Sehen

Einsendung zum Wettbewerb "Schreiben mit allen Sinnen" von Theresa, 19 Jahre

Marek würde gerne aus dem Fenster sehen. Er würde die Nachbarhäuser mit den alten roten Dächern und die Fußgängerzone mit der Pizzeria und den vielen Geschäften anschauen. Er würde den Blick nach oben richten und den Himmel sehen. Heute ist er ohne Wolken, das weiß Marek. Ihm ist warm und er merkt, wie die Sonne zu seinem Fenster hereinscheint, als wolle sie ihm sagen, dass es vollkommen ausreiche, wenn er ihr Licht nur spürt. Er tastet nach dem Fenstergriff – kühl und glatt liegt er in seiner Hand – und stellt das Fenster auf Kipp. 
Seine Zimmertür geht auf und schon allein daran, wie sie mit Schwung auffliegt, erkennt er, dass es seine kleine Schwester Lin sein muss.   
„Los, beeil dich, ich darf auf keinen Fall zu spät kommen!“
Kurze Zeit später sitzt Marek auf einem Ledersofa beim Friseur und wartet auf Lin. Es riecht nach blumigem Parfüm und Haargel. Ein Föhn rauscht, eine Trockenhaube piept.
„Wenn du mich jetzt sehen könntest!“, hört Marek Lins Stimme neben sich. „Ich sehe aus wie eine Fee!“
„Ich kann’s mir vorstellen“, sagt er und lächelt. Aber eigentlich fragt er sich, warum er überhaupt mitgekommen ist, wenn er Lin nicht einmal sagen kann, wie gut ihr die blauen Haare stehen.

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Autorin / Autor: Theresa