Verbale Stärke vs. MINT

Studie: Ergreifen Frauen seltener MINT-Berufe, weil sie mehr Auswahl haben als Männer?

Dass Frauen seltener in mathematischen, naturwissenschaftlichen und technischen Berufen arbeiten als Männer, ist ja schon lange bekannt. Aber warum? Mit dieser Frage beschäftigen sich immer wieder Studien und kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Konsens ist, dass es unter SchülerInnen einen „gender gap“ (Unterschied zwischen den Geschlechtern) im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften gibt: Mädchen schneiden in diesen Fächern durchschnittlich schlechter ab als Jungen. Diese Lücke ist allerdings in den letzten Jahrzehnten kleiner geworden – und trotzdem ist nach wie vor der Frauenanteil in MINT-Berufen niedriger als zu erwarten wäre.
Amerikanische Wissenschaftler haben jetzt entdeckt, dass diese Diskrepanz möglicherweise nicht mit mangelnden Fähigkeiten oder schlechter Förderung von Mädchen und Frauen zusammenhängt, sondern damit, dass sie aufgrund ihrer besseren sprachlichen Fähigkeiten mehr Berufsfelder zur Auswahl haben als Männer.

*Fähigkeiten beeinflussen die Berufswahl*
Die Gruppe aus Forschern von der University of Pittsburgh und der University of Michigan wollten herausfinden, ob Menschen, die gut in Mathematik, aber eher schlecht im sprachlichen Bereich sind, und solche, deren Fähigkeiten in beiden Feldern gut ausgeprägt sind, unterschiedliche Berufe wählen. Dazu führten sie eine Langzeitstudie mit 1490 Teilnehmern durch. Als diese in der 12. Klasse (also 17/18 Jahre alt) waren, wurden verschiedene Faktoren erfasst: u.a., wie sie in College-Zulassungstests abgeschnitten hatten, und wo ihre Interessen lagen. Im Alter von 33 Jahren wurden sie befragt, welche Berufe sie ergriffen hatten. Anhand der Daten im jugendlichen Alter teilten die Forscher die Probanden nach ihren mathematischen Fähigkeiten („gut“ oder „mäßig“) ein; diejenigen, die in diesem Bereich gut waren, wurden anhand ihrer verbalen Fähigkeiten wiederum in zwei Gruppen (gut/mäßig) unterteilt. Die eine Gruppe war also mathematisch gut, aber sprachlich nur mäßig gewesen, die andere in beiden Bereichen gut. Dann wurde ein etwaiger Zusammenhang zwischen diesen Fähigkeiten und dem gewählten Beruf überprüft. Und tatsächlich zeigte sich, dass diejenigen, deren mathematische Fähigkeiten besser gewesen waren als die verbalen, häufiger Berufe aus dem STEM-Feld ergriffen hatten als die andere Gruppe. STEM steht für Science, Technology, Engineering and Mathematics; damit werden also Berufe aus dem mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Bereich zusammengefasst, entsprechend dem deutschen MINT.

*Frauen haben mehr Möglichkeiten*
Die Forscher sahen also ihre Annahme bestätigt, dass der Anteil der STEM- bzw. MINT-Berufe bei Menschen größer ist, deren Stärken eher im mathematischen als im sprachlichen Bereich liegen. Bemerkenswert fanden sie allerdings die Tatsache, dass in der Gruppe der Probanden mit ähnlich stark ausgeprägten mathematischen und verbalen Fähigkeiten – die seltener MINT-Berufe ergriffen hatten – mehr Frauen waren als Männer. Das entspricht der Statistik und zeigt einen möglichen Grund für die geringere Zahl an MINT-Berufen bei Frauen auf: Mehr Frauen als Männer haben die Wahl zwischen diesen Berufen und solchen, in denen es mehr auf Sprache ankommt als auf Mathematik, weil ihnen beides liegt. (Natürlich kann man(n) auch einen eher verbal orientierten Beruf ergreifen, wenn man(n) eigentlich im mathematischen Bereich besser aufgehoben wäre, aber die meisten Menschen orientieren sich ja doch bei der Berufswahl an ihren Stärken. ;-) )

Dem an der Studie beteiligten Entwicklungspsychologen Ming-Te Wang zufolge legen diese Erkenntnisse nahe, dass „Pädagogen und politische Entscheidungsträger in Erwägung ziehen könnten, ihren Fokus weniger darauf zu legen, die Fähigkeiten von Mädchen im MINT-Bereich zu stärken, als darauf, die Potentiale von Mädchen anzuzapfen, die im mathematischen und sprachlichen Bereich ähnlich gut sind.“

Natürlich kann man sich darüber streiten, bisher gibt es eben auch nur diese eine Studie – aber die Ergebnisse sind es sicher wert, darüber nachzudenken. Vielleicht könnte es so einfach sein, den Frauenanteil in MINT-Berufen zu steigern: Man müsste nur bei denjenigen Mädchen und Frauen, die mathematisch und sprachlich fit sind, vermehrt für diese Berufe „werben“.

Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 20. März 2013