Was ist eigentlich ein Poetry Slam?

Sicher hast du in letzter Zeit schon oft davon gehört: Poetry Slams. Aber weißt du auch was das ist? Ein Beispiel von Armin Sengbusch lässt dir vielleicht ein Licht aufgehen ;-)

Der Begriff "Poetry Slam" ist Englisch und heißt auf Deutsch "Dichterschlacht". Da stellt man sich natürlich erst mal irgendwelche Senioren vor, die sich gegenseitig alte, verstaubte Gedichte vorlesen und diese danach ausführlich diskutieren.  Aber nein - ein Poetry Slam sieht zum Glück ganz anders aus! Dabei geht es nämlich nicht um alte Schinken, die noch ältere Schinken vorlesen, sondern vielmehr um junge und junggebliebene Menschen, die mit ihren eigenen Texten auf der Bühne ihr Können zeigen.

Ein wichtiger Teil des Poetry Slam sind die Moderatoren. Sie führen das Publikum durch den Slam, stellen die verschiedenen Slammer vor, beenden Runden, achten auf die vorgegeben Regeln, legen am Anfang die Jury fest, zählen Punkte zusammen und lauschen mit ihrem - selbstverständlich im Ohr eingebauten - „Applaus-O-Meter“ dem ausrastenden Publikum. Meistens gibt es zwei Moderatoren, die mit oftmals viel Witz und Charme den Abend gestalten.

Welche Menschen an dem Slam teilnehmen und ihre Texte vortragen können, hängt von der Veranstaltung ab. Bei vielen Slams gibt es keine bestimmten Vorgaben, jeder der möchte kann etwas vortragen.

Die vorgetragenen Texte sind von jedem Autor selbst ausgewählt und fallen deswegen sehr unterschiedlich aus. Das Thema des Textes ist frei wählbar, auch ob er sich reimt oder nicht, ob er aus vollständigen Sätzen besteht oder auch nur wahllos Wörter aneinander gereiht sind.

Dennoch gibt es klare Regeln:

  • Der Text hat ein bestimmtes Zeitlimit, meistens 5-7 Minuten. Wie viele Minuten genau einzuhalten sind, wird vorher festgelegt.
  • Der Text muss selbst geschrieben sein. Keine langen Zitate, keine abgeschauten Eigenarten eines fremden Textes.
  • Keine Hilfsmittel. Natürlich muss man nicht den ganzen Text auswendig lernen, sondern kann einen Zettel mit auf die Bühne nehmen. Requisiten wie zum Beispiel eine Krücke bei einem Text über Unfälle sind jedoch nicht erlaubt.

Die Bewertung

Nach jedem Auftritt bewertet eine Jury das Vorgetragene. Die Art der Jury kann unterschiedlich aussehen. Meistens werden 5 Leute aus dem Publikum ausgewählt, die die Vorsprechenden mit Punktekarten von 1 - 10 bewerten können. Bei der Auswertung wird die beste und die schlechteste Bewertung gestrichen, um ein Mittelmaß zu finden. Eine andere Variante ist die Publikumsjury, bei der die Lautstärke und Ausdauer des Applauses entscheidet.

Nach jeder Runde scheiden die Menschen mit der schlechtesten Punktzahl aus. Wie viele genau, hängt von der Anzahl der Slammer ab. Bei sieben Slammern werden beispielsweise in der ersten Runde drei Leute raus gewählt und in zweiten Runde zwei Leute, sodass im Finale zwei Leute gegeneinander antreten. Für den Gewinner gibt es am Ende - außer einer Menge Ruhm und Ehre – noch einen kleinen Sachpreis, beispielsweise eine Flasche Sekt oder ein Buch.

Bei einigen größeren und regelmäßigen Poetry Slams, wie zum Beispiel der monatlichen  PoesieSchlachtPunktAcht in Düsseldorf, qualifiziert sich der Gewinner für einen Poetry Slam am Ende des Jahres, um gegen die anderen Monatsgewinner anzutreten. Der Sieger dieses Wettstreites wiederum kann bei den landesweiten Poetry-Slam-Meisterschaften antreten.

Die Poetry-Slam-Meisterschaften finden seit 1997 jedes Jahr in einer anderen Stadt statt. Dabei gibt es zwei verschiedene Disziplinen. Es gibt jeweils einen Einzelwettbewerb in den Kategorien U20 und Ü20 und einen Mannschaftswettbewerb.

Wer ist eigentlich dieser Poetry Slam und wieso schreibt er so viele Texte?

Wie oben erwähnt, kann sich jeder am slammen versuchen. Doch natürlich gibt es auch Meister der Worte, deren Namen jedem geläufig sind, der sich in der Szene einmal umschaut. Dazu gehören unter anderem Mark-Uwe Kling, Sebastian23, Nadja Schlüter, der Lebensqualitäter (Nico Semsrott), Gabriel Vetter und viele viele mehr.

Ein - wenn auch nicht unbedingt nur als reiner Poetry Slammer zu bezeichnender Mensch -  ist Armin Sengbusch. Er nennt sich "Schriftstehler", schreibt Bücher mit Texten, die er auf der Bühne vorträgt und deren Themen einem nicht mehr aus dem Kopf gehen. Außerdem ist er Musiker und neben her noch Fotograf. Sein folgender Text "Der große Diss" (aus seinem Buch "Geh doch ins Licht"), handelt von ... naja, darüber solltest du schon selbst nachdenken.

Der große Diss

Der große Diss

Oder: Poetry-Slam ist das, was du daraus machst.

Mario Barth nervt, er nervt die ganze Republik. Er ist hässlich und pummelig und dumm, das weiß jeder, schließlich sehen ihn viele Menschen im Fernsehen und keiner schaltet ab. Früher war er schon nicht lustig, aber da kannte ihn noch niemand – und dann hat irgendein Idiot mal angefangen zu lachen und jetzt können sie nicht mehr aufhören. Das ist fast so wie damals mit Hitler, den wollte auch keiner, aber alle haben mitgemacht.

Die Bahn nervt natürlich auch, die kommt dauernd zu spät. Und McDonalds nervt, aber sowas von, das Zeug ist klebrig, ätzend und ungesund. Da wäre es doch am besten, wenn Mario Barth an einem Burger in einer mobilen McDonalds-Filiale eines ICEs erstickt, dann wäre der Barth tot, McDonalds und die Bahn müssten schließen. Und wir müssten uns ganz neue Pointen suchen.

Und jetzt sitzt du da in deinem unbemannten Raumschiff und wartest darauf, dass etwas geschieht. Und heute Abend, wenn du "Buh" rufst oder schreist und johlst, während die Kultur zum Taschengeldpreis tobt, da fühlst du dich groß und von der Muse liebkost. Aber du sitzt unbemerkt in deinem unbemannten Raumschiff, bleibst unerkannt und traust dich nicht, etwas tiefer zu sehen.

Denkt euch, ich habe den Slam gesehen
Mit Worten aus Balsaholz
So leicht, so wunderschön
Dass sie schwebten durch die Gezeiten
Der Gefühle und befreiten Gedanken
Die sich um Schicksalhaftes rankten

An jeder Ecke dieses Abends erwartest du, dass du nicht dir selbst begegnest, sondern einem Clown, der aus einer Kiste springt und dich zum Lachen bringt. Du glaubst daran, dass es quietscht und kreischt, wenn du an der Oberfläche kratzt, sich dann der Tiefsinn ergibt und vor dir auf dem Boden liegt, um Gnade winselt und dir das Horn der Weisheit gibt. Aber nicht vom dem geschieht, du hängst rum
Auf der Suche nach dem Glück ist deine Zeit schon längst um
Hier liegen doch jetzt immer noch 25 Cent rum
Das ist der Gegenwert von deinem gottverdammten Zentrum
Nur Bezahlen kannst du nichts, dich nimmt keiner geschenkt und

Du nickst, weil du die Worte und die Bedeutung verstehst, weil die Lyrik und der Reim dir zusagen, weil du die Menschen kennst, die so sind. Vielleicht kennst du dich selbst, aber nicht heute Abend, heute Abend bist du ein Teil der Kultur.

Du bewahrst dir die Eintrittskarten von Poetry-Slams auf, um damit zu sagen, dass du die Kunst unterstützt, dass du aufgeschlossen bist und dass du ein Stück weit Verrücktheit und vom Glück und vom Leid und von allem bist. Und auch wenn du niemals die Bühne betrittst, weißt du, wie schwer es da oben ist, weil du mitfühlst und dich davor fürchtest, dass deine eigene Meinung nichts wert ist.

Denkt euch, ich habe den Slam gesehen
Ich sah wundervolle Bilder entstehen
Zwischen Sätzen und Absätzen der Vergangenheit
Lag die Unendlichkeit, zum Sterben bereit
Trieb durch ein Meer der Melancholie
Vermisst und unerreicht wartete sie
Dass man sich mit ihr traf und bei ihr blieb
Sie mit Liebe erfüllte und ihr versprach
Nichts weiter zu tun, bis der Tod eintrat
und das Warten endlich ein Ende hat

Und worauf warten Sie? Sie, der feine Herr, der nicht hierher passt in seinem Anzug, aber gerade deswegen eine Revolution startet. Auch du wartest auf einen Witz, der einen anderen jagt, bis du selbst mit dem Gelächter im Anschlag stehst, zum Abschuss bereit, glaubst, dass dich das der Wahrheit näherbringt. Am Ende liegst du wie eine schwarz-weiße Kuh auf der Weide deines Bettes und der Erinnerung, verweigerst die Aussage, weil du nicht mehr weißt, wodurch sich in der dunklen Nacht der Einsamkeit dein Gemüt erhellte. Du bist hier, weil du die Literatur liebst, die sich nach fünf Minuten verzieht und dich nicht länger beschäftigt, als es der Werbeblock im Fernsehen für gewöhnlich tut. Und du bestimmst selbst, wann es dich nervt, und stimmst dich dabei mit dem Nachbarn ab. Weil schließlich auch Humor dazugehört, wenn man das Publikum betört oder verstört zurücklassen will. Massenmördertexte, die massentauglich sind und massenhaft mit Klasse und Kraft über die macht der Worte es in die Herzen der Menschen schaffen und dabei mit Satzgewalt in das Hirn der Zuhörer kacken. Wenn die Scheiße zu sehr stinkt, wenn es fickt und fuckt und pisst und pingt, wenn es cool und abgewichst klingt, dann ist das für dich schon alles, was dich zum Lachen bringt.
Lachen ist einfach, aber was nimmst du mit, wenn du den Heimweg antrittst. Worüber denkst du nach, was hat dich bewegt, was willst du ändern, was bleibt und was zählt und was geht in deinem Kopf, der doch gefühlt und gefüllt wie ein Loch werden soll.

Denkt euch, ich habe den Slam gesehen
Denkt euch, es war nur Comedy

Ich habe nichts gegen dein Lachen, ich habe etwas gegen deine Einbahnstraßen-Gedanken, ich habe etwas gegen deine Sackgassen-Meinung, ich habe etwas gegen deinen Toleranz-Stau und etwas dagegen, dass du nicht zuhören kannst. Poetry-Slam ist das, was du daraus machst, du hast die Macht. Und jetzt sitzt du da, in deinem unbemannten Raumschiff und bereitest dein Waffensystem vor, weil du weißt, dass nichts von dem Bedeutung hat, was du gerade gehört hast. Ich stehe auf der Bühne und weiß genau, dass ich für meine Texte und meine Meinung von Menschen wie dir von allen Seiten eins auf die Fresse bekomme. Nur nicht von vorn.

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Autorin / Autor: dieLinn - Stand: 31. März 2011