Interview mit Catharina Schmalstieg

Wo fängt Rechtsextremismus eigentlich an?

Astrid: *Wie definiert ihr Rechtsextremismus*? Catharina: Rechtsextremismus setzt sich aus vielen menschenverachtenden Meinungen und Ideologieelementen zusammen, die auch nicht immer alle gleichzeitig bei allen Rechtsextremen vorhanden sind. Zu rechtsextremen Denkweisen gehört immer der Glaube, dass es Menschen gibt, die höherwertig und Menschen, die minderwertig sind. So glauben diese Menschen bspw., dass „Deutsch-Sein“ und „Weiß-Sein“ als solches schon eine Leistung ist und sie gegenüber anderen, auf die das nicht zutrifft, überlegen macht. Neben diesen rassistischen oder fremdenfeindlichen Ideen gehören folgende Kernpunkte zu den rechtsextremen Denkwelten dazu: Judenhass, überzogene nationale Gesinnungen und Volkstümelei, starke autoritäre Bestrebungen, eine Umdeutung und Verharmlosung der deutschen Geschichte (nicht nur der zwischen 1933 und 1945), eine ausgeprägte Demokratiefeindlichkeit oftmals orientiert an einem Führerideal und totaler Anpassungsbereitschaft. Ablehnung der Gleichberechtigung von Frauen, Hass auf Schwule und Lesben, religiöse und andere Minderheiten fügen sich nahtlos in diese rechtsextremen Denkgebäude ein. Allgemein ist rechtsextremes Denken durch einfache Freund-Feind-Schemata - „bist du nicht für mich, bist du gegen mich“ - und autoritäre Ansichten und Forderungen gekennzeichnet. Dieser Ausschluss von Menschen wird im Kopf vorweg genommen und mit Gewalt durchgesetzt. Diese Gewalt wirkt sowohl gegen die unmittelbar Betroffenen aber oft auch einschüchternd gegenüber Außenstehenden und Leuten, die potenziell gegen Rechtsextreme sind.

Astrid: *Und wie sehen solche „Rechten“ aus?* Catharina: Rechtsextreme sehen im Prinzip aus wie du und ich - klar, verwenden sie oft Symbole, um sich auch untereinander erkennen zu können. Doch nur an Äußerlichkeiten sollte man das nicht festmachen, denn das Outfit hat sich auch ziemlich gewandelt. Vor allem in Großstädten sind an die Seite des „typischen“ Skinheads Rechtsextreme getreten, die das „Palästinensertuch“ tragen oder im HipHop- oder Hooliganstyle auftreten. Mittlerweile gibt es auch Modemarken, wie z.B. Thor Steinar oder Sportfrei, die nicht so offensichtlich „rechts“ sind. Das führt dazu, dass man das gar nicht mehr so leicht erkennt und diese Moden leichter in die „Alltagskultur“ einsickern können. Diese Marken werden von der rechtsextremen Szene für die Szene hergestellt, die dadurch zu Geld kommt und auch nach außen Wirkung erzielen kann.

Astrid: *Was wollen Rechtsextremist/innen konkret?* Catharina: Je nach politischer Strömung wollen Rechtsextreme auch unterschiedliche Sachen: Manche wollen das Deutsche Reich wieder neu entstehen lassen, andere finden Hitler doof, alle haben aber die Abschaffung der Demokratie und der damit verbunden Rechte auf Unversehrtheit des Lebens, freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Menschenrechte zum Ziel.

Astrid: *Gibt es viele Mädchen, die rechtsextreme Positionen haben? Und die, die du kennen gelernt hast, wie schätzt du die ein?* Catharina: Meinungsumfragen gehen davon aus, dass Frauen genauso rechtsextrem denken wie Männer. Allerdings werden Frauen seltener politisch aktiv, das zeigt sich bei den demokratischen politischen Parteien genauso wie im rechtsextremen Spektrum. Bei den Rechtsextremen fordern Frauen zunehmend auch selbstbewusst Rollen ein, nachdem sie lange Zeit nur als Freundinnen von Jungen und Männern dabei sein „durften“. Das verschafft „rechten“ Frauen mittlerweile einen Vorteil, Funktionen in der Szene übernehmen zu "dürfen". Denn Außenstehende nehmen Mädchen und junge Frauen nach wie vor nicht als eigenständige politische Personen wahr und dadurch kommen die „rechten Mädels“ z.B. leichter durch Polizeikontrollen als ihre „Kameraden“. Die rechtsextremen Mädchen und Frauen übernehmen nicht nur immer mehr Aufgaben in der Szene, sondern sie werden auch immer gewalttätiger. Sie haben oft ihre eigenen Organisationen, aber trotzdem unterwerfen sie sich einem rechtsextremen Mutterbild und orientieren sich in ihrem Selbstverständnis an einem Frauenbild, das Frauen einen Männern untergeordneten Status zuweist.

Astrid: *Wie erklärst du dir rechtsradikale Positionen und ihr Erstarken? Sind das „Moden“, die vorüber gehen, ist das häufig nur „Rebellion“, anders sein wollen – oder hast du den Eindruck, dahinter stecken auch oft ernsthafte Überzeugungen? Oder kann man das gar nicht so sehr trennen? Gib es eine gesellschaftliche Grundstimmung, die Rechtsextremismus trägt?* Catharina: Die Erklärungen hierfür sind sehr vielschichtig. Mit „Rebellion“ oder „Mode“ kann man das Phänomen allerdings nicht angemessen erklären, obwohl bestimmte Bekleidungsstile ein Flair von Verbotenem umweht und sie dadurch auch an Attraktivität gewinnen. Wenn menschenverachtende Meinungen geäußert werden und womöglich Taten folgen, sollte man das immer ernst nehmen und genau hinsehen, was dahinter steht. Es lässt sich beobachten, dass die Rechtsextremen Themen aufgreifen, die uns alle beschäftigen und die auch in der „Mitte“ der Gesellschaft umstritten sind, z.B. Sozialgesetzgebung („Hartz IV“), Arbeitslosigkeit, Zuwanderung, Irakkrieg usw. Der weithin bestehende Wunsch nach einfachen und schnellen „Lösungen“ macht es leicht, Meinungen zu radikalisieren. Rechtsextreme kommen halt nicht vom Mond, sondern sind ganz von dieser Welt. Das aktuelle Beispiel einer Anschlagserie auf Brandenburger Imbisse (die zumeist von Migranten betrieben wurden) durch eine Gruppe von Jugendlichen zeigt die Einbettung rechtsextrem gesinnter Jugendlicher in unserer Gesellschaft noch einmal sehr deutlich. Viele Erwachsene und Mitschüler/innen haben von diesen Taten gewusst und keiner hat die Polizei informiert. Dieses klammheimliche Einverständnis mit den Tätern und die Zustimmung zu ihren dumpfen Parolen sind die größte Gefahr für die Demokratie.

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Autorin / Autor: ~astrid~ - Stand: 25. Februar 2005