Voll verschätzt!

Marktforschung zu verzerrter Wahrnehmung: Deutsche überschätzen Anzahl muslimischer Bürger, unterschätzen Toleranz gegenüber Homosexualität und glauben, dass das Gesamtvermögen in Deutschland gleichmäßiger verteilt ist

Wie nehme ich die Welt wahr? Und wie sieht sie wirklich aus? Zwischen diesen beiden Polen klafft manchmal eine erschreckend große Lücke. Das zeigt auch die aktuelle Studie „Perils of Perception“ des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Ipsos, die Menschen in 40 Ländern zu ihren Einschätzungen verschiedener gesellschaftlicher Gegebenheiten befragt haben. So wurde zum Beispiel gefragt, wie hoch der Anteil der muslimischen Mitbüger_innen geschätzt werde. Die deutschen Befragten tippten, dass jeder fünfte in Deutschland muslimischen Glaubens sei. Tatsächlich sind es gerade mal 5 Prozent - also jeder Zwanzigste.

Noch schlechter schätzten in diesem Punkt nur die Franzosen und die Italiener.

Auch der Zuwachs muslimischer Bürger_innen wurde von den deutschen befragten überschätzt. Die Deutschen schätzten außerdem das Glücksgefühl ihrer Mitmenschen als deutlich geringer ein als es tatsächlich ist. Nicht einmal die Hälfte (45%) der deutschen Bevölkerung würde von sich selbst behaupten, glücklich zu sein, glauben die Befragten. Dabei gaben in einer aktuellen Studie acht von zehn (84%) an, alles in allem zufrieden zu sein.

Ebenfalls unterschätzt wird die Toleranz gegenüber Homosexuellen. Die Befragten glaubten, ein Drittel (33%) der Deutschen würde Homosexualität moralisch nicht vertretbar finden. In Wirklichkeit ist es jedoch knapp einer von zehn (8%). Auch beim Thema Abtreibung schätzen viele die Haltung der Deutschen falsch ein. Sie glauben, vier von zehn Deutschen fänden Abtreibung moralisch verwerflich, dabei ist es nur einer von fünf. Dieses Phänomen lässt sich auch in den Niederlanden, Belgien und Dänemark beobachten.

Eine weitere Fehleinschätzung ergibt sich bei der Verteilung des Reichtums - und das weltweit. Über alle Länder der Studie hinweg sind im Durchschnitt nur 15 Prozent des Gesamtvermögens im Besitz der unteren 70 Prozent - aber die durchschnittliche Schätzung ist mit 28 Prozent fast doppelt so hoch.

Auch wenn die deutschen Befragten in diesen Punkten doch ziemlich daneben lagen, konnten sie doch im unrühmlichen "Index of Ignorance", den die Autor_innen der Studie aufgrund ihrer Befragungen erstellten, ganz gut abschneiden. Sie belegten Platz 33 von 40 und haben damit in dieser Studie vergleichsweise einen recht geringen "Unwissenheitsindex". Am besten schnitten die Niederlande und Schweden ab, am gröbsten verschätzten sich in den Befragungen China und Indien.

Die Umfrage kommt sehr passend in die aktuelle Diskussion um das angeblich "postfaktische" Zeitalter, in dem Meinungen und gefühlte Wirklichkeiten scheinbar eine wichtigere Rolle spielen als Fakten. Ob das wirklich was Neues ist oder jemals anders war, sei dahingestellt, aber die Befragung zeigt anschaulich, dass man die wahrgenommene Realität doch ab und an mal auf ihren Realitätsgehalt hin überprüfen sollte.

Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 15. Dezember 2017