2076

Von Marlene Seifert, 17 Jahre

[Aidan]

Wales, 2076. Der Brexit hat sich Jahrzehnte vor meiner Geburt durchgesetzt. Großbritannien ist von der EU abgespalten und hat sich auch sonst von Europa abgeschottet. Der Eurotunnel ist außer Betrieb, aber das ist egal, es darf ohnehin niemand mehr rein oder raus. Aber für mich ist das okay, ich bin hier glücklich.
Hier - das ist eine winzige Insel vor der Westküste von Wales namens Bardsey Island. Wir haben nicht viel - zum einen die Bäckerei, in der ich arbeite, ein Restaurant, einen Supermarkt und ein Vogelbeobachtungszentrum. Dann gibt es noch ein Kinderheim, wo ich früher gewohnt habe, nachdem meine Eltern mich hier ausgesetzt haben; aber das ist viele Jahre her. Mittlerweile lebe ich in einem Cottage der Bardsey Island Trust, einer lokalen Unterkunft für Selbstversorger, von der aus man bei klarem Wetter übrigens einen wunderbaren Blick auf die irischen Wicklow Mountains hat. Im Moment bin ich an der Arbeit - da die Bäckerei zu den wenigen Geschäften auf der Insel gehört, ist sie stets gut besucht und manchmal springt sogar ordentlich Trinkgeld für mich raus.
Nicht, dass ich viel davon nötig hätte. Die Institution zahlt mir ja das Haus und die Anreise zu ihnen und Aimee. Schon beim Gedanken an sie bekomme ich Herzrasen. Aimee ist der einzige Grund, warum sich mein Leben hier auf der Insel aushalten lässt, warum ich nicht schon längst das Handtuch geschmissen habe und nach London gezogen bin (die haben da zumindest ein Kino, habe ich mir sagen lassen).
Wir sind praktisch zusammen aufgewachsen, meine Gefühle für sie habe ich jedoch erst in den vergangenen Monaten entdeckt. Glücklicherweise kann ich sie an jedem zweiten Tag in der Institution besuchen - morgen ist wieder so ein Tag.
Aimee ist hübsch, klug, vertrauenswürdig und sie liebt es, sich alte Filme anzugucken und sich über die schlechte Filmqualität lustig zu machen. Mit diesem Mädchen kann man echt Pferde stehlen. Wäre da nur nicht dieses winzig kleine Problem - sie ist kein Mensch.
Sie ist ein Roboter.
So wie alle in der Institution, von den Wissenschaftlern abgesehen. Jeder Mensch kriegt bereits vor seiner Geburt einen von ihnen zugewiesen - ich habe Aimee bekommen und damit verdammt großes Glück gehabt. Es ist keineswegs der Regelfall, dass sich die beiden Partner so gut verstehen.
Schuld an all dem sind die Wissenschaftler. Sie sind die Regierung in Großbritannien, erlassen Gesetze und sowas. Das wohl wichtigste ihrer Gesetze ist eben dieses, das besagt, dass jeder Mensch sich alle zwei Tage für drei Stunden mit dem ihm zugewiesenen Roboter beschäftigen muss.
Das mit der Zwei-Tage-Regelung hat übrigens einige Proteste bei den Bewohnern Großbritanniens hervorgerufen, aber die Wissenschaftler haben sich nicht erweichen lassen, und Widerständler wurden arrestiert. Ganz Schottland ist wie ausgestorben, weil alle weiter in den Süden gezogen sind, damit die An- und Abreise überhaupt machbar ist. Ich finde das ziemlich schlimm für die Betroffenen, bin dann aber wiederum auch froh, dass ich so nah an der Insel wohne und nur etwa eine halbe Stunde Zug fahre.
Die Insel ist der Ort, wo die Institution steht. Sie hat meines Wissens keinen Namen, aber das muss sie auch nicht, denn die Institution ist das einzige Bauwerk dort und wenn die Leute über die Insel reden, dann sagen sie einfach „Ich fahr zur Institution” oder Ähnliches.
Die Institution selbst ist sowohl die Bezeichnung für die Wissenschaftlerorganisation als auch für den Gebäudekomplex, in dem diese angesiedelt ist. Soweit ich weiß, sind die Wissenschaftler die einzigen Menschen in ganz Großbritannien, die keinen Roboter zugewiesen haben. Nicht alle von ihnen leben in der Institution - viele wohnen in Schottland, da dort jetzt schön viel Platz für ihre Forschungen ist.
Morgen fahre ich jedenfalls wieder dorthin, um Aimee zu sehen. In Gedanken bin ich schon bei ihr, während ich aus der Bäckerei trete. Etwas weiter die Straße runter wartet eine glänzende Limousine. Ich steige auf der Beifahrerseite ein. Hinterm Steuer sitzt Hickson, mein Bodyguard. Okay, das klingt jetzt, als wäre ich mega wichtig oder berühmt oder sowas. Nein, die Institution hat mir Hickson zur Seite gestellt, weil sie nicht wollen, dass ich allein wohne. Irgendwie nett von ihnen, auch wenn sie mein Argument, dass ich 26 und berufstätig bin, nicht gelten lassen wollten.
Hickson ist Mitte 40 und hat schütteres, sandfarbenes Haar. Er redet nicht viel, aber ich glaube, er mag mich trotzdem, zumindest ist er immer freundlich. Außerdem lebt er mit mir im Cottage.
Auf der Heimfahrt frage ich ihn, was er heute so den ganzen Tag getrieben hat, doch er antwortet wie immer nicht und schließlich lasse ich es gut sein und widme mich lieber den Gedanken an Aimee. Morgen. Morgen werde ich sie wiedersehen.


Hickson fährt mich zum Bahnhof. Dort wartet er, bis ich im Zug bin, bevor er davonfährt. Der Zug ist wie immer überfüllt, da heute sämtliche Menschen aus ganz Großbritannien zur Institution fahren. Mir fällt ein Mann ins Auge, der ein paar Plätze weiter sitzt und den ich schon oft hier gesehen habe. Aus irgendeinem Grund sitzt er immer in meiner Nähe, habe ich das Gefühl.
Die Zugfahrt dauert nicht lange und mit jeder Minute steigert sich meine Vorfreude, Aimee wiederzusehen. Es ist fast schon ungesund, wie abhängig ich von ihrer Gesellschaft geworden bin.
Auf der Insel angelangt, kann man die Institution schon von Weitem sehen. Sie ist groß, weiß und hässlich. Die Menschenmassen strömen aus dem Zug und ich werde mitgerissen, bis wir schließlich am Haupttor angelangen. Jetzt heißt es warten. Nach ein paar Minuten kommt ein Wächter und geleitet mich durch das geräumige Hauptgebäude zu Aimees Zimmer. Die Flure sind in sterilem Weiß gehalten, nur ab und zu hängen abstrakte Gemälde an den Wänden. Sich hier wohlzufühlen stelle ich mir schwierig vor, aber ich glaube, Roboter haben andere Probleme.
Nach ein paar Minuten sind wir da. Der Wächter öffnet mir die Tür und lässt mich dann allein. Ich betrete Aimees Zimmer und sehe sie schon hinter ihrem Schreibtisch sitzen. Sie sieht auf und lächelt, als sie mich kommen sieht.
Ich greife in meinen Rucksack und sage: „X-Men oder Die Bourne Identität?”


Nach dem Film - Die Bourne Identität - verabschiede ich mich von Aimee und mache mich auf den Weg zu meinen Untersuchungen. Hierbei werde ich wieder von einem Wächter begleitet, als ob ich nicht mittlerweile selbst wüsste, wo die Räume sind. Aber ich sage nichts, sondern warte, bis wir die Räumlichkeiten erreicht haben und der Wächter mich wieder verlässt.
Drinnen warten bereits Doktor Bröhnder und Doktor Hadanger auf mich. Doktor Bröhnder ist der Kopf dieser ganzen Organisation, sozusagen der Wissenschaftler der Wissenschaftler, und Doctor Hadanger ist seine Assistentin. Er ist Ende sechzig und hat ergraute Haare, ist aber topfit, von der Brille mal abgesehen. Für mich ist er so etwas wie ein Vaterersatz, nachdem meine Eltern sich vermutlich irgendwo auf den Malediven vergnügen. Sie ist eine dunkelhäutige Schönheit mit vielen Kurven und schwarzen Afrolocken mit violetten Strähnen. Im Gegensatz zu Bröhnders hat ihre Brille Ränder, dicke schwarze sogar, wodurch sie noch strenger wirkt als ohnehin schon.
„Hallo, Aidan”, begrüßt mich Dr Bröhnder freundlich und bedeutet mir, mich zu setzen. Im Gegensatz zu sonst lächelt er nicht.
Ich weiß bereits, was jetzt folgt, ich erlebe das jeden zweiten Tag meines Lebens. Sie machen ein EEG, eine Elektroenzephalographie, die mittels Elektroden meine Gehirnaktivität nach dem Besuch bei Aimee misst, um meine Reaktion auf sie sehen und auswerten zu können. Aimee macht gerade irgendwo in diesem Gebäude haargenau dasselbe mit. Sie wollen so testen, wie Menschen und Roboter aufeinander reagieren, und feststellen, ob ein Zusammenleben irgendwann möglich sein könnte. Noch leben die Roboter alle isoliert hier in der Institution und jeglicher Körperkontakt ist streng verboten, auch nach den sechsundzwanzig Jahren, die ich nun schon mit Aimee verbringe.
Die Doktoren sind heute anders drauf als sonst. Statt eines freundlichen Lächelns und der Frage nach meinem Befinden bekomme ich lediglich ein Stirnrunzeln, was ein ungutes Gefühl in mir hervorruft. Sie wollen mir aber partout nicht verraten, was los ist, und schicken mich, nachdem sie zwei weitere Untersuchungen durchgeführt haben, nach Hause.


Mein letzter Besuch ist zwei Tage her und somit ist heute wieder Institutionstag. Auf dem Weg zu Aimees Zimmer sehe ich Dr Hadanger, die nicht weit von mir in eine leise Unterhaltung mit einem weiteren Wissenschaftler vertieft ist. Als mein Wächter und ich uns nähern, blickt sie auf und bedenkt mich mit einem undefinierbaren Blick, bevor sie diesen schließlich abwendet und gen Boden blickt. Stirnrunzelnd laufe ich weiter, bis ich bei Aimee bin. „Sie haben drei Stunden, Sir”, sagt der Wächter so wie jeden Tag. Ich nicke ungeduldig und warte, bis er die Tür hinter mir schließt.
Sobald ich sie sehe, ist alles um mich herum vergessen.
„Aidan”, sagt Aimee und heute klingt in ihrer Stimme noch etwas anderes mit als Freude. Sie verzieht leicht die Mundwinkel, was mich an Dr Hadanger erinnert.
Ich setze mich ihr gegenüber. „Eben bin ich Hadanger begegnet. Sie hat mich total komisch angeguckt. Und vorgestern bei den Untersuchungen, da waren sie und Bröhnder irgendwie auch komisch drauf.” Aimee schaut mich mit gerunzelter Stirn an und in dem Blick aus ihren metallisch grauen Augen ist etwas, das ich nicht identifizieren kann.
Ich bin dabei, meine Tasche nach einem Film zu durchsuchen, doch als sie nichts erwidert, blicke ich zu ihr. Sie schlägt die Augen nieder. Ich ziehe eine Augenbraue hoch - Aimee hat noch nie Geheimnisse vor mir gehabt, jedenfalls nicht so offensichtlich. „Weißt du etwas, das ich nicht weiß?”, frage ich sie und kann nicht verhindern, dass meine Stimme bei diesen Worten etwas ungläubig klingt. Ich kann regelrecht sehen, wie Aimee mit sich kämpft, doch schließlich hebt sie den Blick und nun kann ich endlich die Emotion darin einordnen: Mitgefühl.
Warum Mitgefühl? Muss ich mir Sorgen um mich machen?
„Ich darf dir das eigentlich nicht erzählen.” Sie streicht sich ihr braunes Haar aus der Stirn und vermeidet es, mich anzusehen, bevor sie weiterspricht. „Deine Werte waren unerwartet. Sie haben dich als potenziell gefährlich eingestuft.” „Was?” Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Inwiefern könnten ich und meine Werte denen denn bitte gefährlich werden? „Du fühlst etwas, das du nicht fühlen darfst.” Aimee schaut mich wieder an, und ihr Blick ist neutral, wenn auch ein bisschen traurig. „Warum können die Wissenschaftler mir sagen, was ich fühlen darf und was nicht?”
„Weil du ein Roboter bist, Aidan.”


Ich. Ein Roboter.
„Das ist das Lächerlichste, was ich je gehört habe.”
Aimee sieht mich an und in ihren Augen sehe ich wieder Mitgefühl. „Ich kann mir vorstellen, wie überraschend das jetzt für dich kommen muss”, beginnt sie, doch ich unterbreche sie. „Nein, nein, das kommt nicht überraschend. Weil es nämlich nicht wahr ist. Ich kann überhaupt kein Roboter sein.” „Doch, kannst du”, sagt Aimee traurig, „und bist du auch.” „Nein, bin ich definitiv nicht! Roboter haben… ach, ich weiß doch auch nicht, sag du’s mir! Wir zwei sind doch vollkommen verschieden! Ich bin als Mensch hier, nicht als Roboter!” „Du bist in der Testphase”, sagt sie, „ein Versuchskaninchen sozusagen. Du bist der Prototyp einer neuen Programmierung. Du bist eine Version weiter als ich.” Ich starre sie sprachlos an. Was sie sagt, ergibt überhaupt keinen Sinn. Aber warum um alles in der Welt sollte sie sich das ausdenken? „Du hattest nie Eltern. Dr Bröhnder hat dich gebaut und dich in das Waisenhaus gebracht. Was meinst du, warum das Institut dir dein Haus bezahlt? Warum sie dir einen Bodyguard zur Seite gestellt haben, der dich rund um die Uhr bewacht?” „Nicht rund um die Uhr”, widerspreche ich kraftlos, „auf der Zugfahrt ist er nicht dabei.” „Ja, da schicken sie immer einen anderen Wächter mit”, teilt mir Aimee mit und ich muss an den Typen denken, den ich heute schon wieder im Zug gesehen habe. Unfassbar.
Das kann einfach nicht sein. Ich kann kein Roboter sein. Ich dachte, Roboter können nur eingeschränkt fühlen, und überhaupt, können Roboter essen und trinken? Schlafen Roboter? Mit Sicherheit haben Roboter auch keine roten Haare, obwohl das wahrscheinlich das kleinste Problem wäre.
Ich teile Aimee alles mit, was mir gerade durch den Kopf geht. Zu meinem Missfallen hat sie auf alles eine Antwort.
„Auch Roboter müssen schlafen. Die Festplatte, die wir statt eines Gehirns besitzen, muss schließlich auch mal runterkühlen, damit sie sich nicht überhitzt und möglicherweise einen Kurzschluss erleidet.
Es stimmt, dass Roboter nur gewisse Gefühle haben. Das Einzige, was wir fühlen, sind Freude, Trauer und Mitgefühl. Mehr geht nicht. Selbst wenn wir wollten. Du bist der einzige Roboter, der zusätzlich Emotionen darüber hinaus empfinden kann.” Nur am Rande bekomme ich mit, dass gerade meine gesamten Hoffnungen, Aimee könne dasselbe für mich empfinden, wie ich für sie, zerstört wurden. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, die ganzen Informationen zu verarbeiten und irgendeine Lücke in ihren Erklärungen zu finden, die bisher leider absolut schlüssig waren.
„Und Roboter brauchen zwar keine Nahrung, aber es schadet ihnen auch nicht. Sie kann zwar verarbeitet werden, ist jedoch nicht notwendig. Unser Inneres sieht anders aus als das der Menschen, wir haben kein Gehirn, sondern eine Festplatte, und auch die anderen Organe sind nicht dieselben. Wir haben zum Beispiel auch keine roten Blutkörperchen, weshalb unser Blut nicht rot, sondern klar ist wie Wasser. Ein bisschen dickflüssiger vielleicht, wenn man nichts trinkt.”
Das kann nicht sein, ich bin kein Roboter, das kann nicht sein, ist alles, was mir durch den Kopf geht.
„Ich kann es dir beweisen”, fügt Aimee hinzu und blickt mich entschlossen an. Verwirrt blinzele ich sie an. „Gib mir deine Hand”, verlangt sie. Ich gehorche und sie befördert aus dem Nichts ein Taschenmesser zutage, mit dem sie mir in die Hand schneidet. „Autsch!”, beschwere ich mich und ziehe fluchend meine Hand zurück. Die Worte bleiben mir jedoch im Hals stecken, als ich meine Handfläche betrachte. Warmes Blut läuft daran hinunter. Ich kann plötzlich nicht mehr atmen.
Das Blut ist klar.

[Aimee]

Aidan starrt fassungslos auf seine Hand. Er sitzt vollkommen reglos da und ich blicke ihn mitfühlend an. Während er noch versucht, sich zu sammeln, wird die Zimmertür grob aufgestoßen und zwei Wächter kommen herein. Sie packen Aidan unter den Armen und zerren ihn nach draußen. Die drei Stunden sind um. Und damit Aidans Lebenszeit.
Jetzt werden sie ihn exekutieren. Ich kenne das. Man hat mir das schon oft erzählt. Das machen sie mit Robotern, die nicht so funktionieren wie gewünscht. Dass Aidan nicht so funktioniert, wie er soll, daran bin ich schuld. Er hat sich in mich verliebt - zu Liebe ist er schließlich fähig -, aber offenbar gingen seine Gefühle noch darüber hinaus. Ich habe Doktor Hadanger darüber reden hören, als ich auf dem Rückweg vom Untersuchungsraum zu meinem Zimmer am Labor vorbeigekommen bin. Sie meinte, seine Gefühle würden sich selbstständig machen und über die Programmierung hinausgehen. Er sei nicht mehr kontrollierbar.
Ich frage mich, ob Doktor Bröhnder es macht. Die Exekution, meine ich. Er hatte ein gutes Verhältnis zu Aidan, ich glaube, er war eine Art Vaterfigur. Allerdings zählt das für den Doktor gar nichts mehr, sobald Aidan nicht mehr so funktioniert wie vorgesehen. Da sind diese Menschen allesamt kalt. Er wird Aidan, ohne zu zögern, den Kopf aufsägen und die Festplatte unschädlich machen. Das machen sie mit allen, die aus dem System fallen und außerplanmäßig funktionieren.
Ein unbekanntes Gefühl überkommt mich. Ich keuche auf. Da, wo als Mensch mein Magen wäre, sitzt nun etwas, das ich nicht einordnen kann.
Was ist das für eine Emotion? Warum kann ich sie empfinden?
Ich glaube, Aidan hat mir einmal davon erzählt.
Ist das Angst? Habe ich Angst? Um Aidan?
Was auch immer es ist, ich darf es mir nicht anmerken lassen. Sonst widerfährt mir das Gleiche, was sie Aidan jetzt antun.
Wenigstens kann ich Trauer fühlen. Trauer darüber, dass ich nicht einmal Zuneigung oder Schmerz empfinden kann, Aidan gegenüber, mit dem ich aufgewachsen bin und den ich seit sechsundzwanzig Jahren fast täglich sehe. Trauer um seinen Verlust.
Ich kann trauern und das ist immerhin etwas.

Autorin / Autor: Marlene Seifert