Der Holocaust neben Lifestyle-Themen

Soziale Netzwerke wie Instagram oder TikTok werden laut einer Studie der Bildungsstätte Anne Frank immer häufiger genutzt, um die NS-Zeit verfälscht darzustellen.

In diesen Tagen, in denen der Verfassungsschutz die AfD offiziell als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft hat, feiern wir gleichzeitig die Befreiung Deutschlands vom Faschismus vor achtzig Jahren. Das Gedenken an die Greueltaten des Nationalsozialismus steht aber immer wieder vor großen Herausforderungen  – besonders im digitalen Raum: TikTok, Instagram & Co., KI und digitale Spiele haben einen zunehmenden Einfluss darauf, welche Geschichtsbilder jüngeren Generationen vermittelt werden und wie die historische Wissensbildung abläuft. Zwischen Holocaust-Relativierung, „Schuldkult“-Narrativen und Meme-Kultur, die die Vergangenheit umdeutet, wird die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zunehmend zur Bühne für politische Deutungskämpfe. Der neue Digital-Report der Bildungsstätte Anne Frank analysiert diese Entwicklungen und fragt, welche Herausforderungen, aber auch Chancen damit für die historischpolitische Bildungsarbeit verbunden sind.

Gefährlicher "Geschichtsunterricht" auf TikTok & Co.

„Während in formellen Bildungsräumen immer weniger Wissen zur Shoah vermittelt zu werden scheint, erfreut sich das Thema NS-Historie in Sozialen Medien oder digitalen Games einer großen Beliebtheit. Hier werden Geschichtsnuggets neben anderen Lifestyle-Themen in die Feeds und For-You-Pages gespült. Wir sehen alles von gelungenem Bildungscontent bis hin zu offenem Geschichtsrevisionismus oder Holocaust-Leugnung“, erläutert Dr. Deborah Schnabel, Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank und Herausgeberin des neuen Digital-Reports. Jüngste Untersuchungen wie die aktuelle MEMO-Studie zeigten, dass das Wissen über die NS-Geschichte schwinde, während die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen und Schlussstrich-Forderungen gestiegen seien.

Währenddessen passe sich die Geschichtsvermittlung im Digitalen längst den neuen Seh-und Lerngewohnheiten der jungen Generationen an, sei hoch partizipativ und communitybasiert, so Schnabel weiter. „Unter dem Einfluss von digitalen Plattformen, Games und KI-Anwendungen wächst ein völlig neues Geschichtsverständnis, das von Bildung und Öffentlichkeit noch zu wenig adressiert wird. Vielmehr sind es – wieder einmal – die Feinde der Demokratie, die sich diese Gemengelage zunutze machen.“

Wehrmachtskitsch und DJs in der Gaskammer

So geben im digitalen Raum etwa Politiker der gesichert rechtsextremen AfD Tipps zur Ahnen-Forschung, Israel wird zur neuen Chiffre des Bösen und zweifelhafte History-Accounts auf Social-Media-Plattformen versorgen junge Menschen mit verzerrten oder falschen Fakten: „Holocaust-Leugnung geschieht bei Instagram oder TikTok oftmals in Form von Codes: Mal wird die Anzahl der 6 Millionen ermordeten Juden angezweifelt, mal behauptet, das Tagebuch von Anne Frank sei mit Kugelschreiber geschrieben und deshalb ein Fake “, beschreibt Eva Berendsen, Mitherausgeberin des Digital-Reports und Leiterin Kommunikation/Politische Bildung im Netz der Bildungsstätte Anne Frank, den Content. „Es gibt Accounts, die Nazi-Größen wie Hitler und Himmler in Memes verherrlichen oder Wehrmachtskitsch verbreiten. AfD-Influencer spülen die geschichtsrevisionistische Botschaft vom „Schuldkult“ in den Mainstream und in aktuellen Social Media-Trends wird mit der Idee gespielt, als DJ in einer Gaskammer aufzulegen.“

Künstliche Intelligenz verstärkt diese Tendenzen

Plattformen wie TikTok und YouTube sind mittlerweile voll von „History Content“-Accounts, die mit Hilfe generativer KI automatisiert Texte, Bilder und Sprachsynthesen erzeugen. „Auf TikTok begegnen uns sowohl der SS-Arzt Josef Mengele als auch zahlreiche KI-generierte Anne Franks. Egal ob Täter oder Opfer – KI-generierte Protagonist*innen der NS-Geschichte sind „Trend“. Ob die Storys, die diese Figuren über sich selbst und die Zeit des Nationalsozialismus erzählen, allerdings historisch und ethisch korrekt sind, ist mehr als fraglich“, berichtet Leo Fischer, Redakteur der
Bildungsstätte und einer der Haupt-Autoren des Digital-Reports. „Derartige Spiele gaukeln mit vielen historischen Details eine scheinbare Genauigkeit vor, vermitteln aber kein wirkliches historisches Wissen.
Während historische Settings, realistische Waffen oder bekannte Schlachten akribisch nachgebildet werden, bleibt das Menschheitsverbrechen der Shoah ausgespart .“ So werde das Gesamtbild der NS-Zeit verzerrt – und junge Gamer*innen blieben mit einem unvollständigen Geschichtsbild zurück.

Erinnerungskultur muss digital transformiert werden

So schlussfolgert Direktorin Dr. Deborah Schnabel: „Wenn wir sagen, dass Digitalisierung unsere Gesellschaft transformiert, dann bedeutet das auch, dass die Art, wie wir erinnern transformiert wird. Dieser Prozess ist längst im Gange und nicht aufzuhalten – er lässt sich nur gestalten. Erinnerungsarbeit muss digitaler und partizipativer werden.“
(Historisch)-Politische Bildung müsse stärker mit Medienbildung verknüpft werden. „Die Herausforderungen im Digitalen sind nur durch einen gesamtgesellschaftlichen Schulterschluss zu meistern. Plattformen müssen zwingend stärker in die Verantwortung gezogen werden. Aber es braucht auch eine Kultur der digitalen Mündigkeit und mehr kritische Wächter in der Zivilgesellschaft. Insbesondere Einrichtungen der historischpolitischen
Bildung, aber auch Gedenk- und Erinnerungsstätten oder Museen sind dabei zentral und stehen vor völlig neuen Aufgaben. Um diese Aufgaben annehmen und bewältigen zu können sind – wie übrigens auch in vielen anderen Bereich des Lebens – größere Investitionen notwendig“, schließt Schnabel ihre Ausführungen mit einem Appell an die neue Bundesregierung.

Der neue Digital-Report „Der Holocaust als Meme“ ist kostenfrei unter folgendem Link abrufbar:

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