Ich werde kämpfen

Diagnose Krebs. Mariann schreibt über ihr Leben mit der schlimmsten Krankheit, vor der wir uns alle fürchten.

Blick, Bild: Schwesterhase@izzynet.de

Mit 14 schon regelmäßig zur Vorsorge

„Es tut mir sehr leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber…“

„Sie sind krank. Unsere Befürchtungen haben sich bestätigt. Sie haben Krebs.“ Das ist der Satz, vor dem ich mein Leben lang Angst hatte. Immer. Es hatte schon einige Krebserkrankungen in unserer Familie gegeben. Viele, sogar. Deshalb bin ich immer wieder zur Vorsorge gegangen. Und dieses Jahr habe ich das zu hören bekommen, was mir seit ich 14 bin regelmäßig Albträume bereitet hat. Es reißt einem so ruckartig den Boden unter den Füßen weg, dass man sich tage-, wochen-, ja sogar monatelang nicht mehr in der Welt zu recht findet. Es beginnt ein scheinbar nie enden wollender Marathon aus Arzt- und Krankenhausbesuchen.

Erst die eine, dann die andere Therapie

Man versucht es mit der einen, dann mit der anderen Therapie. Und irgendwann habe ich wieder versucht zu leben. Etwas, das sehr schwierig ist, wenn man kaum noch Kontakt zu Freunden aus der Schule hat, einfach, weil man nicht mehr am Unterricht teilnehmen kann. Ich habe versucht, Menschen kennen zu lernen, die das Gleiche durchmachen müssen. Zum Beispiel während eines Krankenhausaufenthaltes. Das war im Mai, fast zwei Monate nachdem ich von der Krankheit erfahren habe.

Ich weiß wie du dich fühlst

Da habe ich mir mit Elisa ein Zimmer geteilt. Das fängt an, wie jedes andere Kennenlernen auch: man lächelt sich an, fragt nach dem Namen, Alter, Hobbys, was auch immer. Und dann blickt man sich schweigend in die Augen. Ihre schienen damals zu sagen: Ich weiß wie du dich fühlst. Besser als die Ärzte, deine Eltern und vielleicht sogar Gott. Ich weiß, dass du nachts weinend aufwachst, weil du Angst hast. Ich weiß, dass die Chance, dass wir beide überleben bei weniger als 20% liegt. Ich weiß ganz genau, wie sehr du dein Leben im Moment hasst. Wir könnten ein und dieselbe Person sein. Aber nie wäre es uns in den Sinn gekommen, auch nur ein Wort darüber zu verlieren.

Man will schreien, weinen, stampfen, sich wehren.

Über die Krankheit zu sprechen im Krankenhaus mit jemandem, der sie auch hat - das ist ein Tabu. Mehr als das. Es ist so viel mehr als das. Und doch will man irgendwann darüber sprechen. Man will schreien, weinen, stampfen, sich wehren. Aber wie, bitteschön, wie wehrt man sich gegen die Natur, das Schicksal, Gottes Willen? Und dann, drei Tage nachdem ich Elisa, die süße, liebe 13-jährige Elisa kennen gelernt habe, ist sie gestorben. Einfach so eingeschlafen. Ihre Augen hatten Recht. Die Chance, diesen Kampf zu überstehen ist gering. Aber man nimmt ihn trotzdem auf sich. Einfach so, aus Prinzip. Weil man ja nicht einfach aufgeben kann und will. Weil man leben will, muss.

...weil ich Angst habe

Und heute, wieder zwei Monate später, spüre ich den Tod immer mehr. Er ist ständig zugegen. Wenn meine Mutter mich morgens sanft weckt, wenn der Arzt mich mitleidig lächelnd abhört oder wenn ich morgens mit Tränen in den Augen vor dem Spiegel stehe, weil ich Angst habe. Ich glaube an das Schicksal und auch an Gott. Wenn etwas geschehen soll, geschieht es und das ist auch in Ordnung so. Manchmal verstehe ich es nicht und kann es nicht akzeptieren, aber ändern kann ich es ja trotzdem nicht und deshalb ist es schon irgendwie in Ordnung.

Ich will meine Mutter nicht mehr zum Weinen zu bringen

Aber ich habe Pläne geschmiedet. Ich wollte immer schon ein Jahr nach Afrika, nach dem Abitur, in die Entwicklungshilfe. Und ein Praktikum in einer Redaktion machen. Ich hatte mir fest vorgenommen, irgendwann zur Berlinale zu kommen - als Filmkritikerin. Aber heute nehme ich mir nur noch vor, meine Mutter nicht mehr zum Weinen zu bringen, wenigstens heute nicht. Denn neben all den Schmerzen, all den Verlusten mit denen ich kämpfe, ist dies das Schlimmste: ich sehe nicht nur mir zu, wie ich an diesem Kampf zerbreche, sondern ich muss auch noch meine Familie dabei beobachten, ohne auch nur das Geringste dagegen unternehmen zu können.

Ich werde kämpfen

Deshalb habe ich vor drei Wochen noch einen Entschluss gefasst. Ich werde kämpfen. Nicht nur für mich, sondern auch für alle, die an meinem Krankenbett sitzen, wenn ich wieder so starke Schmerzen habe, dass ich es kaum aushalte. Für alle, die meine Hand halten und mich lieb anlächeln. Für alle, die mir Kraft geben. Wenn ich sterben muss, soll sich der Kampf wenigstens lohnen. Und ich will ihn mit einem Lächeln (und auch einem Grönemeyer Lied in den Ohren) beenden können.

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Autorin / Autor: Mariann - Stand: 24. Juli 2009