leben gehabt. Was will ich denn mehr? Es ist normal, dass man sterben muss. Und wenn es soweit ist, sollte man das auch zulassen. So ist es bestimmt - und so soll es auch geschehen.
Immer mehr Menschen werden älter und älter. Viele wollen nicht sterben. Aber Menschen sind nun mal nicht unsterblich, und es ist menschlich zu sterben! Wenn jeder nicht sterben wollen würde, dann würde es immer mehr Menschen geben. Und so soll es auch nicht sein.
Man könnte fast sagen, die Menschen sind größenwahnsinnig. Sie denken, sie können die Gesetze der Natur brechen, indem sie den Sterbeprozess verzögern, indem sie Zellen manipulieren und alles perfekt haben wollen. Aber das ist doch nicht richtig!

Vielleicht bin ich einfach zu alt, um die neue Generation zu verstehen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich sie nicht verstehen will. Aber es ist wahr, dass die Medizin Ausmaße annimmt, mit denen vor Jahren keiner gerechnet hätte. Und so schneller sie sich entwickelt, desto schneller wird sie sich weiter entwickeln. Wird es bald so eine Medizin geben, dass die Menschen unsterblich sind? Ich will es nicht hoffen! Und ich bin froh, dass ich es nicht mehr erleben muss, denn das alles macht mir Angst.
Ich werde sterben, weil die Natur es vorgesehen hat. Und das ist gut so.

Autorin / Autor: von Ramona, 16 Jahre