Worte schaffen Werte

Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Pia Brauneis, 17 Jahre

„Es war einmal eine kleine süße Dirne, die hatte jedermann lieb, der sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter […].“

Frau, Weib, Dame, Mädchen, Fräulein und Dirne –
bei einer Zeitreise durch die Jahrhunderte wäre jeder dieser Begriffe unterschiedlich konnotiert und würde somit auch jeweils verschiedene Reaktionen hervorrufen.
Anders als in der Originalfassung von Rotkäppchen heißt es heute nicht mehr Dirne, sondern „junges Mädchen“. Rotkäppchen war und ist also keine Prostituierte – es zeigt sich ein Worte-Werte-Wandel.

Das beliebte Argument gegen gendergerechte Sprache: „Das heißt doch schon immer so!“, ist also falsch. Schon immer ist nicht für immer: Sprache wandelt sich mit den Menschen, die sie sprechen.
Dieser Wandel ist wichtig und völlig normal. Die Umstände, in denen wir leben, und die Worte, die wir verwenden, verändern sich stetig – bewusst und unbewusst.

Liebe Leser … – und natürlich auch liebe weibliche Leser,
wenn Mädchen in der Schule immer und immer wieder mitgemeint sind, wenn sie morgens mit „Liebe Schüler!“ begrüßt werden, dann wirkt sich das auf ihr (Selbst-)Bewusst-Sein aus; sie werden nicht direkt angesprochen und begrüßt, aber sollen sich zugehörig fühlen. Sie sind weniger bewusst als ihre männlichen Mitschüler, genau genommen sprachlich unsichtbar.

Doch wird das generische Maskulinum eigentlich immer verwendet? Wann wird es plötzlich wichtig, eine sprachliche Unterscheidung zwischen Männern und Frauen zu machen? Immer dann, wenn es um soziale Abwertung oder schlecht bezahlte Berufe geht. Man spricht von Ärzten, Politikern und Wissenschaftlern, ebenso im gleichen Atemzug von Putzfrauen, Arzthelferinnen und Erzieherinnen. DIE Wissenschaftlerin geht dabei sprachlich genauso unter wie DER Arzthelfer. 

2005 war zunächst nicht klar, ob es Frau Bundeskanzler oder Frau Bundeskanzlerin heißen soll. Zwar hat sich die weibliche Anrede, nach vier Amtszeiten, eindeutig durchgesetzt, doch heißt es im Grundgesetz immer noch „das Amt des Bundeskanzlers“.
Da staunt man schon gar nicht mehr, dass das Wort „Kanzlerin“ im Duden als „weibliche Form zu Kanzler“ definiert ist.
Andersherum heißt es beim „Kanzler“ „Bundeskanzler“, „Reichskanzler“ oder auch „leitender Beamter in der Verwaltung einer Hochschule“.

Doch wie steht es eigentlich um die freie Meinungsäußerung? Man sollte doch wohl reden und schreiben dürfen, wie und was man möchte!
Doch wenn Äußerungen wie „Wurde diese „Dame“ vielleicht als Kind ein wenig viel gef... und hat dabei etwas von ihre[m] Verstand eingebüßt“ oder „Pädophilen-Trulla“ als eine „auf Künasts Aussage abzielende Kritik“ abgestempelt werden, die im Zuge der freien Meinungsäußerung erlaubt bleiben, dann stellt sich die Frage, wie Frauen weiterhin bezeichnet werden dürfen, gedeckt durch Meinungsfreiheit, ohne dass diese Aussagen vor Gericht landen. Gerichtsurteile setzen Zeichen den Umgang von Menschen miteinander betreffend. Ebenso setzt Sprache Zeichen.
Diese Beispiele zeigen ganz deutlich: Aktuelle Diskussionen zu geschlechtsneutraler Sprache sind notwendig.

Viele verschiedene Emotionen leiten diese Debatte.
Sobald es um gendergerechte Sprache geht, spielen auch Machtverhältnisse eine große Rolle. Wer behält seine (oder ihre?!) Macht, wer macht Kompromisse, wer wird laut und kämpft für die eigenen Ansichten, wer will die Oberhand behalten?
Sprache steuert uns; oftmals ohne dass wir diese Lenkung bemerken. Wir nehmen Worte auf, verarbeiten diese unbewusst weiter und bemerken womöglich erst hinterher, dass bestimmte Worte bestimmte Taten ausgelöst haben.
Genau aus diesem Grund ist Sprache Macht bzw. Mittel zur Macht. 
Viele Ausdrücke und Worte, die heute immer noch benutzt werden, stammen aus einer Zeit, in der die Machtverhältnisse anders aussahen. Eine Zeitreise 100 Jahre zurück. Männer konnten über Frauen und deren Leben bestimmen und dominierten somit auch die Sprache und sprachliche Regeln. Diese Machtverhältnisse haben sich mittlerweile in vielen Ländern bereits stark geändert. Viele Frauen bestimmen mit und sind autonom. Doch dieser Wandel ist noch lange nicht abgeschlossen und absolute Gleichberechtigung ist, auch in Deutschland, noch nicht erreicht. Durch das Beibehalten der sprachlichen Muster, die damals bereits verwendet wurden, wird dieser Wandel blockiert. Das, was das Denken steuert, darf nicht gegen die Gleichstellung arbeiten, sondern muss diese voranbringen. Sprache muss, als Basis für alles Weitere, gerecht werden und aufhören, Frauen, ebenso auch alle anderen Geschlechter, zu diskriminieren.

Schlampe, Tussi, Diva, Hure, Hexe und Emanze –
hinsichtlich Beleidigungen sind Frauen sehr wohl sichtbar und werden nicht bei einer männlichen Bezeichnung mitgemeint. Dies sind nur einige Beispiele dafür, dass man ohne Probleme in jeder möglichen Situation unterschiedlichste Beleidigungen für Frauen finden kann.
So meint auch Fräulein-chen eindeutig keine Verniedlichung, wie es die Endung „-chen“ normalerweise andeutet, sondern ist abwertend und tadelnd gemeint.
Wenn ein Junge einen anderen „Du Mädchen!“ nennt, dann will er diesen damit beleidigen – ein Mädchen ist für ihn minderwertig.
Diese Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen.

Wenn wir noch eine Zeitreise nur fünf bis zehn Jahre in die Zukunft machen könnten, bin ich mir sicher, dass sich unsere Sprache weiterentwickelt hat. Jetzt ist die Zeit, um diesen Wandel zu beeinflussen. Wir müssen darauf achten, wie wir sprechen, wen wir damit, bewusst oder unbewusst, diskriminieren und die Sprache so vielfältig machen, wie es die Gesellschaft ist. Denn Sprache bestimmt unser Denken, Fühlen und Handeln. Sie ist Kommunikationsmittel und spiegelt das eigene Bewusstsein wider.

Schön, dass du den Text gelesen hast, du Mädchen!
Schön, dass du den Text gelesen hast, du Junge! – oder fühltest du dich gerade schon mitgemeint?

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Autorin / Autor: Pia Brauneis, 17 Jahre