Die jüngste Tochter

Der Film zeigt die Zerrissenheit zwischen Liebe und verinnerlichter Homophobie. Er spiegelt das Gefühl, nicht sein zu dürfen, was man ist, die eigenen Gefühle als falsch zu empfinden. Und auch, dass Lieben keine Wahl ist, sagt Karla.

Fatima, 17 Jahre alt, ist die jüngste von drei Töchtern einer algerisch-französischen Familie. Sie ist gut in der Schule, verbringt Zeit mit ihren Freunden (wir sehen nur männliche Freunde) und Fußball und steht regelmäßig auf dem Fußballfeld.
Ihr Leben gerät aus den Fugen, als sie in der Schule von einem Mitschüler als lesbisch bezeichnet wird. Und doch: Die Benennung von außen setzt etwas in Gang.

Über eine Dating App lernt sie Frauen kennen, zunächst vorsichtig gibt sie ihrem Begehren nach, erlaubt sich, das zu erleben, was ihr in ihrer Beziehung mit einem Mann fehlt. Und verliebt sich.

Fatima ist 17, unbeholfen, unbedarft. Ji-Na, 30, lernt sie in einem Kurs zum Leben mit Asthma kennen. Die junge Ärztin nimmt sie mit auf eine Pride, in Clubs und kocht für sie. Eine erste Liebe ist immer erschütternd, ihr Verlust noch viel mehr.
Ihr Glaube, der ihr bisher Halt gegeben hat, verbietet ihre Liebe, ihr Begehren, ihr Sein.

Der Film zeigt die Zerrissenheit zwischen Liebe und verinnerlichter Homophobie. Er spiegelt das Gefühl, nicht sein zu dürfen, was man ist, die eigenen Gefühle als falsch zu empfinden. Und auch, dass Lieben keine Wahl ist. Mit einem Mann intim zu sein, wenn man Frauen liebt, ist kein Heilmittel, löst keine Erlösung oder Veränderung aus. So individuell wie Menschen sind, so ist es auch Begehren. Die einen lieben Frauen, die anderen Männer, wieder andere lieben alle Geschlechter, die es gibt. An der Uni öffnet sich Fatimas Welt. Fast zufällig gerät sie in einen Freund:innenkreis, in dem die sexuelle Orientierung nicht die Hauptsache ist. Lieb doch, wen du willst.

„Die jüngste Tochter“ (ab dem 25.12 im Kino) ist ein ruhiger Film. Es gibt Partyszenen, es gibt laute Gespräche, Lachen, Tränen. Aber die Protagonistin bleibt sehr ruhig. Nur in Ausschnitten hören wir sie verbalisieren, was sie beschäftigt. Alles andere erledigt die Mimik, der Schnitt, die Farben und Musik.
Wann immer die Zerrissenheit aufgrund ihres Glaubens zunimmt, nehmen in dem Film blaue Farben überhand. Die Badewanne, Wände und Türen in der Schule, in der Arztpraxis, Kleidung, der Chador, den Fatima zum Beten trägt - alles blau. Und dann sind da Farben. Auf queeren Partys, auf der Pride, die Kleidung der Liebsten, als sie sich besser kennen. (Der gedankliche Querverweis zum Film „Blau ist eine warme Farbe“ bleibt nicht aus.)

Für mich zeigt der Film eindrücklich, welchen Kampf junge Menschen noch immer bestehen müssen, wenn ihre (erste) Liebe nicht in heteronormative Vorstellungen passt. In einem Alter, in dem Dazuzugehören alles ist und anders zu sein innerlich kaputt macht, in einer Welt, in der schwul als Schimpfwort genutzt wird, ist Homophobie nicht allein ein externes Phänomen, sondern auch eine verinnerlichte Barriere.

Mir hat sehr gut gefallen, dass Fatima sich mit diesem innerlichen Kampf auseinandersetzt, aber ihr Sein nicht abzulehnen scheint. Die Suche nach Rat beim Iman findet parallel zu queeren Partys, lesbischem Sex statt. Glaube und Begehren muss kein Entweder-Oder sein. Ob das für Begehren und Religion auch gilt, ist eine andere Frage. Ich kann mir vorstellen, dass der Film eher ein jüngeres, queeres Publikum anspricht – einige Stimmen danach haben sich über den sexuellen Fokus des Films echauffiert. Das kann ich nicht nachvollziehen. In den meisten Filmen über straighte Liebe kommen häufiger und explizitere Sexszenen vor. Dass Sex in einem Film über das Lieben als Jugendliche eine Rolle spielt, finde ich mehr als plausibel und frage mich, ob es eher auffällt, weil es eine homosexuelle Liebe ist. Die internalisierten Vorurteile scheinen im Kinosaal zu resonieren.

Ein kleiner Wermutstropfen ist für mich, dass der Altersunterschied (immerhin ist Fatima zu Beginn des Films noch minderjährig) gar nicht thematisiert wird. Da es sich um die Filmadaption eines autofiktionalen Romans handelt, mag dieser Aspekt der Lebensrealität der Autorin entsprechen, über eine Einordnung oder einen Kommentar hätte ich mich dennoch gefreut.

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Autorin / Autor: Karla