Mädchensache - Teil 9

von Marianna Glanovitis

AM NÄCHSTEN MORGEN …

Die Mädchen saßen auf den Felsen, ließen die langen, braun gebrannten Beine baumeln und sprachen über den glücklichen Ausgang ihres Abenteuers. Das Wetter hatte sich wieder beruhigt.
„Was für ein Glück, dass Springer gestern gerade rechtzeitig gekommen ist!“, sagte Sara und versuchte vergeblich, ihr riesiges Eis in den Mund zu bekommen. Schließlich entschied sie sich dafür, es einfach zu schlecken, wie die anderen auch.
„Hi.“
Die Mädchen hatten nicht bemerkt, wie Lukas von hinten an sie herangetreten war.
„Na sieh mal einer an“, sagte Sabine grinsend. „Unser Schutzengel hat also doch den Weg zu uns gefunden!“
„Wir wollten uns noch dafür bedanken, dass du uns aus der Höhle befreit hast!“, sagte Sara. „Auch wenn das mit der Flut nur ein Bluff war, hätten wir da drinnen ja auf Hilfe warten können, bis wir schwarz geworden wären“, fügte sie lachend hinzu.
„Und außerdem bist du ja mit der Küstenwache gerade rechtzeitig gekommen, bevor die Wellen aus uns Kleinholz gemacht hätten“, fügte Lea hinzu.
„Warum warst du eigentlich gestern so schnell verschwunden?“, fragte Sabine.
„Ihr habt jedenfalls gestern sehr großen Mut gezeigt, Thomas verdankt euch sein Leben!“, sagte Lukas. „In der Zentrale werde ich jetzt als Held gefeiert. Ich weiß nicht, ob ihr es schon wisst, aber auf Hinweise, die zur Überführung des Täters führen, gibt es eine Belohnung und ihr habt ja genug getan, um den Dieb zu fassen. Lest mal!“
Er warf den Mädchen eine Zeitung zu.
Lea las vor:

„Atemberaubende Verbrecherjagd

Auf einem Campingplatz in Kroatien wurde gestern ein Verbrecher festgenommen. Nach Aussage der Polizei handelte es sich um einen Dieb, der Gegenstände mit hohem Wert stahl (darunter ein Armband aus dem 18. Jahrhundert, eine teure Stereo-Anlage und eine goldene Armbanduhr). Der Mann wurde gestern Mittag auf offenem Meer von der 10-Jährigen Lea, ihrer 12-Jährigen Schwester Sabine und deren 11-Jähriger Freundin Sara gestellt.
Lukas Gramer, der Kommissar, der den Fall aufklären sollte, berichtet: 'Durch das Eingreifen der Mädchen konnte ich den Dieb endlich fassen, nachdem er mir das ganze Jahr lang immer wieder entwischt ist.'
Die Mädchen erhalten 1000€ von der Polizei für die Ergreifung eines lange gesuchten Diebes.“

„Das können wir nicht annehmen… Wir haben doch schon…“, stammelte Sabine.
„Kommt überhaupt nicht in Frage, wir teilen mit dir“, sagte Sara. „Ohne dich hätten wir nicht viel von dem Geld gehabt!“
„Nein, nein“, sagte Lukas. „Ich bin befördert worden und bekomme eine Gehaltserhöhung…“
„Nein, keine weitere Diskussion. Tausend Euro lassen sich eh viel leichter durch vier teilen als durch drei! Wir teilen das Geld!“, bestimmte Sabine in einem Ton, der keine Widerrede duldete.
„Du bist jetzt Kommissar?“, fragte Lea. „Gratulation!“
„Woher wusstest du eigentlich, dass wir dort in der Höhle gefangen waren?“, fragte Lea.
„Wisst ihr…“, sagte Lukas. „Am besten ist es glaube ich, wenn ich euch die ganze Geschichte von Anfang an erzähle.“ Lukas setzte sich neben sie auf die Felsen. Lange ließ er den Blick übers Meer schweifen. Dann fing er an zu erzählen.
„Schon lange war ich hinter Thomas her, lange bevor ich euch getroffen habe. Als ich gerade meine Polizeiausbildung hinter mich gebracht hatte, erreichte eine Nachricht von immer dreister werdenden Diebstählen die Zentrale. Niemand meldete sich freiwillig, den Dieb zu jagen, alle wussten, dass der Dieb sehr gefährlich war und eine Pistole besaß. Keiner wollte den Auftrag annehmen.
Dann kamen sie auf den Gedanken, dass der Neue …“, an dieser Stelle schnitt er eine Grimasse. „…Doch mal seine Fähigkeiten unter Beweis stellen solle. Und so habe ich den Auftrag bekommen. Niemand rechnete damit, dass ich es schaffen würde. Alle waren erstaunt, als sie hörten, ich hätte den Dieb so gut wie geschnappt. Ich war mir ganz sicher, dass Thomas der Dieb ist, aber mir haben die Beweise gefehlt. Und euch habe ich für seine Komplizinnen gehalten, so oft, wie ihr beieinander gesteckt habt…“
„Wenn Blicke töten könnten…“, murmelte Sara, als sie Sabines bitterböses Gesicht sah.
„…wäre Lukas schon längst mausetot“, ergänzte Lea grinsend.
„Gestern früh“, erklärte Lukas weiter. „Habe ich dann erfahren, dass Familie Meier in der Nacht eine Stereo-Anlage gestohlen wurde. So etwas lässt sich nicht so leicht verstecken. Mir war sofort klar, dass er gehen und die Beute holen würde, um zu verschwinden. Dann habe ich zufällig mitbekommen, wie er euch abgewimmelt hat und dann losgefahren ist. Also habe ich ihn verfolgt, als er von seinem Stellplatz weg und vor ein dichtes Gebüsch fuhr, wo er seinen Wagen abstellte. Den Schlüssel hat er stecken lassen. Die Stereo-Anlage habe ich übrigens in seinem Auto gefunden.“
„Das ist unsere!“, rief Sabine. „Papa wird sich freuen!“
In ihrer Stimme schwang ein Tonfall mit, der deutlich machte, dass ihr Vater der einzige war, der sich freute.
„Ich wollte ihm auflauern“, fuhr Lukas fort. „Um ihn mit der Beute zu erwischen. Dann hätte ich endlich die Beweise gehabt. Also habe ich auf ihn gewartet, aber er kam nicht mehr zurück. Nach einer Weile habe ich beschlossen, nachzuschauen, wo er bleibt und den Eingang zur Höhle in den Büschen gefunden. Den Rest kennt ihr ja bereits.“
„Und was hast du jetzt vor?“, fragte Lea.
„Ich bin eigentlich gekommen, um euch auf Wiedersehen zu sagen. Vielleicht kreuzen sich unsere Wege ja irgendwann mal wieder.“ Er stand auf und wandte sich zum Gehen.
„Wo gehst du hin?“, fragte Lea erstaunt.
„Ich fahre heim“, sagte Lukas. „Schließlich habe ich ja auch eine Familie, die wissen will, wie der Fall ausgegangen ist.“ Er warf die Haare zurück und schritt davon.
„Komischer Kauz… Aber auch irgendwie nett…“, murmelte Sabine.
„Hey!“, hörten sie plötzlich Lea rufen. „Das ist mein Eis!“ Eine Möwe hatte es ihr stibitzt.
Wutentbrannt starrte Lea der Möwe hinterher. Plötzlich stockte ihr der Atem. „Hey, das gibt’s doch nicht! Das ist ja Springer!“, rief sie erfreut.
Die Mädchen folgten ihrem Blick. Dort war, weit draußen auf dem Meer, ein Delfin. Es war wirklich Springer.
„Danke!“, flüsterten die Mädchen gleichzeitig.
Springer drehte eine übermütige Pirouette und verschwand in den Wellen.
Das war das letzte, was sie von ihm für eine lange Zeit sehen sollten. Aber an dieses Abenteuer würden sie sich noch lange erinnern!

ENDE

Autorin / Autor: Marianna Glanovitis - Stand: 23. Juli 2010