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Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von von Abnoba, 14 Jahre

Die „Marie“ durchschnitt schwerfällig die Wellen. Am Horizont kam der Hafen von Freetown in Sicht. Der 150 Meter lange Vollfroster aus einer der vielen Europäischen Fangflotten vor der afrikanischen Küste war auf dem Weg zurück in den Hafen der Hauptstadt Sierra-Leones. 350 Tonnen Fisch pro Fangtag befanden sich an Bord. Der Fang war ausschließlich für europäische und amerikanische Märkte bestimmt. Der junge Mann mit den langen Haaren stand gelangweilt an der Reling. Erst in vier Wochen würde er wieder nach Deutschland fliegen. Sein Vater hatte das Fischereiunternehmen gegründet und ihm einen Teil der Verantwortung übertragen. Aber der Mann wollte lieber mit seinen Freunden durch die Welt reisen, anstatt auf den stinkenden Schiffen seines Vaters Inspektionen durchzuführen. Als jemand ihm mitteilte, dass sie erst in 3 Stunden würden anlegen dürfen, drehte er sich missmutig um und verschwand unter Deck.

Die Frau seufzte, als sie sich auf den Weg zum Strand machte. Die Fischer boten ihren frisch gefangenen Fisch an. Die Frauen, die dort mit ihnen feilschten kamen ausnahmslos aus den Slums am Rande von Freetown. Weil die Meere der Küste von Sierra-Leone überfischt waren, mussten selbst die großen Fangschiffe immer weiter hinaus fahren. Für die Fischer bedeutete es weniger Fisch, doch da die Nachfrage so groß war, konnten sie dafür Wucherpreise verlangen. Den Frauen, die diesen Preis nicht zahlen konnten, erließen die Fischer einen Teil des Geldes, wenn sie außerdem mit Nächten bezahlt wurden. Vor vielen Jahren war die Frau einmal schön gewesen, doch jetzt, wo ihr Mann und ihre gemeinsamen Kinder am Ebola-Fieber gestorben waren, durchzogen Sorgenfalten ihr Gesicht. Ihr Mann war auch Fischer gewesen und sie hatte seinen Fang täglich auf dem Markt verkauft. Da sie seitdem den Fisch kaufen musste, konnte sie nur noch für zwei ihrer Kinder das Schulgeld bezahlen. Die fünf weiteren, die durch die Bezahlung der Fischer entstanden waren, mussten mitarbeiten, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Sie hatten etwas Besseres verdient, dachte sie immer wieder. Der Fischer, zu dem sie schließlich herüberging, musterte ihren Körper kritisch, bevor er lächelnd das Geld nahm und die nächste Nacht als Zahlungstermin bestimmte.

Als der Vollfroster endlich in den Hafen einlief, war es schon Nachmittag. Hier war der Fischgestank noch unerträglicher. Der Mann atmete flach durch den Mund als er sich auf den Weg zum Hotel machte.

Die Frau stand hinter ihrem Stand. Der Fisch, den sie heute morgen gekauft hatte, lag vor ihr. Auf dem Arm hielt sie ihren jüngsten Sohn. Sie hatte schon fast alles verkauft. Ein weißer Mann bahnte sich naserümpfend den Weg durch die Menschenmenge. Nicht weit entfernt von ihr blieb er stehen und strich sich die langen Haare aus dem Gesicht. Dann verschwand er wieder im Getümmel.

Der Mann bereute es schon jetzt, dass er beschlossen hatte, sich ein wenig in der Stadt umzusehen. Er war in ein ärmeres Viertel geraten. Schweißtropfen liefen ihm den Nacken herunter. Auf einem Fischmarkt blieb er kurz stehen, um sich die Haare hinters Ohr zu streichen. Frauen standen hinter den Fischständen, viele mit Kindern. Es stank fast noch schlimmer als im Hafen. Wie konnte man nur den Fisch in der prallen Sonne anbieten? Es widerte ihn an.

Die Frau stand vor ihrer Hütte und schaute auf die Stadt. Die vielen Häuser waren hell beleuchtet. Sie würde bald gehen müssen. Als die Sonne ins Meer sank, machte sie sich auf den Weg.

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Autorin / Autor: Abnoba, 14 Jahre