Interview mit Professor Porquinho

...den brasilianischen Akzent müsst ihr euch dazu denken ;-)

*Nadja* Hi Porquinho, nett, dass du mir die Interviewfragen beantwortest. Seit wann machst du schon Capoeira?

*Porquinho* Im Mai seit 15 Jahren. Ich werde jetzt 30 und genau die Hälfte meines Lebens mache ich jetzt Capoeira.

*Nadja* Seit 15 Jahren, und seit wann unterrichtest du auch?

*Porquinho* Unterricht mache ich jetzt seit neun Jahren. Ich habe in Brasilien bereits Unterricht gegeben, und danach in Deutschland auch für den gleichen Verein Capoeira gelehrt. Seit vier Jahren besitze ich jetzt meine eigene Schule "Pernas pro Ar". 1996 bin ich nach Köln gekommen und habe in einer anderne Schule Capoeiraunterricht gegeben. Wir waren am Anfang 15 Leute, eine sehr kleine Gruppe, weil Capoeira damals hier noch sehr unbekannt war. Vier Jahre später waren wir schon 70, zu der Zeit habe ich meine eigene Schule gegründet. Ein paar Leute sind dort geblieben, einige sind mit mir gekommen. Damals war ein guter Zeitpunkt, eine Schule zu gründen. Mittlerweile gibt es mehrere Schulen, wo man auch alle Capoeirastile wie Angola und Regional findet. Seit zwanzig Jahren gibt es die Capoeira auch an der Uni, das Ganze wird einfach ein bisschen professioneller vermittelt, und man lernt mehr, es gibt mehr Basis.

*Nadja* Gibt es neben der Capoeira Angola und der Capoeira Regional noch andere Capoeira-Stile?

*Proquinho* Nein, das sind die beiden Stile. Aber in der Capoeira Regional gibt es verschiedene Arten des Capoeira-Spiels, z.B. die Bengela. Welches Spiel gerade gespielt wird, bestimmt die Musik des Berimbao. Manchmal spielt es langsamer, manchmal schneller, je nach Stilrichtung.

*Nadja* Was bedeutet Capoeira für dich?

*Porquinho* Für mich bedeutet Capoeira fast alles. Wenn ich kämpfe, kämpfe ich mit Capoeira, wenn ich Geld verdiene, mache ich das mit Capoeira. Capoeira spielt eine sehr große Rolle in meinem Leben. Musik, Philosophie, Kampf, Freundschaft, das verkörpert meinen Lebensstil, zu dem ich mich vor ein paar Jahren entschieden habe.

*Nadja* Was ist das denn für eine Philosophie?

*Porquinho* Ich wohne jetzt zum Beispiel seit sechs Jahren in Deutschland und für einen Brasilianer ist das Leben hier ein bisschen hart wegen dem Essen, wegen der Sprache, dem Wetter oder den Menschen, und manchmal benutze ich die Capoeira den ganzen Tag lang, das ist mein Lebensstil geworden. Wenn ich ein Problem habe, freue ich mich auf den Abend, Gott sei Dank, ich kann ein bisschen singen, spielen, Musik machen. Ich gebe für meine Schule, was ich kann.

*Nadja* Capoeira wird ja auch manchmal als Therapie eingesetzt, stimmt das?

*Porquinho* Auf jeden Fall, wir haben viele Beispiele: Wenn ein Capoeirista z.B. Probleme hat im Job oder sonstwo, und er kommt hierher und macht Capoeira, ist er nach einer Stunde ganz anders drauf. Er hat Sport gemacht, Musik gemacht, sich mit Leuten unterhalten. Bei den Kindern ist das genau das gleiche, sie kommen aus der Schule und haben viel zu viel Energie, die sie beim Capoeira loswerden können. Die Capoeira heute dient oft als Ausgleich zu dem ganzen Stress hier in Europa **g**.

*Nadja* Unterscheidet sich denn die Capoeira in ihren Wettkämpfen oder im Leistungsdruck von anderen Sportarten?

*Porquinho* Auf jeden Fall. Der erste Unterschied ist schonmal, dass bei der Capoeira nie nur zwei Menschen kämpfen, sondern man sieht immer eine ganze Gruppe von Leuten, die zusammen Musik machen, singen und jeweils zwei von ihnen spielen. Für Capoeira brauchst du eine Gruppe, das ist viel sozialer als andere Kampfsportarten. Die Batizado ist eine Tradition von Mestre Bimba: er hat am Anfang Halstücher verteilt, blaue und rote, später auch weiße, aber nicht viele. Diese Graduation hängt heute sehr von der einzelnen Schule ab. Die Graduation zeigt dein Niveau an. Wichtig ist die erste Batizado, wo du den gelb-weißen Gürtel bekommst und getauft wirst. Da treffen zwei Generationen aufeinander, die ganz jungen Capoeiristas und die alten Meister, die die neuen taufen. So geht das weiter, die jungen werden alt und taufen die neuen. Dieser Tag ist sehr speziell in der Tradition. Später, wenn der Schüler getauft ist, bekommt er nur eine neue Farbe, wenn sein Lehrer ihn dafür für reif genug hält. Die Farbgraduationen sind von Schule zu Schule unterschiedlich. Wichtiger als die Farbe des Gürtels ist die Zeit, die du bereits Capoeira machst, oft sagt der Gürtel nicht viel über die Qualität deines Spiels aus, sondern zeigt eher, wieviel Jahre du im Verein bist. Vielleicht kannst du nur spielen, aber nicht singen und Musik machen. Du kannst deinen eigenen Stil finden, vielleicht kannst du gut Berimbao spielen aber nicht singen, macht nichts, dann bist du eben ein guter Tocador und andere sind gute Sänger.
Die soziale Sache ist ein großer Punkt in der Capoeria, man ergänzt sich gegenseitig.

*Nadja* Seit wann machen denn eigentlich auch Frauen Capoeria, ursprünglich war das doch Männersache, oder?

*Porquinho* Seit 1990 gab es einen Boom in der Capoerira bzgl. der Frauen.

*Nadja* Seit 1990 erst?

*Proquinho* Achtzig. Seit achtzig. In den letzten 24 Jahren hat die Capoeira einen großen Sprung gemacht. Seit die Capoeira vor 20 Jahren auch an die Universitäten gekommen ist, gibt es auch deutlich mehr Frauen in der Capoeira.

*Nadja* Gibt es denn auch viele Mestras?

*Porquinho* Wenn du in Brasilien auf einem Capoeiratreffen bist, findest du auf jeden Fall Professoras. Mestras nicht so viele, noch nicht. In der Zukunft gibt es mit Sicherheit mehr, das ist im Kommen. In meiner Schule früher waren 60% Frauen. Oft hab ich Unterricht gegeben, da waren drei Männer und sieben Frauen.
Noch ein großer Unterschied zwischen der Capoeira in Brasilien und der in Deutschland ist, das hier in Europa die Leute viel später damit anfangen. In Brasilien fangen die Leute mit 10, 11, 12, 13 an und hören mit 18 auf. Hier in Europa fangen die Leute oft erst mit 22, 23 damit an, hier kannst du locker einen 50 Jährigen im Capoeiraunterricht finden, das ist eine andere Mentalität. In Brasilien würden die Leute sagen, ich bin dazu viel zu alt, aber auch ein 50jähriger kann noch richtig gut werden.

*Nadja* Möchtest du noch was zu deinem Verein sagen?

*Proquinho* Ja, wir sind jetzt in Deutschland, Polen und in Griechenland vertreten, kommt halt einfach mal vorbei und probiert es mal aus. Auf unserer Internetseite findet ihr auch Links zu anderen Schulen. Viele denken, Capoeira ist total schwer zu lernen. Es gibt zwar viele schwierige Bewegungen, aber das heißt nicht, Capoeira ist schwierig, sie ist supereinfach zu lernen. Du fängst langsam an und dann wird man immer besser, man braucht sich keine Sorgen zu machen. Capoeria ist überhaupt nicht schwieriger zu lernen als andere Sachen auch :-).

*Nadja* Ok, super, vielen Dank für´s Interview!

*Porquinho* Nichts zu danken, gern geschehn.

Capoeira Pernas pro Ar in Köln

Autorin / Autor: Nadja Goede - Stand: 16. März 2004