Mit Respekt gegen Radikalisierung

Studie: Mangelnde Anerkennung ist ein starkes Integrationshemmnis

Nach den Anschlägen in Paris fragen sich immer mehr, wie es sein kann, dass junge Menschen, die in demokratischen Ländern wie Frankreich oder Belgien aufgewachsen, oft sogar dort geboren sind, sich als Kämpfer am „Dschihad“, dem so genannten Heiligen Krieg beteiligen, Attentate planen und ausführen? Welche Faktoren führen dazu, dass diese Menschen zu Terroristen werden? Eine Befragungsstudie unter Beteiligung der Jacobs University aus Bremen hat jüngst die psychologischen Prozesse untersucht, die einer Radikalisierung vorausgehen.

Einer der Hauptgründe, warum muslimische Immigranten sich plötzlich radikalisieren, sei in der Frage der kulturellen Zugehörigkeit zu suchen. Laut den Forschern sind diejenigen besonders gefährdet, die sich kulturell heimatlos fühlen, weil sie sich weder mit der vorherrschenden Kultur ihrer Herkunftsländer noch mit der ihrer jetzigen Heimat identifizieren. Dieser Prozess des An-den-Rand-gedrängt-werdens verschärfe sich, je mehr diese Menschen ausgegrenzt werden, sich diskriminiert fühlen und den Verlust von persönlicher Bedeutung erfahren, so die Wissenschaftler. Weil radikale Gruppierungen nach dem Freund-Feind-Schema ein klares Zugehörigkeitsgefühl vermitteln, seien sie für diesen Personenkreis dann besonders attraktiv.

Die Studie mit dem Titel „The Struggle to Belong: Immigrant Marginalization and Risk for Homegrown Radicalization“ (Der Kampf um Zugehörigkeit: Die Marginalisierung von Immigranten und das Risiko einer hausgemachten Radikalisierung) basiert auf der Befragung von 464 Muslimen, davon 204 in Deutschland, die zwischen Dezember 2013 bis Juni 2014 durchgeführt wurde. Befragt wurden gezielt junge, gut gebildete Muslime. Etwa die Hälfte der Befragten waren Studierende.

Während in den Medien zurzeit häufig der vereinfachte Begriff "Integration" verwendet wird, unterscheidet die Studie zwischen vier unterschiedlichen Integrationsstrategien. Zum einen ist da die "Assimilation", womit die vollständige Anpassung an die Gesellschaft gemeint ist - dabei wird die Heimatkultur aufgegeben. Ihr gegenüber steht die "Marginalisierung", also die Nicht-Teilhabe an der Gesellschaft ohne an der Heimatkultur festzuhalten. Bei der "Separation" bleiben Migrant_innen ganz unter sich und leben nur die Werte der Herkunftskultur. Wer auf die "Integration" setzt, will laut der Studienautoren teilhaben an der neuen Kultur ohne die alte aufzugeben.

Bei der Befragung gaben zwar 89 Prozent an, sie fühlten sich als Teil von Deutschland. Gleichzeitig hatten aber viele den Eindruck, dass die Deutschen von ihnen eine Assimilierung erwarten. Zu dieser gänzlichen Aufgabe ihrer kulturellen Wurzeln ist die Mehrheit aber nicht bereit. Hinzu kommt, dass 77 Prozent der Aussage zu stimmten, dass es in Deutschland ein nicht unerhebliches Ausmaß an Islamophobie, also Islamfeindlichkeit gebe. Zwar waren weniger als zehn Prozent der Befragten selbst Opfer von Diskriminierung aufgrund ihrer Religion oder Kultur, was aber auch an der Tatsache liegen kann, dass sie sich eher in Bildungskreisen aufhalten. Den Forschern fiel allerdings auf, dass Diskriminierung ein starkes Integrationshemmnis ist: Je stärker die Befragten sich diskriminiert fühlten, desto weniger waren sie bereit, die Werte ihrer Herkunftsländer zugunsten der in ihrer neuen Heimat vorherrschenden zurückzustellen.

„Unsere Studie belegt: Je mehr die Immigranten sich respektiert fühlen, desto weniger anfällig sind sie für eine Radikalisierung“, sagt die Psychologin Dr. Marieke van Egmond, Co-Autorin der Studie. Klaus Boehnke, Professor für Social Science Methodology,  ergänzt: „Wir sollten uns in Deutschland darauf konzentrieren, Integration nicht nur in einem formalen Sinne zu verbessern, also etwa den Sprachunterricht oder die kulturelle Bildung, sondern wir sollten Respekt für andere Lebensweisen zum Ausdruck zu bringen. Insbesondere mangelnde Anerkennung für die Lebensleistung von jungen Immigranten ist kontraproduktiv. Es wurden ganz überwiegend Muslime mit einem erfolgreichen Bildungswerdegang befragt. Denen mangelt es nicht an formaler Integration, sondern an Anerkennung. Dies wirft sie zurück auf Lebenssichten, die in der Herkunftskultur ihrer Eltern eigentlich gar nicht mehr favorisiert werden, etwa der Überzeugung, man müsse sich am Dschihad beteiligen.“

Die Studie ist das Ergebnis eines Gemeinschaftsprojekts der University of Maryland (USA) und der Jacobs University unter Federführung von Prof. Dr. Michele Gelfand (University of Maryland) und Prof. Dr. Klaus Boehnke (Jacobs University).

Quelle

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 16. Dezember 2015