Das Interview mit Michaela Pölzl

*Frau Pölzl, warum haben Sie gerade die mathematischen Redewendungen analysiert? Das entspricht doch so gar nicht dem Klischee, dass Studierende der Germanistik/Sprachwissenschaft normalerweise "einen Bogen" um Mathe machen.*
Die Idee, dem Bildspendebereich „Mathematik“ auf den Grund zu gehen, hatte mein betreuender Professor, der ja schon vier andere Masterarbeiten zu ähnlichen Themen auf den Weg gebracht hat. Er konnte mich aber schnell für diese Idee gewinnen. Im Laufe meiner Arbeit und den Gesprächen mit Kollegen der Mathematik wurde mir aber erst bewusst, dass ich damit ein heikles Thema in Angriff genommen habe. Das von Ihnen angesprochene Klischee ist noch immer sehr stark in den Köpfen der Naturwissenschaftler und Techniker verankert und ich bin mehr als einmal auf Unverständnis gestoßen. Es war augenscheinlich, dass viele es nicht sehr gerne gesehen haben, dass sich eine Geisteswissenschaftlerin - in ihrem Unverständnis  - an die „heilige“ Mathematik heranwagt.

*Oder gibt es Ihrer Meinung nach in der heutigen Welt einfach kein Entkommen vor der Mathematik?*
Davon bin ich überzeugt – und bin vielleicht auch ein gutes Beispiel dafür. Nach meiner Matura (dem österreichischen Abitur) und dem Fach Germanistik als Wahl meines Studiums, war ich überzeugt, nie wieder etwas mit Mathematik zu tun haben zu werden. Und nun habe ich ein Jahr damit verbracht, ihren Spuren in unserer Sprache nachzuspüren.

*Hat Ihnen Mathematik in der Schule Spaß gemacht? Und hat sich Ihr Verhältnis zu ihr während Ihrer Masterarbeit positiv oder negativ verändert?*
Ich habe seit der 7. Schulstufe ein Realgymnasium besucht – eine Schulform, deren Schwerpunkt auf den Naturwissenschaften liegt. Ich hatte also sehr viel Mathematik und grundsätzlich auch gute Lehrer. Aber als Mädchen unter vielen begabten Jungen hat nie jemand versucht, mich wirklich für Mathematik zu begeistern – obwohl ich wohl nicht ganz untalentiert gewesen bin. Und die meisten kennen das wohl von sich selbst: wenn einem eingeredet wird, in einem Fach nicht gut zu sein, wird man nur schwer das Selbstbewusstsein entwickeln um das Gegenteil zu beweisen. Wahrscheinlich wird man auch nicht die geringste Lust dazu haben.

*Waren Sie manchmal selber über die historische Herkunft der mathematischen Redewendungen überrascht? Wenn ja, bei welcher und warum?*
Ich war vor allem darüber überrascht, wie alt einige der Ausdrücke waren, die ich untersucht habe. Manche sind über 800 Jahre alt, werden aber bis heute gerne benutzt. So zum Beispiel das „fünfte Rad am Wagen“.

*Wie erklären Sie sich, dass es überhaupt zu einer Mathematisierung der Sprache gekommen ist?*
Von einer „Mathematisierung“ zu sprechen, ginge vielleicht etwas weit. Es gibt viele Bildspendebereiche, wie zum Beispiel Religion oder Wehrkultur, die sehr viel häufiger genutzt wurden um bildhafte Ausdrücke zu prägen. Aber die Mathematik ist schon allein durch unsere Schulbildung Teil unserer Kultur und wir alle besitzen bis zu einem gewissen Grad mathematische Kenntnisse, die wir permanent im Alltag gebrauchen. Die bildhafte Sprache ist nun ein Spiegel unserer Kultur und so ist auch nicht weiter verwunderlich, dass sich Mathematik, und wenn auch nur in ihrer elementarsten Form, in ihr niederschlägt.

*Hat es eventuell auch etwas mit Logik und Genauigkeit zu tun? Damit, dass es für mathematische Aufgaben eben nur eine richtige Lösung gibt?*
Die Vermutung liegt nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen unserer Vorstellung von der präzisen und eindeutigen mathematischen Fachsprache und unserem Wunsch nach sprachlicher Exaktheit geben könnte. Gerade Zahlen mit ihrer eindeutigen Wertigkeit sind prädestiniert dafür, uns diese Exaktheit vorzuspiegeln. In der bildhaften Sprache ist das natürlich nur Schein. Wenn ich jemanden als um „sieben Ecken“ mit mir verwandt bezeichne, ist das nicht wörtlich zu nehmen.

*Gefällt Ihnen eine mathematische Redewendung besonders?*
Ich finde die Klarheit und Nachvollziehbarkeit der verwendeten mathematischen Bilder mancher Redewendungen bewundernswert, wie zum Beispiel in dem Ausdruck „Dreiecksbeziehung“, wenn jemand auf die „schiefe Ebene“ gerät oder man vor Angst „tausend Tode“ stirbt.

Stand: 12. Mai 2010