12 Tage. 288 Stunden.

Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Ann-Kathrin Feldmann, 21 Jahre

12 Tage waren seit dem Gespräch vergangen. 288 Stunden voller Selbstzweifel und Frust. Keine ruhige Minute, kein klarer Gedanke. Dabei hatte doch alles so gut angefangen. Erst die positive Rückmeldung, die Möglichkeit, sich einen Bereich auszusuchen, dann eine direkte Einladung zu einem Gespräch. Schon am nächsten Tag. Gefreut hatte sie sich, gut vorbereitet. Das Internet hatte sie nach Informationen durchforstet. Zudem hatte sie sich genaustens überlegt, welche Fragen man ihr stellen könnte. Sie war auf wirklich alles vorbereitet, nur nicht auf den offensichtlichen Sexismus, der sie mitten ins Gesicht treffen würde.
Das Gespräch begann gut. Ihr gegenüber schien eine sympathische Mitvierziger Person aus der Branche zu sein. Die Atmosphäre war entspannt und unkompliziert. Sie musste innerlich lächeln über ihre präzisen Überlegungen bezüglich des Bewerbungsgesprächs. Ihre genaue Recherche erwies sich gleich in den ersten Minuten als goldrichtig. Zügig und unmissverständlich beantwortete sie die gestellten Fragen und lauschte aufmerksam den Erzählungen und Erfahrungsberichten ihres Gegenübers, während sie zwischenzeitlich an ihrem Cappuccino nippte. Auch die gestellte Testaufgabe schien sie zufriedenstellend beantworten zu können. Selbstverständlich war ihr bewusst, dass ein gutes Gespräch noch lange keine Garantie für eine Einstellung war, jedoch billigte sie sich selbst eine gewisse Portion Optimismus zu, der ihr der gut laufenden Situation angemessen schien. Ihre geradeeben angehäufte Selbstsicherheit fiel mit nur einem Moment wie ein schlecht gebautes Kartenhaus in sich zusammen. Der Job sei jedoch nicht familienfreundlich! Das Lächeln wich langsam von ihrem Gesicht. Unmut machte sich in ihr breit. Natürlich hatte sich eine winzige Ecke ihres Gehirns auf solche Situationen vorbereitet, aber in Zeiten von #metoo, Gleichberechtigung und einem zunehmenden Selbstverständnis aller Frauen als ebensolche, war es dennoch wie die Bestätigung einer bösen, unterschwelligen Vorahnung. Sie zwang sich dennoch weiterhin die Atmosphäre freundlich und unbelastet erscheinen zu lassen. Sicherlich hatte sie in ihrer Sensibilität und Angespanntheit ihrem Gegenüber zu Unrecht einen unterschwelligen Sexismus unterstellt. Sie nippte erneut an ihrer Tasse, doch die Süße des Cappuccino Schaums verflüchtigte sich unter dem bitteren Geschmack des Unbehagens. Angespannt rückte sie ein Stück auf dem weichen Ledersessel vor. Die Augen wie gebannt auf das Gesicht vor ihr gerichtet. Musste sie mit mehreren solcher Sätze rechnen?
Es sollte keine 5 Minuten dauern, ehe ihre ernüchternde Annahme sich bestätigte. Die letzten Momente des Gesprächs verblassten in einem Nebel aus Wut und Trauer darüber, immer noch den alten Rollen Klischees zugeordnet zu werden. Erleichtert darüber, dass das Gespräch nun endlich beendet war, aber auch widerwillig ergriff sie die ausgestreckte Hand vor sich und erwiderte ein hohles Lächeln, ehe sie sich alleine auf der Straße wiederfand. Nach einem tiefen Durchatmen machte sie sich auf den Weg zur Bahn. Erst nach dem Zurücklegen einer Strecke von gut 20 min, dem Hinaufsteigen zu ihrer Wohnung, das Aufschließen und dem Zufallen der Tür, hatte sie das Gespräch vollständig durchreflektiert. Sie fühlte sich auf einmal so müde, wusste sie doch, dass sie das Erlebte sicherlich noch einige Tage mit sich herumschleppen würde. Was hatte sie falsch gemacht? Was hatte ihr Gegenüber dazu veranlasst, sie in eine Schublade zu stecken, Annahmen über sie zu treffen, obwohl sie sich doch gar nicht kannten. Mit welchem Recht wurde ihr ein Wunsch aufgrund ihres Geschlechts nachgesagt, mit welchem Recht wurde ihrem Geschlecht eine Charaktereigenschaft oder Schwäche zugeordnet? Mit welchem Recht wurden überhaupt Eigenschaften irgendeinem Geschlecht zugeordnet? Zu der Empörung und der Wut, einem Ohnmachtsgefühl ausgeliefert zu sein, gesellte sich nun langsam die Ernüchterung. Wie sehr sie sich Hoffnungen auf den Job gemacht hatte, begriff sie nun langsam.
13 Tage. 312 Stunden.
Zögernd stand sie vor ihrer Wohnungstür. Ein letztes Mal blickte sie entschlossen in den Spiegel, ehe sie nach der Klinke griff und sich aufmachte zu einem neuen Vorstellungsgespräch. 12 Tage hatte sie damit verbracht über das Geschehene nachzudenken, immer und immer wieder war sie das Gespräch durchgegangen und hatte sich überlegt, wie sie, sollte es noch einmal zu einer solchen Situation kommen, reagieren würde. Einen Tag. 24 Stunden hatte sie dann darauf verwendet ihre üblichen Recherchen durchzuführen, damit sie wie immer bestens vorbereitet sein würde. Als sie das Gebäude betrat, glitt ein Lächeln über ihre Lippen. Dieses Mal würde sie vorbereitet sein, sollte sie sich erneut mit sexistischen Aussagen konfrontiert sehen. Aber wer wüsste schon, was sie erwarten könnte. Wenn sie sich eines vorgenommen hatte, dann immer offen zu bleiben und sich nicht durch eine schlechte Erfahrung einschränken zu lassen. Sicherlich, das, was ihr passiert war, stellte eine absolute und klare Degradierung ihrer Person auf genderspezifische Geschlechterrollen dar, aber diese würden sie sicherlich nicht auch noch in ihrem eigenen Umgang mit Menschen behindern. Sie würde sich über sie erheben, indem sie offen und in bester Annahme in das Gespräch hineingehen würde. Was konnte sie Besseres tun, als, erhobenen Hauptes und voller Stolz, sich als Frau und besonders als eigene Person zu profilieren. Und woher sollte sie nicht wissen, dass diesmal alles ganz anders laufen sollte. Schließlich war das Denken in Geschlechterrollen ein zunehmend aussterbendes Denken. Und dazu würde sie bestimmt auch beitragen.
Nach 12 Tagen und 288 Stunden sah sie das ganz eindeutig als Verpflichtung eines jeden Menschen.

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Autorin / Autor: Ann-Kathrin Feldmann, 21 Jahre