Fehldiagnose ADHS?

US-Forscher: 1 Million Kinder betroffen

ADHS, kaum eine Abkürzung ist inzwischen bekannter als die für die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung, im Volksmund das "Zappel-Philipp-Syndrom" genannt. Fast alle von euch kennen bestimmt eine oder einen, bei dem eine ADHS diagnostiziert wurde. Nun macht ein Forscher der Michigan State University Schlagzeilen mit der These, dass fast 1 Million Kinder in den Vereinigten Staaten möglicherweise falsch diagnostiziert wurden. Der Grund läge darin, dass zumeist die jüngsten Kinder in Vorschulklassen untersucht worden seien, und die seien natürlicherweise auch unreifer und zappeliger.

Diesen Kindern sei wesentlich häufiger als ihren älteren Mitschülern Ritalin verschrieben worden, sagte Todd Elder. Ritalin enthält den Arzneistoff Methylphenidat, der eine stimulierende Wirkung hat und zu einer verbesserten Konzentrationsfähigkeit verhilft. Er gehört zu den Amphetamin-ähnlichen Substanzen, die derzeit hauptsächlich bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) eingesetzt werden.

Eine solche unangemessene Behandlung sei besonders besorgniserregend, weil noch zu wenig über die Langzeitwirkungen der Medikamente auf die Gesundheit von Kindern  bekannt sei. Todd Elder kritisiert auch, wie die ADHS-Diagnosen zustande kommen: Der Vergleich mit anderen Gleichaltrigen und die Einschätzung des Lehrers, ob das Kind Symptome von ADHS aufweist, reiche nicht aus für eine Diagnose.

"Wenn ein Kind sich "schlecht verhält", wenn es unaufmerksam ist, wenn es nicht still sitzen kann, kann es auch daran liegen, dass es erst 5 Jahre alt ist und nicht wie die anderen Kinder schon 6", sagte Elder. "Es gibt einen großen Unterschied zwischen einer 5-jährigen und einem 6-jährigen, und Lehrer und ÄrztInnen müssen sich das bei der Bewertung, ob Kinder ADHS haben vor Augen führen."

ADHS ist die am häufigsten diagnostizierte Verhaltensstörung für Kinder in den Vereinigten Staaten, mit mindestens 4,5 Millionen Diagnosen bei Kindern unter 18 Jahren. Es gibt allerdings keine neurologischen Marker für ADHS (wie z. B. ein Blut-Test), deshalb sind sich  ExpertInnen uneinig darüber, wie man ADHS diagnostiziert oder ob man erst bei älteren Kindern mit der Diagnose beginnen sollte, so Elder.

ADHS-Diagnose aufgrund des Geburtsdatums

Anhand einer Stichprobe von fast 12.000 Kindern untersuchte Elder den Unterschied in der ADHS-Diagnose und der Medikation zwischen den jüngsten und den ältesten Kinder in einer Klasse. Dabei fiel ihm auf, dass aufgrund ihres Geburtsdatums ein Jahr früher eingeschulte Kinder viel öfter die ADHS-Diagnose erhielten als später eingeschulte Kinder, selbst wenn ihr tatsächliches Geburtsdatum nur einen Tag auseinander lag.

In einem anderen Beispiel trat zutage, dass Kinder in Illinois, die im August geboren waren, viel eher eine ADHS-Diagnose erhielten als die Kinder in Michigan, die im August des gleichen Jahres geboren waren. Der Grund dafür könne darin liegen, dass der Stichtag der Einschulung in Illinois am 1. September liegt, sodass die August-Kinder in diesem Bundesstaat die Jüngsten in ihrer Klasse sind. In  Michigan dagegen sind sie es nicht.

Laut der Studie müssen für eine ADHS-Diagnose Beweise für mehrere Symptome von Unaufmerksamkeit oder Hyperaktivität vorliegen. Dazu kommt, dass diese Symptome mindestens sechs oder mehr Monate vorliegen müssen - in mindestens zwei unterschiedlichen Umgebungen; und dies, bevor die Kinder sieben Jahre alt sind. Die Umgebungen umfassen Elternhaus und Schule. Die Diagnose wird von einer Psychologin oder einem Psychologen gestellt, allerdings sind es die LehrerInnen, die die Kinder vorab auswählen. Und ihre Meinung zähle sehr viel, sagt Elder.

"Viele ADHS-Diagnosen entstehen erst durch die Wahrnehmung des Lehrers, der mit dem 'schlechten Benehmen' jüngerer Kinder im Klassenraum nicht klar kommt", so Elder. "Aber diese Symptome sind nur der Spiegel der emotionalen oder geistigen Unreife der Kinder, und die ist durch das Alter bedingt."

Seine Studie wird zusammen mit anderen ähnlichen Ergebnissen von Forschern aus der North Carolina State University, Notre Dame und der University of Minnesota im Journal of Health Economics veröffentlicht.

Autorin / Autor: Redaktion - Stand: 23. August 2010