Unter Beobachtung

Forschung: Wenn wir uns real oder virtuell beobachtet fühlen, verändern wir unser Verhalten und verlieren das Gefühl für Privatsphäre

Sie sind inzwischen überall: im Zug, im Wartezimmer, auf öffentlichen Plätzen oder sogar auf dem Schreibtisch - gemeint sind Kameras, die uns und unser Verhalten beobachten und oft genug auch aufzeichnen. Wie verändert das unser Verhalten, und welche rechtlichen Konsequenzen hat das? Dieser Frage widmeten sich Datenschutz-Expert:innen des Forschungszentrums ATHENE und der Universität Kassel. Das Ergebnis ist wenig überraschend, denn Menschen fühlen sich durch Beobachtung in unterschiedlichen Formen, sei es durch eine Kamera oder eine Person, beeinflusst und in ihrer freien Persönlichkeitsentfaltung gehemmt.

Der Schutz persönlicher Daten ist seit dem Volkszählungsurteil aus dem Jahr 1983 in Deutschland grundrechtlich im Recht auf informationelle Selbstbestimmung verankert. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich nichts anderes als das Recht, grundsätzlich selbst über die eigenen persönlichen Daten zu bestimmen. Eine massenhafte Überwachung und Sammlung von Daten würde nach diesem Urteil gegen Persönlichkeitsrechte des Einzelnen verstoßen. Die Begründung des Gerichts: Allein das Gefühl, überwacht oder beobachtet zu werden, kann Verhalten ändern – Menschen sind nicht sie selbst, sondern handeln angepasst. Das klingt plausibel, doch empirische Untersuchungen zur Untermauerung dieser Annahme fehlten bisher nahezu vollständig.

Beobachtung beeinflusst das Verhalten

Hier setzen die ATHENE-Forschenden mit ihrer explorativen empirischen Studie an. Sie entwarfen einen Versuchsaufbau mit verschiedenen Formen der Beobachtung: 20 Versuchspersonen - alle aus dem deutschsprachigen Raum, insgesamt zehn Männer und zehn Frauen zwischen 18 und 67 Jahren, die als Angestellte mit Videokonferenzsystemen arbeiten - erlebten nacheinander verschiedene Wartezimmer-Situationen: Völlig unbeobachtet, mit eindeutig laufender Kamera, mit einer Kamera, die nicht klar ersichtlich an- oder ausgeschaltet war, und schließlich mit mehreren Personen, die sie beobachteten. Das Ergebnis: Ein Großteil der Teilnehmenden, nämlich 70 Prozent, ließ sich durch jede Form der Beobachtung in ihrem Verhalten beeinflussen, beispielsweise nicht in den Haaren herumzuspielen, Worte bedachter zu wählen, aber auch das Smartphone bei PIN-Eingabe wegzudrehen. Für 65 Prozent der Befragten machte es auch keinen Unterschied, ob sie tatsächlich beobachtet wurden, oder ob dies nicht klar war. Die Forschenden schließen daraus, dass es „für die freie Persönlichkeitsentfaltung von Menschen“ erforderlich sei, dass sie sich unbeobachtet fühlen.

Videotelefonie im Home Office führt zu einem Gewöhnungseffekt

Ein zweiter Teil der explorativen Studie befasst sich mit den Auswirkungen von Videotelefonie, die während der Corona-Pandemie im beruflichen Alltag stark zugenommen hat. Hier stellen die Forschenden bei den Befragten einen Gewöhnungseffekt fest. 60 Prozent der Studienteilnehmer:innen gaben an, sich im Vergleich zu Beginn der Pandemie weniger von der Übertragung ihres Videos gestört zu fühlen. Die Forschenden sehen hier ein Alarmzeichen, dass sich das Beobachtetsein als neue Normalität etablieren könnte. Es drohe hier ein Verlust des Gefühls für Privatsphäre. Hier könnten laut den Wissenschaftler:innen schon ganz einfacher technischer Selbstdatenschutz wie Sichtschutzklappen vor Webcams helfen. Allerdings sehen die Forschenden auch einen Regelungsbedarf darüber hinaus: „In den Fällen, in denen das ständige Beobachtetwerden bereits ein Ausmaß angenommen hat, bei dem der Einzelne die damit einhergehenden Gefahren überhaupt nicht mehr absehen und einschätzen kann, muss [...] über eine sinnvolle gesetzliche Regulierung und deren Umsetzung und Vollziehung in effektiver Weise nachgedacht werden“, schreiben die Autor:innen im Fazit ihrer Studie. Es gebe damit weiterhin großen Forschungsbedarf im Bereich des Privatsphärenschutzes.

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 19. Dezember 2022