Wenn Gewalt die erste Liebesbeziehung vermasselt

Hessische Studie zum Phänomen „Teen Dating Violence“

Eigentlich sollte es ja nur schön sein, wenn man zum ersten Mal verliebt ist und endlich mit seiner "Traumfrau" oder dem "Traumtyp" zusammen ist: Wer sich so gern mag, ist doch voller Zärtlichkeit, Verständnis und Kuschelbedürfnis. Doch für viele Mädchen und Jungen ist die erste Beziehung oder das erste Date leider gar nicht so traumhaft, sondern mit Gewalt verbunden. Internationale Forschungen bschäftigen sich schon länger mit dem Phänomen; es gibt sogar einen Fachbegriff dafür: „Teen Dating Violence“. In Deutschland liegen bisher kaum aussagefähige Daten darüber vor, wie oft Gewalt in Teenager-Liebesbeziehungen vorkommt, aber in einer auf Deutschland am ehesten übertragbaren Studie aus Großbritannien berichteten 80 % der Mädchen und 51 % der Jungen von emotionaler Gewalt und fast jedes dritte Mädchen (und 16 % der Jungen) von sexualisierter Gewalt.

In der Untersuchung "TeDaVi“, eine vom Land Hessen finanzierte Studie der Hochschule Fulda, die von Mai 2012 bis Oktober 2013 durchgeführt wurde, kamen nun auch in Deutschland lebende Jugendliche aus neun allgemeinbildenden und einer beruflichen Schule zu Wort. Die Ergebnisse aus den 509 Fragebögen passen nicht gerade zum verklärten Bild der ersten Liebe: 65 % der Mädchen und 60 % der Jungen mit ersten Date- oder Beziehungserfahrungen hatten angegeben, mindestens einmal irgendeine Form von Grenzüberschreitung oder Gewalt erlitten zu haben. Die meisten von ihnen bereits in der 8. und 9. Klasse.

*Aggressionen und Zwang zu sexuelen Handlungen*
Als "emotional schwierige Situation" wurden zum Beispiel Kontrolle, verbale Aggressionen, Zwang oder Drohungen genannt. 27 % der Mädchen und 20 % der Jungen mit Dates oder Beziehungen gaben an, zu etwas gezwungen worden zu sein, was sie nicht wollten. Bei der Frage nach ungewollten sexuellen Handlungen, überwiegt die Zahl der Mädchen (22 %), die angaben, dazu genötigt worden zu sein allerdings deutlich gegenüber den Jungen (7,5 %). Sechs von hundert Mädchen berichteten sogar, mit Gewalt zu ungewollten sexuellen Handlungen gezwungen worden zu sein. Von den Jungen hatten dies dagegen nur 1,7 % erlebt. Interessant war auch, wie unterschiedlich Mädchen und Jungen mit sexualisierter Gewalt umgehen: Während Mädchen häufiger angaben, sich geärgert zu haben, unglücklich zu sein und sich danach zurückgezogen zu haben ziehen, machte es Jungen nach ihren eigenen Angaben weniger aus.

Vergleicht man die Überschneidungen der einzelnen Grenzüberschreitungen und Gewaltformen bei Mädchen und Jungen zeigt sich, dass Mädchen stärker von sexualisierter Gewalt und häufiger von mehreren Formen gleichzeitig betroffen sind als Jungen. In fast zwei Drittel der Fälle ging die Grenzüberschreitung oder Gewalt von männlichen Beziehungs- oder Datingpartnern aus.

*Familienkontext spielt größere Rolle als Alkohol- und Drogenkonsum*
Alkohol spielte dabei eine eher untergeordnete Rolle: Weniger als ein Drittel derjenigen, die körperliche oder sexualisierte Gewalt erlebt hatten, gab an, dass sie oder die Täter zum Zeitpunkt der Gewalthandlung Alkohol oder Drogen konsumiert hatten. Dagegen waren die Erfahrungen, die die Jugendlichen in der Familie gemacht hatten bedeutsamer: Die Mädchen und Jungen, schon im Elternhaus körperliche Gewalt erfahren hatten, wurden häufiger Opfer von "Teen Dating Violence" als diejenigen, die in einer harmonischen Umgebung aufgewachsen waren. "Damit wird die Tradierung und Chronifizierung von Gewalt bestätigt", so die ForscherInnen.

Auch der Freundeskreis spielt anscheinend eine große Rolle: "Jugendliche, deren FreundInnen sich überwiegend aggressiv und gewaltbereit verhalten, erleben tendenziell selbst auch eher Gewalt bei ihren Dates oder Liebesbeziehungen. Jugendliche, deren Freunde bereits eine feste Freundin bzw. einen festen Freund oder regelmäßige Dates haben, haben stärker das Gefühl bzw. fühlen sich von ihrem Umfeld stärker unter Druck gesetzt, sich ebenfalls zu verabreden oder eine Beziehung zu haben. Bei Mädchen ist dieser Effekt stärker ausgeprägt als bei Jungen. Diese Jugendlichen, die Druck empfinden, eine Beziehung einzugehen oder regelmäßig Dates zu haben, erleben tendenziell eher Gewalt bei ihren Dates
oder Liebesbeziehungen." so heißt es im Bericht zur Studie.

*Hilfe suchen*
Die jungen TeilnehmerInnen wurden auch danach gefragt, bei wem sie sich in solchen schwierigen Situationen Hilfe suchen würden. Die Mehrheit der befragten Schülerinnen und Schüler würde sich an Freundinnen und Freunde wenden (Mädchen: 92,6 %; Jungen: 73,6 %), gefolgt von den Eltern (Mädchen: 41,1 %; Jungen: 29,0 %) und Geschwistern (Mädchen: 28,6 %; Jungen: 20,3 %). Mädchen gaben dabei eher an, sich Hilfe zu suchen als Jungen, außerdem würden sie sich auch stärker an unterschiedliche Stellen wenden;
die Jungen hingegen scheinen auf vermeintliche Stärke zu setzen und gabven an, dass sie sich eher keinem anvertrauen würden und auch seltener bei mehreren Personen oder Stellen um Hilfe bitten würden.

*Mädchen berichten von Angst vor Körperlichkeit*
Wie der Bericht bestätigt, erleben auch Jugendliche in Deutschland nicht selten grenzverletzende Erfahrungen und Gewalt im Zusammenhang mit ihrem ersten Date oder ihr ersten Liebesbeziehung. Diese Erfahrungen schränken das Wohlbefinden der Jugendlichen ein, was besonders für Mädchen gilt. Die Folgen reichen von Konzentrations- oder Lernschwierigkeiten, über veränderte Ess- und Trinkgewohnheiten bis hin zu Selbstmordgedanken. Mädchen erklärten darüberhinaus, dass sie sich zurückgezogen oder verschlossen hätten. Viele berichteten auch, dass sie dabei ihr Vertrauen verloren hätten oder Angst vor Körperlichkeit, Verletzungen oder Beziehungen erlebten.

Um diesem Phänomen entgegen zu treten, müsste es den ForscherInnen zufolge deutlich mehr vorbeugende Maßnahmen geben. Mit diesen könne Jugendlichen zum einen vermittelt werden, ihre eigenen Grenzen zu erkennen und zu zeigen, und zum anderen wie bei Dates oder in Beziehungen respektvoll miteinander umgegangen werden kann. Diese Maßnahmen seien auch deshalb wichtig, um zu verhindern, dass Gewalt sich in späteren Beziehungen als Erwachsene fortsetzt. Die StudienautorInnen empfehlen, spätestens in der 7. oder 8. Klasse bzw. im Alter von ca. 14 Jahren mit der Aufklärung über Gewalt und über die Gestaltung freudvoller Liebesbeziehungen zu beginnen. Dabei könnten Gleichaltrige zu MultiplikatorInnen in der Prävention von Teen Dating Violence werden.

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Autorin / Autor: Redaktion - Stand: 21. November 2013