Alles schlecht!?
Studie fand heraus, dass Online-Schlagzeilen immer negativer formuliert werden
Bild: MPI für Bildungsforschung
Auch wenn die Welt zurzeit ziemlich krisengeschüttelt ist - nicht alles ist immer nur schlecht. Genau das aber suggerieren uns Schlagzeilen im Internet und in Social Media. Sie sind nicht nur gefühlt, sondern nachweisbar in den letzten 20 Jahren tatsächlich negativer und länger geworden und setzen zunehmend auf hohe Klickzahlen. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher:innen des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, die rund 40 Millionen Schlagzeilen englischsprachiger Nachrichtenseiten ausgewertet haben. Das Internet sei ein riesiger Marktplatz, auf dem Journalist:innen mit ihren Schlagzeilen um die Aufmerksamkeit konkurrieren. Um durchzudringen, kommt der Überschrift laut den Forscher:innen eine entscheidende Funktion zu, denn sie muss neugierig machen und viele Klicks generieren (sogenanntes Clickbait).
Online-Überschriften haben sich in den letzten 20 Jahren stark gewandelt
Während Überschriften in gedruckten Zeitungen vor allem informativ und platzsparend sein mussten, hat das Onlinebusiness ganz andere Spielregeln: Hier werden Schlagzeilen gezielt dazu genutzt, Klicks zu generieren. Charakteristisch für Clickbait-Schlagzeilen ist ihre Länge: Sie sind so gestaltet wie eine Unterhaltung und dienen dazu, Neugierde zu wecken, ohne selbst viele Information preiszugeben. Das führt dazu, dass die durchschnittliche Länge der Schlagzeilen kontinuierlich zunimmt. Gleichzeitig stellten die Wissenschaftler:innen fest, dass viel mehr aktive Verben, der und Pronomen wie „ich“, „du“ oder „sie“ benutzt werden und auch der Einsatz von Fragewörtern („wie“, „was“, „warum“) zugenommen hat. All das weckt Neugier, weil dadurch eine Informationslücke geschaffen wird – ein psychologischer Trick, der Leser:innen zum Klicken anregen soll.
Auch in der Satzstruktur hat sich wohl einiges verändert: Während in den frühen 2000er-Jahren sogenannte Nominalsätze, wie zum Beispiel „Erdbeben in Myanmar“, gängig waren, wurden die Überschriften im Lauf der Zeit eher ausformuliert und erzählerisch gestaltet, was sie dynamischer und emotionaler wirken lässt. Dabei wurden sie zusätzlich im Durchschnitt immer negativer – und zwar sowohl im hochqualitativen als auch im Boulevard-Journalismus. Besonders interessant: rechtsgerichtete Medienhäuser nutzen durchschnittlich deutlich häufiger negative Überschriften als linke oder politisch neutrale.
Die Rolle von Algorithmen
„Die Veränderungen sind nicht das Ergebnis einzelner redaktioneller Entscheidungen, sondern Ausdruck eines kulturellen Selektionsprozesses. Bestimmte sprachliche Merkmale setzen sich durch, weil sie unter den Bedingungen der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie erfolgreicher sind. Sie werden häufiger verwendet – gegebenenfalls auch ohne, dass sich Produzenten oder Konsumenten dieser Mechanismen bewusst sind“, sagt Pietro Nickl. Die Empfehlungsalgorithmen sozialer Medien verstärke dieses Phänomen zusätzlich.
Manipulative Inhalten werden immer schwieriger erkannt
Die Ergebnisse werfen auch grundlegende gesellschaftliche Fragen auf: Wenn Medien nur auf hohe Klickraten zielen, könnte das langfristig das Vertrauen in den Journalismus untergraben und die Unterscheidung zwischen seriösen und manipulativen Inhalten erschweren, befürchten die Forscher:innen. Denn viele sprachliche Merkmale, die bislang als Warnsignale für unseriöse Inhalte (wie Clickbait oder manipulative Inhalte) galten – wie starke Emotionalisierung oder der vermehrte Einsatz von Pronomen und Fragewörtern – sind inzwischen auch in Qualitätsmedien verbreitet. „Wenn sich der Stil etablierter Medien denen von problematischen Quellen immer stärker annähert, verschwimmen die Grenzen – und das erschwert auch die Unterscheidung zwischen seriösen und manipulativen Inhalten“, warnt Co-Autor Philipp Lorenz-Spreen, Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.
Es gebe aber auch Handlungsspielräume: Wenn bisherige Erfolgskennzahlen wie Klicks oder Verweildauer Inhalte verzerren, sei es an der Zeit, über alternative Messwerte nachzudenken. Erste Plattformen experimentieren bereits mit neuen Ansätzen – etwa indem sie „tief gelesene“ statt nur „meistgeklickte“ Artikel hevorheben. Auch individuell wählbare Kriterien könnten dazu beitragen, langfristig eine vielfältigere und nachhaltigere Medienlandschaft zu fördern.
Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Humanities and Social Sciences Communications veröffentlicht.
Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 22. Mai 2025