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Tiere mit Augenflecken profitieren vom Mona-Lisa-Effekt: Der Räuber fühlt sich angestarrt und eingeschüchtert

Ein Tagpfauenauge (Aglais io) hat auf der Oberseite jedes Vorder- und Hinterflügels Augenflecke, die Betrachtende anzuschauen scheinen.  Bild: © Hannah Rowland, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

Besucherinnen und Besucher einer Gemäldegalerie kennen das Gefühl vielleicht: Sie fühlen sich von den Porträts beobachtet oder gar verfolgt, egal, wo sie sich im Raum aufhalten. Dieser Eindruck wird nach dem bekanntesten Porträt mit der beschriebenen Wirkung „Mona-Lisa-Effekt“ genannt und kommt dadurch zustande, dass die Pupillen der porträtierten Person exakt zentriert sind. Manche Tiere, darunter viele Fische und Schmetterlinge, haben paarweise angeordnete kreisrunde Flecke auf ihrem Körper, die Augen sehr stark ähneln. „Die Natur scheint den Mona-Lisa-Effekt ebenfalls zu nutzen. Doch im Tierreich kann es um Leben und Tod gehen. Augenflecke können einschüchternd wirken und Räuber davon abhalten, überhaupt anzugreifen, denn sie halten die Augenflecke für die Augen ihrer eigenen Feinde“, sagt Hannah Rowland, Leiterin einer Max-Planck-Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena.

Um die Wirkung des Mona-Lisa-Effekts zu testen und auszuschließen, dass auffällige Muster an sich schon abschreckend wirken, entwickelte Hannah Rowland zusammen mit John Skelhorn von der Universität Newcastle ein Verhaltensexperiment mit frisch geschlüpften Küken von Haushühnern. Die Forschenden trainierten die Küken darauf, künstliche Pfauenaugen anzugreifen. Nachdem die Küken gelernt hatten, wie man die Beute angreift, wurde ihnen jeweils einer von drei verschiedenen künstlichen Faltern vorgesetzt: einer mit Augen, deren Mittelkreise nach links verschoben waren, einer, dessen „Augen“ nach rechts blickten, sowie einer mit perfekt konzentrischen Kreisen. Die vermeintlichen Augen schienen also nach vorne oder zu einer der beiden Seiten zu blicken. Dann bauten die Forschenden Mini-Laufstege für die Küken, die entweder direkt zum Futter führten oder sich seitlich der Beute näherten.

In ihrer Studie zeigen die Forschenden des Max-Planck-Instituts und der Universität Newcastle, dass vor allem die Anordnung der Augenflecke einen Einfluss auf das Überleben der Beutetiere hat. Küken etwa lassen sich eher abschrecken, wenn die Augenflecke den räuberischen Vogel direkt anzuschauen scheinen. Am wirksamsten sind konzentrische Kreise, die subjektiv den Eindruck erwecken, den Blickkontakt aufrechtzuerhalten, unabhängig von der Perspektive, aus der sich der Angreifer nähert.

Die Ergebnisse der Verhaltensexperimente waren eindeutig: „Die Küken näherten sich vorsichtiger von links, wenn die Augenflecke nach links zu blicken schienen. Ähnliche Vorsicht zeigten sich von rechts nähernde Küken, wenn die Augenflecke nach rechts verschoben waren. Wenn sich die Küken dem künstlichen Pfauenauge jedoch aus der entgegengesetzten Richtung näherten, attackierten sie den vermeintlichen Falter. Faltern mit konzentrischen Kreisaugen näherten sich die Küken aus allen Richtungen nur mit großer Vorsicht“, fasst John Skelhorn die Beobachtungen zusammen.

Die Verhaltensbeobachtungen bestätigen die Vorhersage, dass die Küken die künstlichen Augenflecke tatsächlich als Augen wahrnehmen. „Augenflecke mit konzentrischen Kreisen scheinen Räuber, wie unsere Küken, aus vielen Richtungen anzustarren – genau wie Porträts, die den Blickkontakt zu halten scheinen, egal, wo man im Raum steht. Dies erklärt vermutlich auch, warum sich Augenflecke in der Natur in verschiedenen Tieren unabhängig voneinander entwickelt haben“, sagt Hannah Rowland.

Quelle:

Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung; Bild: © Hannah Rowland, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie - Stand: 27. Oktober 2022