Diskriminierung hat viele Facetten

Deniz über das Konzept der Intersektionalität, wie es neue Blickwinkel schafft und warum es nötig ist

In vielen aktuellen Debatten zu Themen wie Rassismus - oder Sexismus begegnet uns der Begriff „Intersektionalität“. Er beschreibt die Überschneidung mehrerer Diskriminierungsformen gegenüber einer Person – etwa wenn eine Schwarze Frau sowohl aufgrund ihrer Hautfarbe als auch aufgrund ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert wird. Sie wird dann also sowohl rassistisch als auch sexistisch diskriminiert – oftmals sogar gleichzeitig. Auch andere Merkmale wie etwa das Alter, die Religion, der sozioökonomische Status, die sexuelle Orientierung oder eine vorhandene Behinderung, können eine Rolle spielen. 

In der Theorie war mir der Begriff „Intersektionalität“ schon länger bekannt. Was er in der Praxis aber wirklich bedeutet, wurde mir vor allem durch mein Praktikum in einer Schwerbehinderten-Vertretung bewusst. Als nicht-behinderter Mensch war ich überhaupt nicht sensibilisiert für die Lebensrealität von Menschen mit Behinderung(en). Ich machte außerdem die Erfahrung, dass viele Menschen, die sich für die Interessen von Menschen mit Behinderung(en) einsetzten und für dieses Thema sensibilisiert waren, bei anderen Themen wie Rassismus oder Sexismus nicht mehr ganz so sensibel auf ihre Wortwahl achteten. So wurden von Menschen, die genau darauf achteten, Menschen mit Behinderung(en) mit ihrer Sprache nicht zu verletzen,  manchmal sexistische oder rassistische Aussagen getroffen.

Für mich persönlich spielt die Intention eine Rolle

Ich gehe davon aus, dass den Personen die Wirkung ihrer Aussagen nicht bewusst war. Natürlich waren die Aussagen dennoch verletzend. Ich weiß, dass heutzutage in vielen Diskussionen um Themen wie Rassismus oder Sexismus einige der Meinung sind, dass die Intention hinter einer Aussage gar keine Rolle spielt, da sie immer gleich verletzend ist. Für mich persönlich spielt die Intention eine Rolle. Es macht für mich einen Unterschied, ob eine Person mich wissentlich mit einer bestimmten Aussage verletzen will oder sich die Person nicht darüber im Klaren ist, dass die getätigte Aussage verletzend und diskriminierend ist. Ist Letzteres der Fall, besteht die Möglichkeit, die Person darauf hinzuweisen, dass die Aussage verletzend ist und zukünftig achtet die Person dann vielleicht etwas mehr auf ihre Wortwahl.

Viele kleine Nadelstiche

Für viele Menschen spielt die Intention eher aus anderen Gründen keine Rolle: Es ist anstrengend, beispielsweise als Person of Color, fast jeden Tag mit rassistischen Kommentaren oder Verhaltensweisen konfrontiert zu werden. Wenn eine Person einen das hundertste Mal fragt, wo man denn wirklich herkomme oder einem ungefragt von Fremden in die Haare gegriffen wird, dann sind das jeden Tag viele kleine Nadelstiche, sogenannte Mikroaggressionen, die insbesondere in der Summe eine unheimliche Belastung darstellen. Aus Perspektive dieser Menschen, die tagtäglich Mikroaggressionen unterschiedlicher Art ausgesetzt sind, ist es verständlich, dass sie irgendwann nur noch auf die Handlungen an sich und nicht mehr auf die Intention schauen können. Es ist dann auch wichtig, dass andere Personen, die das Privileg haben, keine Diskriminierung zu erfahren, auch mal die Aufklärungsarbeit leisten, wenn sie Zeug_innen von Diskriminierung werden.

Wir alle sind mit Vorurteilen aufgewachsen, die wir während unserer Kindheit und Jugend erlernt haben und die wir erst wieder verlernen müssen. Nicht bei allen schaffen wir es auf Anhieb. Unterbewusst haben wir deswegen alle Vorurteile. Um daran etwas zu ändern, muss man sich dies erstmal eingestehen. Wenn eine Person sich diskriminierend ausdrückt, man sie darauf hinweist und sie in der Lage ist, darüber zu reflektieren und ihr Verhalten in der Zukunft zu ändern, dann ist das für mich der bessere Weg als der Person nicht einmal die Möglichkeit zu geben, etwas dazuzulernen. Auch ich persönlich mache noch unzählige Fehler und drücke mich wahrscheinlich oftmals diskriminierend aus, ohne dass es mir bewusst ist. Auch ich würde mich dann freuen, wenn mich meine Mitmenschen darauf aufmerksam machen würden.

Sich in andere hineinversetzen mit diverserer Literatur

Dafür ist Intersektionalität ein wirklich tolles Konzept, denn es ermöglicht einen viel umfassenderen Blickwinkel auf Diskriminierungsthemen. Mir persönlich hat es sehr geholfen, Sachbücher oder Romane von Autor*innen mit einer ganz anderen Lebensrealität als meiner eigenen zu lesen. Ich finde, dass wir durch Bücher nicht nur unsere Allgemeinbildung verbessern können (und zwar auch durch Romane), sondern vor allem lernen, uns besser in andere Menschen hineinzuversetzen. Wenn ich an die Bücher denke, die ich im Schulunterricht gelesen habe, waren diese größtenteils Bücher von weißen Männern, was nicht bedeuten soll, dass es nicht zu einem Großteil ganz tolle Bücher waren (Goethes „Iphigenie auf Tauris“ war zwar nicht ganz mein Fall, aber das ist ein anderes Thema). Worauf ich eigentlich hinauswill ist, dass es auch zu Schulzeiten schön gewesen wäre, eine diversere Literaturliste zu haben.

Empathie hilft!

Ich denke, dass letztlich darin der Schlüssel zu einem besseren Miteinander liegt: Wir sollten offener für andere Lebensrealitäten werden und nicht abstumpfen, indem wir denken, schon alles zu wissen. Wir sollten mehr an der Oberfläche kratzen und versuchen zu verstehen, wieso Menschen ein anderes Leben führen als wir. Empathie ist oftmals vor diesem Hintergrund ein ganz wichtiges Stichwort. Wir sollten uns mehr mit dem Thema Diskriminierung und seinen komplexen Formen befassen. Wenn wir Zeug_innen von Diskriminierung werden, sollten wir das Wort ergreifen und auch selbst immer offen für Kritik sein und nicht denken, dass wir bereits alles perfekt machen würden. Vielleicht schaffen wir es so auf diese Weise irgendwann, eine Gesellschaft zu kreieren, in der Diskriminierung keinen Platz mehr hat.

Autorin / Autor: Deniz - Stand: 1. September 2021