‘Eu sou do Sul…terra adorada…eu sou do Sul’

Zitronenbuch macht internationalen freiwilligen Friedensdienst und schreibt für LizzyNet, was sie alles dort erlebt.

*„Ich bin aus dem Süden… geliebte Erde …ich bin aus dem Süden“*

Liebe Leser, liebe Unterstützer, liebe Interessierte,

Sie sind, nach meinem Urlaub, nun wieder mit dem ´ônibus´, Omnibus an diesem kleinen Busbahnhof hinausgelassen worden. Ihre Zeit ist noch nicht abgelaufen, nutzen Sie das noch verbleibende halbe Jahr in Três de Maio: zweite Heimat, Leben, Arbeit und Freizeit.
Mit beiden brasilianischen Füßen bin ich fest im Gaúcho - Boden verwurzelt.
Monate… Stunden… Minuten… Sekunden sind bereits vergangen und meine Zeit in der zweiten Jahreshälfte rieselt unweigerlich die Sanduhr hinab. Três de Maio - Belo Horizonte - Salvador  - Chapada Diamantina - Rio de Janeiro  - und ´de novo´ “wieder” Três de Maio. Die Projektferien gaben mir die Möglichkeit zu reisen, vielfältigere Eindrücke zu gewinnen und tiefer in die brasilianische Welt einzutauchen.

Brasil  - ´Um país para todos?´  / Brasilien - “Ein Land für alle?”

190 Millionen Einwohner verschiedenster Nationalitäten leben auf einer Landesfläche, in die Deutschland über 20 Mal hineinpassen würde. Brasilien ist in 26 Bundesstaaten unterteilt und in einem von ihnen, Rio Grande do Sul, lebe ich.
Mittendrinnen und mit jedem neuen Tag eröffnen sich mir neue Teile dieses facettenreiche Landes, das nahezu alles nur Erdenkliche in sich vereint. Es gibt da nicht das eine Brasilien oder den typischen Durchschnittsbrasilianer. Allein auf Grund der riesigen Fläche Brasiliens lassen sich die unterschiedlichsten Gegebenheiten in einem einzigen Land wiederfinden. Die Eindrücke, die man von Brasilien gewinnt, unterscheiden sich je nach Region, in der man sich befindet. So ist mein Eindruck durch das Leben im Süden geprägt. Die Sichtweise anderer wird sich von dieser wiederrum unterscheiden.

`Terra adorada! …És tu, Brasil,Ó Pátria amada‘ /„Geliebte Erde, du bist es, Brasilien, geliebte Heimat.“

Jede Region Brasiliens versteht sich als eigene Einheit und trotzdem ist ein jeder von ihnen auch Brasilianer. Es herrscht eine Art Patriotismus, man steht als Brasilianer offen und unbeschwert zu seinem Land und ist Teil der Kultur.
Als Tradition und mit Stolz werden an Feiertagen Fahnen gehisst und die Nationalhymne angestimmt. Am Anfang war mir das ein befremdliches Gefühl. Aber in Maßen kann Verbundenheit und Zusammengehörigkeit mit dem eigenen Land durchaus etwas Gutes sein, was ich mir in Deutschland auch manchmal mehr wünschen würde. Für weitere sechs Monate werde ich also Brasilianerin sein, genauer gesagt: Mich als Gaúcha meinem Süden zugehörig fühlen.

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Kulturschock:

Ich habe mich daran gewöhnt, dass hier nur wenige Angebote für Kultur vorhanden sind.
In Três de Maio existieren weder Kino, Theater noch vergleichbares. Im Alltag fällt mir das auf und ich wünsche es mir manchmal herbei. Den wertvollen Ausgleich bieten mir jedoch die Menschen hier. Mit Kleinstadtgefühl im Herzen hieß es für mich auf Reise in die große weite Welt aufzubrechen, in die pure Natur, sowie mitten in die Großstadt.
Animierende Reggae- und Tanzhymnen, bahianische Straßenköchinnen, die für die Bevölkerung kochen oder exotische Früchte sind nur kleinste Ausschnitte von den Eindrücken, die ich gewinnen konnte.
Ich genoss die neuen Möglichkeiten, die sich mir erschlossen. Ich tauchte von einer Kultur in die nächste und erwachte verwundert, mich immer noch in diesem einen Land befindend.

Der Bundesstaat Bahia wird als „schwärzeste Region“ Brasiliens beschrieben. Dort angekommen, betrachteten mich die Kinder teils mit großen staunenden Augen, wie ein Unikat: Ein weißes Schaf unter einer Herde von dunklen gewissermaßen. Dies rief gemischte Gefühle in mir hervor. Manchmal wurde mir ganz komisch, bei dem Gefühl angestarrt zu werden, da ich für sie eben anders bin.
Ich kann mir seit dieser Erfahrung besser vorstellen, wie sich ein dunkelhäutiger Mensch inmitten einer hauptsächlich weißen Bevölkerung fühlen muss.
Vom Prinzip her das Gleiche, eben nur umgekehrt. Hier im Süden ist meine Lage anders, denn die meisten Bewohner haben europäische Vorfahren, zum Beispiel aus Italien oder Deutschland.
Ich falle hier nicht auf, denn die Hautfarbe von bis zu 80 Prozent der hier lebenden Bevölkerung ist demnach auch hell. Kollegen und Freunde sind  von Natur aus teils noch hellere Typen, als ich es schon bin. Auch das Gefühl, die Armut auf offener Straße zu sehen, zeigte mir: Die Kontraste leben Seite an Seite. Außer im eigenen Projekt, in dem man zumindest den Schülern eine Hilfe sein kann, kann man oft nur schnell etwas zu essen oder Kleingeld geben.

Kochen auf Portugiesisch oder mein Leben als vegetarische Gaúcha im Süden:

21. Jahrhundert. Südbrasilianische Pampa.
Die Zone der Brasilianer, die gut zubereitetes Fleisch noch mehr verehren als der Rest Brasiliens.  Riesige Fleischspieße mit allem nur erdenklichen, im offenen Ofen zubereitet und zusammen mit gekühlten Getränken als Sortiment auf dem Tisch präsentiert, erzeugen nahezu grenzenlose Glückseligkeit.

Ein unbekanntes Etwas betritt diesen Boden, es gehört zu einer Spezies, die sich auch ´vegetarianos´ nennt. Sie essen weder Fleisch, noch ´presunto´ „Schinken“ oder Fisch. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie hungern würden. Sie gewinnen trotzdem an Körpergröße, Energie und Kraft, indem sie Milchprodukte, Gemüse, Obst und jegliche Beilagen zu sich nehmen. Sie sehen: diese Lebewesen mögen ein wenig ´diferente´, also gewöhnungsbedürftig und irgendwie anders sein, aber wenn man sie näher kennengelernt hat, merkt man: Sie sind ganz normal, zahm und liebenswert.

So gehört für mich ebenfalls das typische Sonntagsessen ´churrasco´ zum brasilianischen Wochenendprogramm, das ich nicht mehr missen möchte. Denn damit verbunden ist auch ein wunderbares Lebensgefühl: Gemeinsamkeit und Entspannung. Unsere Zeit genießen und durch zusammensitzen und plaudern verstreichen zu lassen.

Wie die brasilianische Küche sonst noch geprägt ist?

Durch Essig und Zucker. Essig für allerlei Salate und jegliche Formen von Gemüse, die darin getränkt werden. Für unseren deutschen Geschmackssinn hingegen überzuckert und dennoch furchtbar lecker sind Gebäcksachen, Torten, Kekse, Süßigkeiten und ´sobremesas´, cremeähnliche Nachtische.
Durch die vielen Unterschiede versuche ich manchmal, vergeblich, Lieblingsgerichte wiederzufinden und freue mich umso mehr, wenn, an Weihnachten oder Geburtstag, Päckchen mit Produkten aus der deutschen Heimat ankommen.

Mitten im brasilianischen Glauben oder auch: ´Pai nosso que estás no céu…´ - „ Vater Unser im Himmel…“

Die Religion spielt eine wichtige Rolle im Leben der meisten Brasilianer. Die Mehrheit der brasilianischen Bevölkerung ist katholisch. Dies spiegelt sich in kleinsten Alltagsdingen, wie zum Beispiel dem Tragen von Hemden mit Jesusabbildungen, Austauschen von christlichen Sprüchen oder gesticktem Vater Unser als Wandbild, wieder. Im Allgemeinen finde ich, dass der Glaube sehr ernst genommen wird: Gott ist immer anwesend, in guten wie in schlechten Zeiten, leitet, beschützt und bringt Heilung. Deshalb wird dem Beten als Gespräch mit Gott auch eine hohe Bedeutung zugeschrieben. Dennoch: Wenn man die Einwohnerzahl von 25.000 betrachtet, sind die Kirchen wenig gefüllt. Regelmäßige Kirchenbesuche gehören deshalb nicht für jeden zur Tagesordnung.

Neben den „normalen“ evangelischen und katholischen Kirchen kann ich auch in Três de Maio beobachten: Immer mehr an sogenannten sektenähnlichen evangelischen Freikirchen und Pfingstkirchen gewinnen an Einfluss. Ich bin jedoch froh, eine evangelische Kirche gefunden zu haben, die mir zusagt. Zum einen hat es mir bei der Entwicklung der Sprache, dem Sprachverständnis geholfen, denn die Predigten galt es ohne einen Zettel mitzuverfolgen, also rein vom Hören her zu verstehen. Während ich am Anfang noch ziemlich hilflos in den Reihen saß, wurde es nach und nach immer besser.

Das zusätzliche Angebot, neben den Gottesdiensten, ist viel geringer als in meiner Gemeinde in Deutschland, aber Aktivitäten wie ein Chor existieren und haben mir geholfen, mich schneller wohlzufühlen und Freunde zu finden. Deshalb freue ich mich immer auf den wöchentlichen Gottesdienst. Besonders gut finde ich, dass die Kinderliebe der Brasilianer auch dort ihren Platz findet und die Kleinsten bedacht werden, denn während dieser Zeit wird, wie in vielen deutschen Kirchen, auch ein Kindergottesdienst angeboten, in dem sich eine Mitarbeiterin Zeit nimmt, um christliche Themen spielerisch mit den Kindern zu erarbeiten und sie in ihren ersten Schritten an den Glauben heranführt.
Eine besonders schöne Erfahrung des Glaubens durfte ich in einem Taizé – Gebetshaus in der Nähe von Salvador machen. Mit Brüdern in einer Gemeinschaft leben, sich in deren Armutsprojekt zu engagieren und an dem Rhythmus der täglichen Gebete teilnehmen zu dürfen, schenkte mir Zeit für Nachdenklichkeit und Ruhe.

Zurück in Três de Maio, konnte ich wieder meinen festen Platz einnehmen, wissend, ich  werde von Ihnen, meiner Organisation, dem Projekt und den liebgewonnen Menschen vor Ort unterstützt.
Darauf kann ich zählen, dort finde ich Unterstützung und Hilfe:
ein ´muito obrigada´, „großes Dankeschön“  dafür.

‚Abraço e até breve’
„Umarmung und bis bald“
Ihre Brasilienanna

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