Einsame Helden

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Evita Nicole Kvasnin, 19 Jahre

Sven K. hatte eine Waffe entwickelt – eine Waffe gegen den Klimawandel. Seit ihn die Idee für die neuartige Technologie gepackt hatte, verbrachte er Stunden und Monate in dem Bastelkeller seines Hauses. Neben all den verschiedenen Materialien wie Holz, Metall und Plastik sowie seinen kognitiven Fähigkeiten brachte Sven K. vor allem eines mit – Herzblut.
Es mochte an manchen Tagen wirken, als sei Sven K. ein wenig verrückt geworden; wenn er zum Abendessen endlich aus dem Keller stieg und sich zu seiner Familie setzte, tat er sich recht schwer damit, den Tischgesprächen zu folgen, denn seine Gedanken kreisten immer weiter um Holz, Metall, Plastik und Zahlen, Zahlen, Zahlen. Er war versunken in seine Arbeit, und alles ging perfekt auf. Dennoch fehlte ihm dann eines: Erfolg.

Sven K. stieß an seine Grenzen, als er die Begrenztheit anderer realisierte. Die Unternehmen, die er anschrieb, trauten sich nicht, finanzielle Risiken einzugehen, um ihn zu fördern. Aber wenn er Erfolg erleben sollte, müsse er sich unbedingt wieder bei ihnen melden! Bis auf einige Forschungsinstitute, welche die Brillanz seiner Erfindung bestätigten, fand Sven K. niemanden, der ihm helfen wollte, die Technologie weiter auszubauen und zu vermarkten, sodass jeder Haushalt Zugriff zu ihr hätte und dem Klimawandel endlich ein Strich durch die Rechnung gemacht werden könnte.

Wieso erkannte niemand die simple Genialität seiner Erfindung? Als er die entscheidende Idee hatte, ging ihm nicht einfach nur ein Licht auf – das Licht war Bestand seiner Idee. Wieso, fragte er sich, sind Wände so viel dicker als Fenster? Fenster ließen Sonnenlicht und Wärme ins Haus, doch sie ließen diese auch wieder hinaus. Die gedämmten Wände hingegen ließen Sonnenlicht und Wärme nicht hinein, doch verhinderten auch, dass diese entrannen. Und so fragte er sich: Ist es möglich, beide Vorteile zu vereinen? Können wir das Sonnenlicht und die Wärme hineinlassen, aber auch dafür sorgen, dass sie nicht wieder entkommen? Die Antwort war – Ja. Das geht.

Die technische Lösung für dieses Dilemma ergab sich aus der schlichten Idee, eine dynamische Dämmung zu konstruieren. Wie auch die Rollladen am Fenster träumte Sven K. von einer Dämmung, die auf- und abgerollt werden konnte. Auf diese Weise könnte man das Licht und die Wärme jederzeit hereinlassen, doch sollte es draußen dunkel und kalt werden, würde man die Dämmung herunterrollen und die Wärme wäre im Haus gespeichert! Da Styropor offensichtlich nicht gerollt werden konnte wie Rollladen, brauchte Sven K. einen neuen Stoff;eEinen platzsparenden, leichten und beweglichen Stoff. Und so entschied Sven K. sich für Folien.

Seine Frau war irritiert. Wie sollten Folien die Wärmewende einleiten? Ganz einfach, erklärte Sven K. ihr: Er wolle Folien benutzen, die wie Rettungsdecken waren - dünn und leicht verstaubar, jedoch wärmend und lebensrettend. Die Forschungsinstitute, mit denen er zusammenarbeitete, zeigten, dass seine Erfindung tatsächlich funktionierte: Wenn man mehrere Folien mit kleinem Abstand hintereinander anbrachte, entstand tatsächlich eine hochwertige Dämmung. Da man die Folien aufwickeln konnte, fiel Sonnenlicht und die einhergehende Wärme ins Haus, wenn man diese brauchte. Es wäre so simpel, den Bedarf an Wärmeenergie zu stillen, dass der Wärmewende nichts mehr im Wege stehen würde. Sven K. und seine Familie träumten von modernen Häusern, die sich erlauben könnten, größere Glasfassaden zu besitzen, ohne mit entsetzlichen Wärmeverlusten rechnen zu müssen. Häuser, die vollkommen perfekt in die Natur integriert sein würden. Sie träumten und träumten von einer besseren Welt, aber genau das war es: Ein Traum.

Der Kapitalismus machte der Erfindung einen Strich durch die Rechnung. Das finanzielle Risiko sei zu hoch. Sven K. lachte erbittert. Was war ein finanzielles Risiko gegen ein existenzielles? Der Klimawandel wurde immer präsenter, die Natur lehnte sich gegen die Menschheit auf und alles, was diese zu sagen hatte, war: Wir wollen kein Geld in das Fortbestehen der Erde investieren! Aber wohin fließt das Geld dann? Geld wird investiert, um mehr Geld zu bekommen. Und wenn es unserem Planeten wirklich dreckig gehen sollte, dann können die Reichen sich ja glücklicherweise Rettungsbunker leisten, um ihre 0,5 Kinder und sich zu retten, sodass der Kapitalismus fortleben kann. Hurra!

Sven K. hatte eine Waffe entwickelt – eine Waffe gegen den Klimawandel. Aber Sven K. war ein einsamer Held. Sein Antrag, die Welt retten zu dürfen, war zwischen anderem bürokratischen Zeug untergegangen und hatte eine Bearbeitungszeit von einigen Jahrzehnten auferlegt bekommen. Und so stieg Sven K. aus dem Keller und schloss seufzend die Tür hinter sich. Seine Hoffnungen und Träume verriegelte er dort neben dem Holz, Metall und Plastik, den Zahlen und dem Herzblut. Ausgesaugt, leer und hoffnungslos setzte er sich zu seiner Familie an den Tisch. Bei dem Versuch, die Menschheit zu retten, hatte die Menschheit ihn zerstört. Wenn die Welt voller Narzissten, Egoisten und Kapitalisten ist, dachte er, lohnt es sich vielleicht gar nicht, diese Welt zu retten.

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