Ungeschminkte Wahrheit?

Wie die “No-makeup”-Bewegung dazu beiträgt, Frauen indirekt zu beschämen

“No-makeup”-Makeup klingt wie ein Oxymoron, also ein Widerspruch in einem einzigen Wort. Tatsächlich brauchen viele, die ihr Foto in SocialMedia-Accounts mit #nomakeup kennzeichnen, aber ganz schön viele Kosmetika, um so "natürlich" auszusehen. Denn obwohl der Selfie-Trend zu natürlicher und ungeschminkter Schönheit neigt, deuten neue Untersuchungen der University of Georgia darauf hin, dass die “No-makeup”-Bewegung Frauen nicht vom Kosmetik-Konsum befreit. Im Gegensteil: der Verkauf von Kosmetika ist mit dem Aufkommen dieses Trends sogar gestiegen.

*Der Aufstieg von #nomakeup*
Die im Journal of the Academy of Marketing Science veröffentlichte Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen dem Aufkommen der #nomakeup-Bewegung auf Twitter von 2009 bis 2016 und den Kosmetikverkäufen in den Vereinigten Staaten. Die Forscher_innen fanden heraus, dass die Bewegung in den meisten Kosmetikproduktkategorien eher mit einem Anstieg als mit einem Rückgang der Verkaufszahlen verbunden war.

"Die Bewegung behauptet, Frauen zu stärken", sagte Rosanna Smith, Hauptautorin der Studie und Assistenzprofessorin am Terry College of Business. "Unsere Untersuchung hat jedoch gezeigt, dass die No-Make-up-Bewegung ein zentrales Spannungsfeld, mit dem Frauen oft zu kämpfen haben, noch verschärft: Sie werden unter Druck gesetzt, attraktiv auszusehen oder bestimmte Schönheitsstandards einzuhalten. Aber sie werden auch bestraft oder lächerlich gemacht, wenn sie sich bemühen, diese Standards durch das Tragen von Make-up einzuhalten."

Die Forschenden fragten sich auch, ob die No-Make-up-Bewegung dazu verleitet, sich als "natürlich" darzustellen, obwohl in Wirklichkeit mit Make-up nachgeholfen wird. Also analysierten sie 784 Selfies, die auf Instagram mit #nomakeup gekennzeichnet waren und sortierten sie in zwei Gruppen: "echte natürliche Schönheitsselfies", die tatsächlich ungeschminkt zu sein schienen, und "konstruierte natürliche Schönheitsselfies", bei denen die Person aussah wie geschminkt. "Wir wollten sehen, welcher Look von anderen mehr honoriert wird", so Smith. Dazu verwendeten die Forschenden ein maschinelles Lernmodell, um die Anzahl der Likes und die wahrgenommene Attraktivität von 3.155 weiteren Fotos zu vergleichen. Das kunstvoll gestaltete "natürliche" Aussehen setzte sich durch.

"Das zeigt, dass Menschen gerne behaupten, dass sie kein Make-up tragen, obwohl sie es in Wirklichkeit doch tun", so Smith. "So haben sie den Vorteil eines attraktiven Aussehens, ohne dafür bestraft zu werden, dass andere wissen, dass man sich dafür angestrengt hat".

*Ungeschminkte Attraktivität*
Um direkter zu testen, wie andere die Attraktivität einer Person im Verhältnis zum Aufwand, der für ihr Aussehen erforderlich ist, bewerten, führten die Forscher_innen noch eine Reihe weiterer Experimente durch. In einer Studie wurde 633 Teilnehmern dasselbe Selfie einer Frau mit verschiedenen Bildunterschriften gezeigt: eines mit der Behauptung, sie sei ungeschminkt, eines ohne jeglichen Hinweis auf Make-up und eines, das besagte, die Frau trage Make-up. Die Teilnehmer_innen, denen der Beitrag mit der Bildunterschrift "ungeschminkt" gezeigt wurde, bewerteten die Frau als attraktiver als die gleiche Frau in den beiden anderen Beiträgen.

Diese Ergebnisse stimmen offenbar auch mit früheren Studien überein, die zeigten, dass das Wissen darüber, dass eine Frau geschminkt ist, dazu führen kann, dass die Frau weniger positiv beurteilt wird, erklärte Smith. "Dies verstärkt die Zwangslage, in der sich Frauen befinden: Sie müssen gut aussehen, aber nicht so, als hätten sie sich dafür angestrengt. Angesichts dessen ist es nicht verwunderlich, dass einige Frauen den Druck verspüren, ihre Bemühungen zu verbergen."

*Ungleichheit bei der Schönheit*
Die Betonung der Schönheitsindustrie auf natürliches und doch schönes, glamouröses und doch müheloses Aussehen werde wohl in absehbarer Zeit nicht nachlassen, da viele Unternehmen auf dem Konzept "natürlich, nur besser" basieren. "Ich weiß nicht, inwieweit die Bewegung für natürliche Schönheit den Frauen wirklich hilft", sagte Smith. Wenn wir sagen, dass wir so sein müssen, wie wir von Natur aus sind", beschämen wir oft indirekt Frauen, die Hilfsmittel verwenden, um bestimmte ästhetische Probleme wie Akne zu behandeln."

Nur wenige hätten das Glück, mit einer natürlichen Schönheit aufzuwachen - zumindest nach den Maßstäben der Gesellschaft, so Smith weiter. "Wenn wir die natürliche Schönheit hervorheben und die Bemühungen um Schönheit implizit beschämen, verstärken wir dann am Ende nur die Ungleichheit?"

Ein interessanter Gedanke, finden wir. Was denkt ihr darüber?

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 7. Oktober 2021