Schabbat Schalom!

Stephanie Sellier hat es interessiert, wie jüdische Deutsche die neue Antisemitismuswelle in Europa erleben. Also haben wir mit der liberalen jüdischen Gemeinde in Köln Kontakt aufgenommen, woraufhin sie eingeladen wurde, am Gottesdienst teilzunehmen.

Momentan trifft sich die liberale Gemeinde noch beengt im Souterrain einer evangelischen Kirche. Sie besteht aus rund 80 Mitgliedern, die regelmäßig aus ganz Nordrhein-Westfalen zusammenkommen. Als wir ankommen, regnet es stark; trotzdem ist der Veranstaltungsraum voll. Die Stimmung ist herzlich. Man freut sich auf den Sabbat: Mit den Worten "Schabbat Schalom!" werden ringsum Hände geschüttelt.

Nachdem die Sabbatkerzen angezündet worden sind, führt uns eine Broschüre - zweisprachig, auf Deutsch und Hebräisch - durch die Liturgie, die mit viel Humor und Schwung von einer Frau geleitet wird, übrigens Lehrerin an einer Kölner Gesamtschule. Bei den Liedern passen wir, chronisch unmusikalisch, aber die Gebete auf Deutsch sprechen wir mit, so überraschend den Psalm 98, den wir als Christen gut kennen.

Gespräch

Nach dem Gottesdienst begeben wir uns in den Nebenraum, wo Tische und Stühle aufgebaut sind, um Brot und Wein zu segnen. An der Stirnwand ist ein Büfett aufgebaut, zu dem die Gemeindemitglieder Salate und anderes mitgebracht haben. Jeder bedient sich. Als alle sitzen, bittet uns die Frau, die den Gottesdienst geleitet hat, uns und unser Anliegen vorzustellen. Wir stellen die Fragen, die wir uns notiert hatten.

  • Gibt es eine neue Antisemitismuswelle?
    Zurückhaltendes Nicken. An einem Freudentag wie dem Sabbat hat man wenig Lust, über Antisemitismus zu reden. Vor einiger Zeit hätte die Gemeinde etwa einen Anruf von einem Mann erhalten, der ihnen - Rheinländern - wütend die Palästinenserpolitik Israels vorhielt, um mit der Forderung zu schließen, "die Juden" sollten gefälligst Israel aufgeben und nach Europa zurückkehren. Solche Anrufe seien neu.
  • Reagieren nicht-jüdische Demokraten angemessen?
    Die Linke sei im Kampf gegen Antisemitismus "nicht verlässlich", die Liberalen (FDP) schon gar nicht. Eine Frau sagte, sie kämpfe mit der Versuchung, das erste Mal in ihrem Leben die CDU zu wählen, zumal ihr die halbgebildete Selbstgerechtigkeit vieler Mit-Linker zum Halse heraushänge. "Die Linke stellt sich immer automatisch auf Seiten der Schwachen", so ein anderer, "und die Juden gelten eben derzeit nicht als schwach." Als wir kamen, stand vor der Tür der obligatorische Polizeiwagen.
  • Und die Christen?
    Ein anwesender Journalist, der auch oft zu Jugendveranstaltungen eingeladen wird, erzählt, dass es seiner Erfahrung nach zwischen Köln und der Provinz große Unterschiede gäbe. Dort hielte sich bei Evangelikalen oder tiefschwarzen Katholiken ein latenter, religiös motivierter Antisemitismus nach dem Motto: "Wozu brauchen wir Christen die Juden eigentlich noch?" Mit den bekannten Konsequenzen.
  • Gibt es auch Kontakte zu muslimischen Gemeinden in Köln?
    Natürlich, der Austausch sei freundlich.

Outing - ja oder nein

Outen sich ihre Kinder an der Schule als Juden? Ja, die anwesenden Eltern haben gute Erfahrungen mit Schulen gemacht. Wenn man sich offen als Jude bekennt, trifft man auf weniger Antisemitismus, so ein Vater. Eine Lehrerin habe seinen Sohn einmal gebeten, an Chanukkah seinen Leuchter mit in die Klasse zu bringen, und dann hätten alle Kinder - Christen, Muslime und Juden - gemeinsam Chanukkah gefeiert. Überhaupt sei es grundlegend, dass Kinder jeder Konfession mehr über andere Religionen lernten.

Abgründe

Aaron hingegen, mit dem wir vor dem Gottesdienst telefoniert hatten, erzählt eine andere Geschichte. Bis zum ersten Golfkrieg wusste an seinem Gymnasium in Köln niemand, dass er Jude war. Damals schoss Saddam Hussein Scud-Raketen auf Israel ab, das mit diesem Krieg nichts zu tun hatte. Aaron war, anders als seine MitschülerInnen, aufgewühlt. Diese hingegen schwelgten in Anti-Amerikanismus, die israelische Zivilbevölkerung schien ihnen egal. Da entschloss er sich, offen zu diskutieren.

Offenheit

Wir haben einen sehr anregenden Abend verbracht. Das lag nicht zuletzt am offenen Diskussionsstil, der von gemeinsamer intellektueller Neugier geprägt war. Wir trafen auf kritischen Selbstschutz, aber auf keinerlei Abschottung, im Gegenteil. Für den Kontakt zu Schulen eignen sich liberale jüdische Gemeinden vielleicht noch besser als orthodoxe, weil sie der Lebensrealität vieler liberaler Nicht-Juden näher kommen: Frauen etwa werden nicht auf die Empore verbannt, sondern können selbst den Gottesdienst leiten. Einige Gemeindemitglieder sind offen schwul bzw. lesbisch, kein Problem.

Autorin / Autor: Stephanie Sellier - Stand: 15. Mai 2004