Versteckt im Schrank

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Linda schnupperte. Es roch nach Blumen! Es war der erste warme Frühlingstag, ein bisschen Schnee lag noch an ein paar Stellen. Linda und ihre – ebenfalls zwölfjährige - Freundin Katja unternahmen eine kleine „Erkundungstour“ am Rande ihres Dorfes. Katja war die unternehmungslustigere der beiden, Linda war eher zurückhaltend und widersprach keinem gern, schon gar nicht Katja. Die Mädchen steuerten den nahe gelegenen Wald an, um dort Fangen zu spielen. Er hielt viele Verstecke bereit, bot Schatten und war außerdem eine schöne Umgebung, um Rast zu machen. Kaum, dass die ersten Bäume hinter Katja lagen, rannte sie auch schon los und rief Linda neckisch „ Fang` mich doch!“ zu. Das ließ diese sich nicht zweimal sagen. Sie spurtete hinter Katja her, die den schmalen Waldweg bereits verlassen hatte. Doch Katja war schnell, ausdauernd und schlau. Mal lief sie plötzlich nach rechts, mal unvorhergesehen nach links und dann versteckte sie sich wieder hinter einem Baum, um die vorbeischießende Linda zu erschrecken. So ging das eine ganze Weile, bis sich Katja k.o. auf den mit Moos bewachsenen Boden einer Lichtung warf. Sie war so erschöpft, dass sie das riesig hinter ihr aufragende, verfallene, alte Anwesen zuerst gar nicht bemerkte. Nach einigen tiefen Atemzügen drehte sie sich um und konnte es sehen. Auch Linda war inzwischen  angekommen und lehnte sich keuchend an einen Baum. „Schau mal!“, deutete Katja auf das Haus hinter sich. Linda nickte, verschnaufte erst einmal und setzte sich dann zu ihr. „Glaubst du, das gehört noch jemandem?“, fragte Linda nachdenklich. „Glaub ich nicht.“ Katja stand auf. „Aber auf jeden Fall sieht es sehr geheimnisvoll aus.“ Das tat es allerdings. Der Dachgiebel, die Türen und die Fenster waren mit fremdartigen Tieren geschmückt. An den vorderen Eingang war einen braun angelaufener Messingring angebracht. In den Fensterscheiben fehlte das Glas, die halb abgerissenen Vorhänge wehten gespenstisch im Wind und einer Statue, die einmal vor der Tür gestanden haben musste, fehlte ein Arm und das ehemals hübsche Gesicht war so abgeschlagen, dass es bedrohlich wirkte. Von überall hingen Spinnenweben herunter und an einer Stelle war das Mauerwerk regelrecht zerbröckelt. Die Mädchen liefen um das Gebäude herum. Als sie an der Hinterseite angelangt waren, fiel Katja eine zweite Türe auf, die offenbar nicht verriegelt war, wie die vordere, sondern nur angelehnt. Das war DIE Gelegenheit, einmal in das rätselhafte Haus hineinzukommen! Abenteuerlustig funkelte es in Katjas Augen. Linda, die die Gedanken ihrer Freundin sofort erraten hatte, sagte schnell: „Och, Katja … da ist der Zutritt bestimmt verboten… komm, lass uns… lass uns…“  „Da müssen wir rein!“ Katja schien ihr gar nicht zuzuhören. Sie starrte immer nur auf den schmalen schwarzen Streifen, den die angelehnte Tür als einzige Sicht von innen freigab. Linda wollte noch etwas sagen, aber Katja war schon durch den Eingang geschlüpft. Also musste sie wohl oder übel mit weichen Knien hinterher. Die Mädchen fanden sich in einem großen, an der Decke stuckverzierten Saal wieder. Die Luft roch feucht-modrig, aber auch ein bisschen süß, als erinnerte sich damit das verfallene Gebäude an seine längst vergangenen, süßen alten Zeiten. In der Mitte des Saales, in dem die beiden standen, befand sich eine marmorne Tafel. Rechts in einer Ecke war ein großer Schrank, darauf eine Vase, deren Inhalt wohl einmal so etwas wie Blumen war. Angesichts des unter vielen Spinnweben begrabenen, aber säuberlichst aufgedeckten Geschirrs erschauderte Linda unweigerlich. Plötzlich wurden die Mädchen von zwei Stimmen, die von der links aufragenden Wendeltreppe herzukommen schienen, aus ihren Gedanken gerissen. „Oh- oh“, machte Katja. „Wenn das Erwachsene sind, wollen die uns hier sicher nicht sehen. Von wegen ‚Kinder dürfen hier nicht sein, das ist viel zu gefährlich, blabla’“, äffte Katja gekonnt einen Erwachsenen nach und kicherte. Linda, der gar nicht zum Lachen zumute war, sprang bereitwillig hinter ihr her in den Schrank, wo sie sich erst einmal verstecken würden. Die Stimmen konnte man nun schon deutlich hören. Es waren eindeutig Männerstimmen, eine tiefere, sonore Stimme und eine höhere. Man merkte, dass sie inzwischen in dem Saal angekommen waren. Eine schauderhafte Gänsehaut lief Linda kalt den Rücken herunter. Wenn das Gespenster waren, oder… Sie konnte den Gedanken nicht mehr zu Ende führen, denn Katja bewegte sich unbehaglich hin und her. „Was ist?“, flüsterte Linda. „Ach, da raschelt was unter meinem Po“, zischte Katja. Linda klopfte das Herz, denn nachdem die beiden Stimmen eine längere Pause eingelegt hatten, unterhielten sie sich weiter: „Also, wo is jetz das Geld? Mann, Alexej macht es uns aber nicht leicht!“ „Ja, aber wenn wir dieses schöne Sümmchen Schwarzgeld erst einmal gefunden haben, dann machen wir uns ein schönes Leben in Lotto-Totto - oder wie das heißt.“ „Das heißt Toronto, du Depp!“, schrie die tiefere Stimme. „Na ja, auf jeden Fall müssen wir die Piepen erst mal finden, die der Bursche hinterlegt hat!“
„Schwarzgeld!“, wiederholte Katja flüsternd. „Sie suchen nach verstecktem Schwarzgeld! Schau mal, erledige bitte einen Anruf für mich.“ Sie drückte der Freundin ihr Handy in die Hand. Linda sah Katja jedoch nur unverständig und ängstlich an, worauf diese antwortete: „Eins - eins - null! Kapito?“ Linda nickte. Ihr Herz jedoch schlug jetzt so laut, dass sie Angst bekam, jemand würde es hören. Was, wenn ihr Versteck aufflog? Mit zittrigen Händen wählte sie. Katja machte wieder diese unruhigen Bewegungen und zog - überraschend und leider auch raschelnd ein Bündel 500-Euro-Scheine unter sich hervor! Linda erstarrte. Sie bemerkte gar nicht, wie die freundliche Stimme am Telefon versuchte, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Die Gauner hatten sie bestimmt bemerkt! Genau das, was sie suchten, hatten die beiden Mädchen bei sich im Schrank! Jetzt konnte das Mädchen zwar wieder flüsternd das Gespräch aufnehmen, war aber mit den Gedanken an einem völlig anderen Ort. Als sie auflegte, hörte sie die Männer weiter reden: „Was stand da auf dem Zettel? ‚Geld in Sranke! So ein Schwachkopf!“  Die Männer hatten sie also nicht bemerkt. Aber Lindas Herz, das soeben von der Hose wieder in seine normale Position geklettert war, nahm wieder seine Fahrt in der Rutschbahn nach unten auf, als sie hörte: „Nein, das muss heißen… lass mich überlegen… ich hab’s! Geld im Schrank!“ Linda war wie gelähmt vor Schreck. Schwere, Unheil verkündende Schritte kamen auf das Versteck zu, das in Bälde aufgedeckt werden sollte. Lindas Magen unternahm eine selbstständige Irrfahrt, selbst Katja wurde es jetzt Angst und Bange. Immer näher, drohend näher kamen die Schritte. Jetzt blieben sie direkt vor dem Schrank stehen. Hände kratzten die Schranktüre entlang, nahmen die Griffe und… eine Sirene ertönte. Erleichtert atmeten die Mädchen auf. „Mist, die Bullen!“ – „Halt, Polizei!“ – „…unschuldig!“ – „… nicht wehren!“ – „ … festgenommen!“ – „… Geld!“  und ähnliche Schreie konnte man von außen vernehmen. Würden die Männer in Grün die beiden Banditen festhalten können? Als die Mädchen sich nach ein paar langen Minuten bangen Zuhörens endlich aus dem Schrank heraustrauten, wurden sie noch von einem freundlichen Polizisten in ein Auto gesteckt und sollten mit zur Polizeistation gefahren werden. Im Auto zog Katja ihr Fazit: „Siehst du, es war doch gut, dass die Tür nur angelehnt war - endlich war mal etwas Spannendes los!“



ENDE

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Autorin / Autor: Margritta, ? Jahre - Stand: 15. Juni 2010