Rede von einem der Unzähligen, die frei sein könnten

Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Derya, 21 Jahre

Applaus wird leiser, Scheinwerfer beleuchten den Weg zum Podest.

„Marhaba,
das erste Wort widme ich der Mutter meiner Sprache, die mich aufgezogen hat. Die Sprache, die ich als Erstes kennen und lieben gelernt habe: „Kurmancî“. Ich bin im Dorf geboren und aufgewachsen, dadurch habe ich den Wert dieser Sprache früh kennengelernt. Die Sprache war alles was wir besaßen. Man wollte uns unser höchstes Gut, unsere Identität aber nehmen. In Abständen kamen Soldaten in unser Dorf und durchsuchten unsere Wohnungen, weil man uns verdächtigte, Terroristen zu verstecken. Terroristen, die dieselbe Sprache sprachen wie wir. Als ich mit 12 Jahren in die Großstadt ging, um in der Werkstatt zu arbeiten, kamen viele Kunden aus noblen Vierteln in unser Geschäft. Ich habe ihnen immer genau zugehört und wollte insgeheim so schön die Landessprache sprechen wie sie. Und so schlau sein wie sie! In der Schule durfte ich nicht meine Muttersprache lernen, zuhause sprachen wir nicht türkisch. Ich wuchs in einem Land mit zwei Welten auf.
Dann habe ich schließlich genug Geld gespart, um die alte Dorfschule zu verlassen und eine staatlich anerkannte Schule zu besuchen. An dieser Stelle muss ich sagen, dass ich wahnsinnig Glück hatte, dass meine Eltern mich immer auf meinem Weg unterstützt haben. Kinder aus dem Dorf werden von Geburt an für die Unterstützung der Familie rücksichtslos indoktriniert, meine Eltern haben uns davor bewahrt. Mit 16 wohnte ich bei einem Bekannten in der Stadt, und um mein Leben in der Stadt zu finanzieren, arbeitete ich als Zeitungszusteller. Zeitungsboten waren damals sehr gefragt, weil die politische Situation sehr viel Diskussionsstoff anbot. Ich lernte vor dem Austeilen der Zeitungen, den Inhalt auswendig, damit ich die Menschen mit spannenden Informationen für einen Zeitungskauf animieren konnte.
Sie müssen sich vorstellen, dass ich zwei oder drei Stunden auf der Straße Schlagzeilen aus mir rausgebrüllt hatte. Und so wuchs meine Leidenschaft für Politik. Ich habe Informationen aufgesaugt und wartete immer ungeduldig auf die nächste Auflage. Ich wusste, dass der Beruf als Journalist mich erfüllen würde, weil ich den Menschen die wirklich wichtigen Dinge des Lebens erzählen wollte. Der Journalist schuf den Menschen eine Brücke zwischen Staat und Gesellschaft, so habe ich das gesehen.

Und da war die Sprache von großer Bedeutung. Mein Vater sagte immer „Wer sprechen soll, soll schön sprechen oder gar nicht sprechen“. Ich besuchte mittlerweile die Universität, konnte mich deutlich besser artikulieren als sonst. Ich fing an für einen kleinen Verlag Artikel zu schreiben, in der Sprache meiner Kindheit, meiner Jugend. Mein besser ausgebildetes Sprachvermögen durch mein Netzwerk an kurdischen Freunden, half mir politische Sachverhalte präzise, aber leicht verständlich zu erklären. Ich betrieb journalistische Arbeit für ein verfolgtes Volk.
Es war auch diese wundersame Muttersprache, die mich letztlich hinter die Zäune des Gefängnisses brachte.
Ich werde nicht viel über die schreckliche Zeit in diesem Gefängnis erzählen, doch eines will ich loswerden. Mir hat die körperliche Misshandlung nichts angetan, ich habe heute nur noch Narben von ihr. Ich habe deutlich mehr unter dem Entzug der Sprache gelitten. Dass man die Sprache nicht mehr dazu nutzen kann, um die Gesellschaft, deine Heimat, vor der Korruption des Staats zu warnen, macht einen Journalisten innerlich fertig. Ich wurde nicht nur physisch in ein Gefängnis gesteckt, sondern auch psychisch. Das Gefängnis meiner Sprache war ein viel schlimmeres Gefängnis.

Ich habe gerade, seit Jahren, wieder das Wort Heimat benutzt. Doch was ist Heimat? Heimat ist heute für mich nicht mehr das, was es eigentlich sein sollte. Ein Ort der Geborgenheit, der Sicherheit und ein Ort, an dem man zu Hause ist und sich zu Hause fühlt. Sie müssen sich vorstellen, Heimat und Sprache sind entweder Feinde oder Freunde. In der Feindschaft sind beide nicht gleichberechtigt. Heimat ist dann in allem dominanter als die Sprache. Ich zeige die Macht der Heimat an einem Beispiel. In Deutschland kam im 20. Jahrhundert die große, starke Heimat mit einem Koffer zur Sprache. In diesem Koffer befand sich eine hasserfüllte Antiideologie. Die Sprache musste der Heimat gehorchen. Viele haben die veränderte Sprache angenommen und akzeptiert. Aber viele haben auch aufgehört zu reden - so wie ich.

Was bringt dir Sprache, wenn Heimat nicht will? Meine Heimat hatte sich verändert und wollte fortan nicht mehr, dass ich die Sprache so nutze, wie ich es wollte.
Was bringt Heimat zur Sprache? In dutzenden Koffern brachte sie Hass, Bosheit, Verfolgung und Bestrafung.
Aber das sollte sie doch nicht, oder? Können Heimat und Sprache nicht befreundet sein? Denn die Feindschaft macht die Gefängniszellen nur voller, löscht aber nicht die Liebe und Leidenschaft der Insassen, die alle nur eines wollen. Frieden zwischen Heimat und Sprache: Und das ist was ich mir wünsche, nichts als Toleranz und Zwischenmenschlichkeit. Ich möchte eine Solidaritätsbrücke bauen, auf der Menschen laufen und andere Sprachen, Religionen und Kulturen besuchen.
Meine Damen und Herren, in diesem Land haben Heimat und Sprache Freundschaft geschlossen, möge diese Freundschaft ein Vorbild für all die anderen gebrochenen Beziehungen sein. Denn ich bin frei, aber viele sind noch gefangen.
Ich bedanke mich an erster Stelle bei Gott, dafür, dass ich auf freiem Fuß bin, dass es mir gut geht und das meine Familie am Leben ist. Ein großes Dankeschön auch an das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen, welches mich heute hier eingeladen hat und mir die Chance gegeben hat etwas zu benutzen, was ich lange nicht benutzen durfte. Mein Mundwerk.
Dankeschön.“

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