Grammatikalisches Genie

Einsendung zum Wettbewerb #netzheldin von Audrey, 21 Jahre

„omg. du hast so ein häzzliches Gesicht! hahah x’D“ Las sie von ihrem Bildschirm ab. Vor wenigen Minuten hatte ein Mädchen, das sie nur flüchtig kannte, ein Selfie hochgeladen. Und keine zwei Stunden später hatte sich ein anderes Mädchen entschieden, diesen unnötigen Kommentar zu verfassen.
„Hm.“ Sie schnalzte mit der Zunge und klickte das Profil des grammatikalischen Genies an.
„Bist du ein Wiederholungstäter oder war das nur ein Ausrutscher?“ Fragte sie ihr Laptop. Mit wenigen Klicks hatte sie alle Informationen, die sie brauchte.
„Dich zu melden bringt leider nichts, das weiß ich aus persönlicher Erfahrung. Damit ist es also entschieden. Tut mir Leid meine Liebe- Obwohl…“ Sie schaute mit gelangweilten Blick über den Rand ihres Laptops.
„Nein. Wenn ich ehrlich bin, tut es mir nicht leid.“ Sie schnappte sich einen Zettel und Stift und schrieb sich alle wichtigen Daten auf, die Madame, ohne groß nachzudenken, ins Internet gestellt hatte. Vorname, Nachname, Handynummer, Email Adresse, Wohnort, Name der Mutter etc. etc. Dann loggte sie sich aus und begann mit der Arbeit.

Keine Stunde später hatte sie das Passwort des Genies zurückgesetzt und es nach ihren Vorstellungen geändert. Was sollte ihr nächster Schritt sein? Zuerst war sie dafür, den Account, mit dem sich das Mädchen anscheinend so viel Mühe gemacht hatte, zu löschen, jedoch ...
Wo war da der Lerneffekt? Sie hatte eine andere Idee. Sie googelte nach feministischen Zitaten und postete nun alle paar Minuten eins davon. Zwischendurch schob sie noch ihre eigenen Meinungen dazwischen. Sie blickte wieder auf ihr Laptop.
Ah. Es war mal wieder Zeit für einen weiteren Post. Nur kurz schwebten ihre Finger reglos über der Tastatur.
„Ich brauche Feminismus, da mir seit ich klein bin von allen Seiten eingetrichtert wurde, dass Frauen und Mädchen das schwache Geschlecht darstellen.
Dass die Aussage ‚Du wirfst wie ein Mädchen‘ eine Beleidigung ist.
Dass wenn ich sauer werde, man mich fragt, ob ich menstruiere.
Dass wir uns im 21. Jahrhundert befinden und ich als Mädchen später weniger verdienen werde als Männer. Dass nachts, wenn ich alleine nach Hause laufe, mein Schlüssel zu einer Waffe wird, um mich im Notfall verteidigen zu können.
Ich brauche Feminismus, weil es nicht normal sein kann, dass Mädchen sich gegenseitig fertig machen, um vom ‚starken Geschlecht’ wahrgenommen zu werden!“ Sie postet den Beitrag und loggte sich aus.
Das musste fürs erste reichen.

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Autorin / Autor: Audrey, 21 Jahre