RTL sucht das traurigste Schicksal

Wer oder was gecastet wird ist eigentlich egal, das Prinzip ist immer das gleiche: böses, böses Jurymitglied macht Kandidaten nieder.

Die Grausamkeit des vernichtenden Buzzerdrucks

Meine persönlichen Favoriten waren ganz klar der homosexuelle Argentinier Carlos, der HIV positiv ist, der kleine bosnische Junge Duri, der mit seiner Familie aus der Kriegszone fliehen musste und die Schlangenfrau, deren komplizierter osteuropäischer Name mir leider entfallen ist, die mit ihrem Sieg und dem damit verbundenen Preisgeld in Höhe von 100 000 Euro die Knieoperation ihrer armen, kranken Mutter in Kasachstan finanzieren möchte. An dieser Stelle muss ich schon die erste traurige Feststellung machen. An die wirklich talentierten Kandidaten kann sich keiner so recht erinnern, wohingegen man sich an die minder Talentierten samt Lebensgeschichte und Name entsinnt (abgesehen von einigen äußerst kniffligen Ausnahmen). Ein passender Name wäre also: RTL sucht das traurigste Schicksal. Zumindest will unser Gerechtigkeitsempfinden, dass diese vom Schicksal Gebeutelten auch einmal auf der sonnigen Seite der Lebens stehen dürfen. Diese bemitleidenswerten Figuren sind auch die einzigen, die nicht von bösartigen Jurymitgliedern runter gebuttert werden und die von der Grausamkeit des vernichtenden Buzzerdrucks, mit dem die unerträglichsten Auftritte unterbrochen werden, verschont bleiben.

Wer erinnert sich schon noch an den Namen des ersten DSDS-Gewinners?

Wo wir gerade bei Buzzerdruck sind, der Sadismus der Jury macht einen ganz großen Teil des Unterhaltungswerts einer Castingshow aus. Manche Jurymitglieder sind sogar so gut im gemein sein, dass sie gleich bei mehreren mitmachen dürfen. Dieter Bohlen zum Beispiel. Er war einer der Gründungsväter der ersten wirklich erfolgreichen Castingshows des deutschen Fernsehens im 21.Jahrhundert. "Deutschland sucht den Superstar" hat Großeltern wie Enkel gleichermaßen beeindruckt - ja, auch mein Suchtpotenzial war damals schon zu erkennen. Schon damals sorgten die bissigen Bemerkungen von "Onkel Dieter" zu starken emotionalen Regungen bei Kandidaten und Zuschauern (nicht zuletzt zu einigen Klagen). Also zu diesem Thema nur so viel: ich hätte schon damals nicht Dieter Bohlens Bodyguard sein wollen. "Deutschland sucht den Superstar" oder von Fans liebevoll abgekürzt "DSDS" erfreute sich jedenfalls größter Beliebtheit und jedem war klar, dass hier ganz große Stars geboren werden, denn wer diese Castinghölle übersteht, der wird auch im Haifischbecken der Musikindustrie überleben. Die Zeit belehrte uns eines Besseren. Jetzt mal im Ernst, wer kann sich schon noch an den Namen des ersten DSDS-Gewinners erinnern, außer begeisterte Musicalliebhaber natürlich. Alexander Klaws spielt nämlich die Rolle des Alfred, Assistent des Vampirjägers Professor Ambrosius, am Berliner Theater des Westens. Vielleicht liegt es an meiner persönlichen Abneigung gegen Musicals, aber ich denke man kann durchaus sagen, dass Musicaldarsteller nicht unbedingt als große Stars gelten (ich möchte an dieser Stelle natürlich nicht ihr Talent in Frage stellen, doch wenn andere Menschen mit Gesang, Tanz und (meist talentfreier) Schauspielerei versuchen, eine, nach dramatischen Maßstäben niveaulose Geschichte zu erzählen, muss ich einfach weinen und da bin ich vermutlich nicht die einzige).

Böses, böses Jurymitglied macht Kandidaten nieder

Herr Bohlen und Co haben vermutlich sowieso andere Beweggründe, dieses Kleinod des Unterhaltungsfernsehens zu veranstalten. Hier gilt der Gedanke, den wohl auch so mancher Wandersmann zum Anlass nimmt einen Berg hoch zulaufen, obwohl doch einst ein schlauer Mensch die Seilbahn erfand: Der Weg ist das Ziel. Nicht nur, dass sich die Suche nach Sängern, Talenten und Models positiv auf die Einschaltquote auswirkt, auch durch die Teilnahme, die dem Zuschauer durch eifriges und nicht ganz billiges Anrufen für den Kandidaten ermöglicht wird, entstehen beträchtliche Einnahmen. So eine Castingshow lohnt sich also und deshalb besitzt jeder private Sender, der etwas auf sich hält seine eigene. Wer oder was gecastet wird ist eigentlich egal, auch wenn sich der Verlauf der Show unterscheidet, das Prinzip ist immer das gleiche: böses, böses Jurymitglied macht Kandidaten nieder (Musterbeispiele für gemeine Jurymitglieder: Detlef D Soost, hält kleine Mädchen für Soldaten und zeigt es ihnen auch; Dieter Bohlen, er hat nichts gegen kleine Mädchen, besitzt aber weder Anstand noch Respekt, hat dafür aber umso mehr dumme Sprüche auf Lager), ein nettes Jurymitglied versucht ihn wieder aufzubauen oder zumindest schonend beizubringen, dass sein Typ nicht ganz dem entspricht, was sie suchen (meist mit ausländischem Akzent oder, noch besser, sehr schlechten Deutschkenntnissen wie zum Beispiel: Bruce Darnell "das ist der Wahrheit").

Zicken sorgen für Abwechslung

Die Nerven der Kandidaten sind überstrapaziert, was zu Spannungen und Gefühlsausbrüchen führt (bei weiblichen Kandidatinnen können auch die hormonellen Bedingungen eine Rolle spielen). Dies unterhält die Zuschauer und polarisiert sie - Zicken sind unsympathisch, sollten also eigentlich raus fliegen, sorgen aber für Abwechslung und bleiben deshalb oft sehr lange dabei, jeder der unscheinbar ist, wird schonungslos raus geworfen. Auch das Resultat ist das selbe: sehr viele, sehr überhebliche, aber leider sehr unerfolgreiche Sänger/Bands/Models, an die man sich nach spätestens einem halben Jahr nicht mehr erinnert. Der gemeine Castingshowzuschauer ist leider kein sehr treuer Fan, wenn die wahre Karriere beginnen sollte, denn er geifert nur nach neuen Kandidaten, die auf ihrem harten Weg begleitet werden müssen. Und so erwartet alle "Gewinner" das selbe traurige Schicksal: Ein Star sind sie nur auf dem Papier und glücklicher werden sie durch ihren ehrwürdigen Titel auch nicht, bis auf unser Superschicksal den Mundharmonikaspieler natürlich, er ist immerhin der wahrscheinlich reichste Straßenmusikant Deutschlands.

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Autorin / Autor: faba - Stand: 2. Juni 2009