Wie Schneeflocken

Es war Winter und Jamon saß auf der Straße im Schnee. Die Welt um ihn herum war weiß. Er musste die Augen zukneifen, um etwas erkennen zu können. Zu dem Haus, in dem er wohnet, schaute er nicht. Er schaute nur den Himmel an und die großen weißen Flocken, die auf sein erstauntes Gesicht fielen. Jamon dachte nach.
Tari spielte. Sie versuchte aus dem Schnee einen Schneemann zu bauen. Jamon sah ihr zu. Seine Schwester. Sie war nur vier Jahre jünger als er.
Pulverschnee. Mit Pulverschnee kann man nicht leicht einen großen Schneemann bauen. Tari wusste das und sie wollte, dass ihr Bruder ihr half.
Jamon ließ den Schnee durch seine Hände rieseln. Dann sprang er auf. Er jagte Tari nach, die kreischend vor ihm davon lief. Tari lachte und kicherte, als er sie festhielt und eine Portion Schnee in ihrem Gesicht verrieb.
Jamon lachte auch. Aber er wusste, dass es kein echtes Lachen war. Damals, als er im ersten Schnee noch die Straßen mit seinen Freunden unsicher gemacht hatte, doch diese Zeiten waren vorbei. Er wusste das auf einmal. Es tat ihm Leid. Es passierte so oft, dass er sein Fahrrad anschaute oder selbst wenn er die kleinen Kinder mit Wasserbomben spielen sah und ihm auf einmal klar war, dass das vorbei war.
Er zog den Handschuh aus. Seine Hand wurde kalt. Aber das war Jamon egal. Eine einzelne Flocke landete auf seiner Hand. Sie lag da, klein, symetrisch. Als er noch jünger  war, hatte er immer Schneeflocken gemalt.
Sie kam ihm vor wie die Ewigkeit. Eingefroren, erstarrt. Aber dann schmolz die kleine Flocke in seiner Hand und Jamon wusste, dass auch sein Leben weiter gehen würde. Es gab keine Ewigkeit. Und mit jedem Atemzug verlor ein Stück Kindheit mehr.
Er wollte das nicht, aber er wusste auch, dass er nachher noch mit seinen Kumpels rumhängen würde. Vielleicht würde jemand Alkohol mitbringen. Es waren ja Ferien.
Mehr Schneeflocken bleiben auf seiner Hand liegen. Sie schmolzen alle.
Und dann ging Jamon wieder nach drinnen. Kindheit, das war nichts mehr für ihn. Kindheit war wie Schneeflocken. Sie kommt, wunderbar und toll, aber sie schmilzt auch wieder. Und zwar für immer. Jede Schneeflocke ist einmalig.

Autorin / Autor: islenski.hesteurinn - Stand: 11. Dezember 2008