Toleranz geht nur mit Vielfalt

Jenaer PsychologInnen analysieren die Entwicklung von Vorurteilen bei Kindern

Mädchen können nicht so gut Fußball spielen wie Jungen und haben keine Ahnung von Autos. Dafür können sie besser tanzen und stellen nicht so viel an wie Jungen. Schon von Kleinkindern bekommt man solche und andere Vorurteile wie zum Beispiel gegenüber anderen Nationalitäten oder Religionen zu hören. Für den Psychologen Prof. Dr. Andreas Beelmann von der Friedrich-Schiller-Universität Jena gehört das zu einer ganz normalen Persönlichkeitsentwicklung. „Etwa im Alter von drei bis vier Jahren beginnen Kinder zunächst das eigene Geschlecht, später auch die eigene ethnische Gruppe oder Nationalität zu bevorzugen“, erläutert der Direktor des Instituts für Psychologie. Problematisch werde es erst dann, wenn die positivere Bewertung der eigenen sozialen Gruppe irgendwann in Vorurteile, Benachteiligung und Diskriminierung anderer umschlägt“, so Prof. Beelmann weiter.

Um das zu verhindern, arbeiten der Psychologe und sein Team bereits seit längerem an einem Trainings- und Präventionsprogramm für Kinder, das Vorurteile abbauen und Toleranz gegenüber anderen fördern soll. Doch wann ist dafür der beste Zeitpunkt? Die Psychologen Dr. Tobias Raabe und Prof. Dr. Andreas Beelmann haben nun wissenschaftliche Studien zu dieser Frage systematisch zusammengetragen und ihre Forschungsergebnisse soeben in der Fachzeitschrift „Child Development“ veröffentlicht.

*Mit sieben Jahren haben Kinder am meisten Vorurteile*
Ihre Erkenntnisse sind, dass Vorschul-Kinder zunächst stetig mehr Voruteile aufbauen bis sie zwischen fünf und sieben Jahre alt sind, da sei dann der Höhepunkt erreicht. Mit zunehmendem Alter der Kinder kehrt sich diese Entwicklung allerdings wieder um und die Vorurteile werden weniger. Wie Prof. Beelmann weiß, spiegelt das die normale geistige Entwicklung von Kindern wider. Während jüngere Kinder noch unhinterfragt die Einstellungen von Erwachsenenden und Eltern übernehmen und ihre Identität durch Abgrenzung von anderen sozialen Gruppen finden müssten, lernten sie später zu differenzieren. Dann hätten pauschale Stereotype eher weniger Einfluss auf sie, da sie sich ihre eigen Meinung bildeten. Für die Psychologen ist daher das Grundschulalter der ideale Zeitpunkt, um mit bestimmten Programmen gegen Vorurteile vorzugehen. Wie die Jenaer Psychologen herausfanden, bauen Grundschulkinder Vorurteile besonders stark ab, wenn sie Kontakt zu Mitgliedern anderer sozialer Gruppen, wie zum Beispiel zu Kindern anderer Nationalität oder Hautfarbe haben. Das funktioniere sogar auch dann, wenn sie keine realen Personen anderer Herkunft träfen, sondern in Büchern oder erzählten Geschichten etwas über sie erfahren.

So toll der Veränderungswille im Grundschulalter auch sei, es ist aber auch eine besonders kritische Zeit, denn Vorurteile könnten sich genauso gut verfestigen. „Wenn es keinerlei Kontakt zu sozialen Fremdgruppen gibt, kann man auch keine persönlichen Erfahrungen machen und hält an pauschalen negativen Bewertungen länger fest“, erklären die Wissenschaftler. Das erkläre auch, warum in Regionen mit sehr niedrigem Anteil an MigrantInnen die Fremdenfeindlichkeit oft besonders hoch sei.

Und wie sieht es bei Kindern aus, die selbst sozialen Minderheiten angehören? Bei ihnen entwickeln sich soziale Einstellungen und Vorurteile anders: Weil für sie die Mehrheit in der Regel einen gesellschaftlich höheren Status genießt und als Vorbild angesehen wird, sehen sie Angehörige der Mehrheitsgesellschaft eher positiv. Erst wenn sie selbst Opfer von Benachteiligung und Rassismus werden, entstehen auch bei ihnen Vorurteile, die sich dann viel hartnäckiger halten als bei anderen Kindern.

*Je älter man wird, desto mehr Einfluss hat das soziale Umfeld*
Grundsätzlich bedeuteten die Ergebnisse aber nicht, dass sich im späteren Kindes- und Jugendalter nichts mehr an der Einstellung zu anderen sozialen Gruppen ändere, betonen die Psychologen. Das sei dann aber sehr vom sozialen Umfeld, also zum Beispiel von Normen in unserer Gesellschaft und weniger von der Persönlichkeitsentwicklung abhängig. Toleranz lasse sich dagegen in jedem Alter fördern. Das „Rezept“ der Psychologen dafür: Möglichst vielfältige Kontakte zu Personen, die zu unterschiedlichen sozialen Gruppen gehören. „Wer sich mit vielen Gruppen identifizieren kann, wird Menschen seltener pauschal bewerten oder sogar diskriminieren“, sagt Prof. Beelmann. Damit richten die Wissenschaftler auch einen eindringlichen Appell an jene - immer größer werdende -Gruppe von Eltern, die ihre Kinder nicht in Schulen mit einem sogenannten "hohen Ausländeranteil" oder mit Kindern aus niedriger gestellten sozialen Schichten schicken wollen!

Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung; - Stand: 27. Januar 2012