Unsere vermüllte Zukunft

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Lena Niehof, 14 Jahre

5:10 Uhr. Also habe ich noch circa eine Stunde, bis ich aufstehen muss, an meinen Computer gehen werde, um dem Unterricht zu folgen.
Meine Oma hat mir erzählt, dass man 2020 noch das Haus verlassen und zur Schule gehen musste, um etwas zu lernen. Das ist heutzutage undenkbar. Warum? Weil nun die Welt anders ist. Nicht schön anders, sondern schlimm anderes. Sobald man die Haustür öffnet, begegnet einem Müll. Tonnenweise Müll und ein schneidender Gestank, der sich in mein Gedächtnis eingebrannt hat und für Übelkeit sorgt. Es ist wirklich ein Kraftakt, unser Haus zu verlassen, da die Müllmassen einen zurückdrängen, als ob sie einen warnen wollen. Freunde treffen, Hobbys haben, meine Kindheit draußen verbringen oder ähnliches ist nahezu unmöglich. Ich bin eingesperrt in unserem Haus, wie in einem Gefängnis, nur habe ich nie etwas gemacht, was dies rechtfertigen würde. Vor allem für die Erwachsenen ist das Leben schwer geworden. Meine Mutter musste ihren Job als Erzieherin aufgeben, da sie kaum noch in den Kindergarten kommen konnte und die meisten Eltern ihre Kinder nun doch zu Hause betreuen, um sie besser schützen zu können. Also leben wir vom Staat, wie ein Drittel der Bevölkerung. Essen wird uns einmal die Woche mit einer Drohne gebracht, weil die Straßen einfach kaum noch zugänglich sind. Ihr fragt euch, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Es gibt doch die Müllabfuhr?

Mülldeponien? Ja, die gab es. Aber sie haben gestreikt, da viele Menschen so egoistisch und unvorsichtig geworden sind und lernen sollten, ohne die Müllabfuhr zu leben, um wieder umsichtiger zu werden. Das wurden sie nicht. Nun bin ich es, die mit den Konsequenzen leben muss. Das Leben ist eintönig, langweilig, und jeder lebt abgeschottet voneinander, obwohl man sich doch eigentlich ganz nah ist und es so viele Menschen gibt.

Es klingelt. Unsanft werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Die Stunde ist vorbei, und ich muss mich für den Unterricht fertig machen. Ich schiebe meine grüne Bettdecke beiseite und erhebe mich. Mein Blick schweift durch mein grün gestrichenes Zimmer, das im Gegensatz zu der Welt stets ordentlich ist. Grün für die Hoffnung auf eine Lösung, eine Verbesserung, ein besseres Leben, und grün für die Natur. Wenigstens ein Raum, wo ich mir meine eigene, kleine und perfekte Welt einrichten kann. Ich öffne die Zimmertür und gehe in Richtung Bad. Auch unser hell gestrichener und schön dekorierter Flur ist ordentlich. Ordentlich aber nur, weil der ganze Müll einfach achtlos auf die Straße geworfen wird, wie vom Rest der Bevölkerung. Langsam aber sicher ertrinken wir darin.

Es fing an mit einer Bananenschale, einem Plastikbecher, einer Tüte und endete mit Tonnen von Müll, an denen mit Sicherheit auch du insgeheim beteiligt bist. Es wurde immer mehr, nur die Lebensfreude wurde immer weniger. Ich gehe in die Dusche und stelle das Wasser an. Es ist kalt. Kalt? Ja, kalt. Unfreiwillig. Es gibt kein warmes Wasser mehr. Zu viele Menschen, zu viel Müll und dadurch immer weniger von dem, was damals Normalität war.

Ich habe noch zehn Minuten, bis ich vor meinem Computer sitzen muss und entschließe mich dazu, noch etwas zu essen. Wir haben so gut wie nur Fertigessen zur Verfügung, da es immer weniger Felder und dadurch weniger gesunde und ausgewogene Nahrung gibt. Aber ich will mich nicht beschweren, Hauptsache, wir haben noch Essen. Ich sitze an meinem Schreibtisch und schon öffnet sich der Stream meiner Lehrerin, wo wir links ein Lernvideo haben und wir rechts Fragen stellen können. Es ist freiwillig, da der Unterricht nicht gut kontrollierbar und erzwingbar ist. Wir beschäftigen uns viel mit dem Thema Müll und wie wir vielleicht Kleinigkeiten verbessern können. Es hilft mir kurzzeitig. Ich denke, dass es doch noch gut werden kann. Aber umso länger man sich damit beschäftigt, umso klarer wird einem, wie verloren wir schon sind. Nach guten zwei Stunden habe ich dann auch mal Pause und gehe in unser Wohnzimmer. Meine Mutter sitzt still auf dem Sofa und starrt aus dem Fenster. Mit Tränen in den Augen wendet sie ihren Blick vom Fenster ab auf mich.

„Es tut mir leid, dass du so leben musst und nicht so eine Kindheit wie ich sie hatte haben kannst. Ich fühle mich, als hätte ich versagt. Versagt, eine gute Mutter zu sein. Ich würde dir so gerne mehr bieten, aber ich weiß nicht wie...“ Ich schlucke, atme tief ein und sage: „Das ist doch nicht deine Schuld. Es sind die Personen, die diesen Text hier gerade hören, die dachten, die Welt würde niemals so aussehen. Aber jetzt tut sie es. Nur weil sie dachten, die Bananenschale, der Plastikbecher oder die Tüte machen nichts aus. Doch, machen sie. Es mag wenig Müll gewesen sein, aber aus wenig wird schnell mehr. Und jetzt ist es zu viel. Es ist zu viel, um vernünftig leben zu können. Zu viel, damit ich in einer schönen Umgebung aufwachsen und eine tolle Kindheit haben kann. Zu viel, damit mein Leben lebenswert ist. Der Müll wird immer mehr, aber die Lebensqualität und meine Lebensfreude weniger. Ihr wart unvorsichtig und rücksichtslos, und wir müssen mit den Konsequenzen leben.


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