Und als das letzte Blatt beschrieben

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Sandra Kockrow, 21 Jahre

Unter grünen Blätterdächern den ersten Sonnenstrahl erblickt, eingebettet in einem Meer aus Moos, in Geborgenheit gehüllt und überschwemmt von Glück. Gewagt, einen Fuß vor den anderen zu setzen, um den Weg der ewigen Freiheit zu beschreiten. Gedankenfrei umhergewandert im Rhythmus der Natur, dem steten Wandel der Jahreszeiten folgend und getragen vom Wind.
Von lauten Monstern auf vier Rädern meiner Heimat beraubt, den Anblick der kahltoten Ebene unter mir und um mich herum kaum ertragend. In stummem Kummer dem Sprießen lebloser Betonklotze beigewohnt, in einen gepfercht, um mich selbst zu vergessen und meinen Verstand zu schulen. Ans Leben der anderen angepasst und die Etage eines Steinblocks mein neues Zuhause genannt, mit drei Gucklöchern nach draußen auf all die lustlos umherirrenden Schatten gesellschaftlich auferlegter Normen.

Die unbändig flammende Sehnsucht im Herzen unter den Erwartungen der anderen erstickt, bereit, stattdessen der Gesellschaft zu dienen. Platz zugewiesen, Anweisungen erhalten, den Blick starr auf einen flimmernden Kasten fixiert, auf den meine Finger angstverzerrte Wörter jagten. Tagein, tagaus das stete Gemurmel der anderen erduldend, die klirrenden Tasten, das Dröhnen der Maschinen, in naturwidriger Beleuchtung bei immerzu 22 Grad.

Indes das leidvolle Ende meiner einst grünen Nachbarn bedauernd, die zu Papier zerstückelt hier Einzug fanden. Zu tausenden übereinandergestapelt, flogen sie alsbald durchs ganze Gemäuer, ratterten durch die Maschinerie hindurch, um schlussendlich, von pechschwarzen Schriftzügen gebrandmarkt, mit Myriaden von Tragödien die Sorgen der Menschen zu nähren. Und wenn am nächsten Tag nicht mehr gebraucht, da bereits neuer Schrecken in die Welt getragen, kleingehäckselt, zerknüllt und zu Asche verbrannt.

Im Dämmerschein der abtauchenden Sonne nach acht schier endlosen Stunden in mein Quartier zurückgekehrt, ausgelaugt von der Monotonie meines Daseins, verlebte ich den letzten Funken Freizeit vor meinem neu erworbenen Flimmerkasten. Mit den Gedanken bereits im Morgen, die Neuigkeiten über Kriege im Osten und hitzige Debatten über Flüchtlingsströme wie ein Schwamm in mich aufsaugend, darauf hoffend, mit diesem Wissen zu trumpfen und der Beste zu sein.

An freien Tagen von einer nervösen Unruhe ergriffen, mir plötzlich des wahren Wertes von Geld bewusst geworden und, den Schlingen der erdrückend einsamen Stille entfliehend, mir kurzerhand ein Auto gekauft. Mit diesem durchs neuerschaffene Imperium metallisch gläserner Architektur hindurchbrausend, zusammen mit meinen Landsleuten, die sich auf zugeteerten Wegen vor mir und hinter mir ebenfalls umherkutschieren ließen - der verloren geglaubten Freiheit entgegen. Über anschwellende Naturkatastrophen am anderen Ende der Welt klagenden Radiosprechern kein Gehör mehr schenkend und erst wieder lautdrehend, wenn die gewohnten Klänge künstlich erzeugter Melodien ertönten, deren Rhythmen mein neues Leben zeichneten.

Wieder aufkeimende Träume im Konsum erstickend, um mit Sinnesüberflutungen im Außen die innere Leere zu stillen, das Glück in Alkohol und Süßem suchend. Tag für Tag einer festgefahrenen Routine folgend, deren Verschränkung vor Neuem meine Seele endgültig zum Schweigen brachte.

Eines grauen Vormittags von heulenden Sirenen nach draußen beordert, dem letzten Kampf entgegenblickend. Getragen von den Massen stadtauswärts marschierend, den Kopf gesenkt, die ewige Wüste aus Smog war das Ziel. In dessen Mitte eine stattliche Eiche kurz vor der Blüte, erhob sich vor dem trostlosen Nichts empor. Die letzte ihrer Art, der letzte Baum auf Erden, heiliggesprochen und zum wertvollsten Gut ernannt. Die ganze Menschheit hatte sich um sie versammelt, fiel nun reumütig vor ihr auf die Knie. Gemeinsam stimmte sie in ein Gebet, bat um Vergebung für all ihre Sündtaten am eigenen Planeten, während wütende Blitze über dem Himmel tobten. Nachdem der letzte Satz verklang, erfüllte ein gleißend heller Schein die Luft. Ein aufatmendes Raunen ging durch die Menge - gefolgt von einem ohrenzerreißenden Donnerschlag. Die Eiche brannte lichterloh, jede Hilfe kam zu spät. Weinend erlag die Menschheit ihrem Fehler.
Sie hatten gewonnen – den verlorenen Krieg.

Und als das letzte Blatt beschrieben, kam das Leben zum Erliegen. Die Erde als solche, die gibt’s nicht mehr, zurück bleibt ein unbewohnbarer Planet, trist und leer. Doch können andere Völker aus des Menschens Fehler Lehren ziehen und durch Schutz und Respekt vor der Natur einem solchen Schicksal entfliehen.

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